Forderungskatalog für 2017 von Rainer Moritz

So geht es nicht weiter!

5. Januar 2017
von Börsenblatt
Was "Dinner for One" fürs Fernsehen ist, nämlich ein fester Bestandteil jedes Silvesterprogramms, das sind fürs Börsenblatt die Forderungen von Rainer Moritz an das jeweils neue Jahr: Nun also 2017, aufgemerkt!

Der auf die 90 zugehende Chorleiter Gotthilf Fischer hat eine klare Vorstellung davon, was nach seinem Ableben kommt. Seinem Naturell gemäß hat er verkündet: "Ich durfte in meinem Leben viele Engel, das heißt Frauen, dirigieren. Aber die Zeit wird kommen, wo ich die Engel im Himmel dirigieren darf." Dergleichen anmaßende Erwartungen habe ich nicht; dennoch fordere ich das Jahr 2017 auf, dies und ­jenes zu regeln. So verlange ich, dass:

1. mich niemand mehr in E-Mails mit "Hallo" anredet, als würden wir uns auf der Kaufhausrolltreppe begegnen,
2. die zunehmende Musikbeschallung in Restaurants ein Ende hat,
3. Reiner Calmund, Mario Barth, Jakob Augstein und Beatrix von Storch Ruhe geben,
4. die müden Scherze über Donald Trumps Frisur aufhören (wenn wir das so nennen wollen),
5. der TSV 1860 München nicht versucht, auf der Lächerlichkeitsskala den Hamburger SV zu überholen,
6. Richard Russos verdammt guter Roman "Diese gottverdammten Träume" noch mehr Leser findet,
7. Helene Fischer mit Andrea Berg Duette einsingt und uns ­damit den Rest gibt,
8. Sigmar Gabriel eine sinnvolle Funktion in einer der SPD ­nahestehenden Stiftung oder wo auch immer übernimmt,
9. das "Literarische Quartett" vom ZDF nach Mitternacht ausgestrahlt wird, um endgültig aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verschwinden,
10. der ursolide Gasthof im schwäbischen Beutelsbach, wo ich neulich nächtigen durfte, davon Abstand nimmt, seine Maultaschen als "Craft"-Produkte zu bezeichnen,
11. mein Sohn endlich auch die honduranische Fußballnational­elf auswendig aufsagen kann,
12. Terézia Mora den Georg-Büchner-Preis erhält und ich auch einen,
13. das Getue um selbst fahrende Autos aufhört und statt­dessen der selbst denkende Fahrer wieder stärker ins Zentrum des Interesses rückt,
14. Maria Furtwängler von ihrem Gatten einen Schauspielkurs geschenkt bekommt,
15. das Wort "präfaktisch" 2017 (nach "postfaktisch") zum Wort des Jahres gewählt wird, zumal beides fast das Gleiche bedeutet,
16. Schluss mit den Alibiauftritten von Flüchtlingen in deutschsprachigen Gegenwartsromanen ist,
17. der Veganismus vom Verfassungsschutz beobachtet wird,
18. die Vollbartmode bei Männern jäh endet,
19. im Gefolge des Bestsellers »Darm mit Charme« nicht noch mehr Sachbücher über Leber, Milz & Co. erscheinen, selbst wenn dadurch die Innereienthementische im Buchhandel eingeschränkt werden,
20. "Bonjour Tristesse" nicht zum Motto des französischen Gastlandauftritts auf der Frankfurter Buchmesse avanciert,
21. Joni Mitchell, Wolf Biermann und Neil Diamond erst 2018 für den Literaturnobelpreis in Betracht kommen,
22. die Wörter "populistisch" und "rassistisch" von Gut­meinenden und Besserwissern nicht auf alles angewandt werden, was ihnen nicht passt,
23. Buchhändlerinnen und Buchhändler ein sorgenfreies Leben haben,
24. keine Prosa erscheint, in der der Thermomix eine tragende Rolle spielt,
25. manche wieder aus dem Erdreich des Vergessens ausgegrabene Gemüsesorte wenig später schnell vergessen wird,
26. der Hinweis, dass Facebook-Freunde keine echten Freunde sind, nicht mehr zu hören ist,
27. meine Forderungen wie im letzten Jahr vorrangig behandelt werden, von wem auch immer.