Fotokunstbände

Magische Momente

22. Dezember 2011
von Börsenblatt
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Aktuelle Bildbände mit Fotokunst treten den sichtbaren Beweis für diese These an. Und laden zum staunenden Betrachten ein.

Einblicke in den Tresor
Hier wird ein Bilderschatz gezeigt, der nie zur Veröffentlichung gedacht war. Auf 139 Kontaktbögen von 69 Fotografen der legendären Magnum Agentur kann der Betrachter entdecken, was alles so vor und nach dem ausgewählten »besten Schuss« entstanden ist. Die Fotos sind ein aufschlussreiches Dokument aus 70 Jahren Fotografiegeschichte. Texte schlüsseln die Bilder auf.
Kirsten Lubben (Hrsg.): Magnum Contact Sheets. Schirmer / Mosel, 508 S., 435 Fotos, 98 Euro

Krieg in Zeitlupe
Bombeneinschläge. Blutlachen. Trauer. Unglaublich, unter welchen Bedingungen die junge Kate Brooks ihre Bilder aus dem Gazastreifen oder aus Afghanistan festgehalten hat. Fast lakonisch erzählt sie von der latenten Angst. Ihre Fotos gehen unter die Netzhaut, fangen ebenso poetische wie grausige Momente ein, die den ganzen Schrecken des Krieges auf einen Blick offenbaren. Brooks ist genial.
Kate Brooks: Im Licht der Dunkelheit. Ein fotografisches Tagebuch seit 9 / 11. Benteli, 252 S., 100 Fotos, 49,80 Euro

 

Wanderer zwischen den Welten
Ganz gleich, ob er die Kanzlerin, Mauer-Gärtner Egon Krenz oder junge, asketische Männer in den Ruinen der NS-Erholungsanlage Prora auf Rügen fotografiert: In Andreas Mühes kühl komponierten, mit einer Linhoff-Plattenkamera und aufwändiger Lichttechnik produzierten Bildern trifft düstere Romantik auf die Hochglanz-Welt von „Vanity Fair“. Der Sohn des Schauspielers Ulrich Mühe, eben mit seiner ersten Museums-Schau geadelt, gehört zu den aufregendsten Vertretern der jungen ‚Generation Berlin’.
Andreas Mühe: ABC. Distanz Verlag, 180 Seiten, 49,90 Euro 

 

 

Tabuloser Blick
Arme, Alte, kriminelle Trinker, Heiminsassen: Gundula Schulze Eldowy nahm die sich auflösende DDR von den Rändern her war. Ihre radikalen, an Diane Arbus, Nan Goldin oder Boris Mikhailov erinnernden Arbeiten, die heute auch im New Yorker MoMa hängen, schockten Kulturfunktionäre und manche Kollegen. Dabei waren ihre Tabubrüche nie Selbstzweck: In den von ihr meisterhaft dokumentierten Momenten der Einsamkeit und Tristesse ist immer auch die Gier nach Leben, nach Glück präsent.
Gundula Schulze Eldowy: Berlin in einer Hundenacht. Lehmstedt, 248 Seiten, 29,90 Euro

 

500 Blickwinkel
Daguerre, Doisneau, Brassaï: 150 Bildkünstler, aber auch Amateure dokumentieren mit der Kamera den steten Wandel der französischen Kapitale – ein bezaubernder Prachtband, der die Stadt an der Seine charmant feiert.
Jean Claude Gautrand (Hrsg.): Paris, Portrait of a City. Taschen, 624 S., 500 Fotos, 49,99 Euro

 

Du sollst Dir kein Bildnis machen
Für die Glaubensgemeinschaft der Amish, die Timm Rautert 1974 in Pennsylvania besucht, ist die Leica des jungen Fotografen ein „Sarg der Erinnerung“. Bei ihnen, die streng nach den Geboten der Bibel leben, ersetzt ein Fingerabdruck im Ausweis das Porträt. Der Band, der Rauterts in klassischem Schwarz/Weiß gehaltene Amish-Serie mit einem 1978 entstandenen Kodachrome-Zyklus über die Hutterer vereint, ist am Ende auch eine Meditation über fremde Welten, die erst mit der Kamera erschaffen werden.
Timm Rautert: No Photographing. Die Amisch. Die Hutterer. Steidl, 38 Euro 

 

Hommage ans Fotobuch
Ein drei Kilo schwerer Band, ein Ereignis: Statt der ewigen Fixierung auf Originale blickt er auf das Medium, das für die Verbreitung von Fotografie eine zentrale Rolle spielt. 70 Bücher werden in perfekten Reproduktionen und Essays vorgestellt. Keine ewige Hitliste, sondern eine ‚andere’ Schweizer Fotogeschichte, die auch das Zusammenspiel zwischen Fotografen, Verlegern, Gestaltern und Druckern in den Blick nimmt – schon heute ein Standardwerk.
Peter Pfrunder: Schweizer Fotobücher 1927 bis heute. Eine andere Geschichte der Fotografie. Lars Müller Publishers, 576 Seiten, 75 Euro

 

Typisch deutsch
Auch der Band „Deutschland im Fotobuch“ versteht sich nicht als Einkaufsliste für Sammler und solche, die es werden wollen. Es tauchen Titel auf, die weniger als drei Euro kosten, ebenso wie unerreichbare Schätze. Die Frage, die Thomas Wiegand antrieb, lautet stattdessen: Welche Fotobücher haben dieses Land auf besonders überzeugende und charakteristische Weise in den Fokus genommen? Das Spektrum der ausgewählten 273 Titel reicht zeitlich von den letzten Tagen des Kaiserreichs bis zum wiedervereinigten Deutschland; auch ein japanisches Buch mit Fotos von Enver Hirsch zum Thema ‚Gartenzwerge’ („The German Soul“) kann hier seinen Platz finden.
Thomas Wiegand: Deutschland im Fotobuch. Steidl, 492 Seiten, 75 Euro 

 

Die Wahrheit hinter den Bildern
Doisneaus berühmter Kuss vor dem Pariser Rathaus, Robert Capas sterbender spanischer Soldat, Man Rays Kiki mit Maske, Bert Sterns Fotosession mit Marilyn Monroe, sie alle findet man in diesem Band: Fotos, die fast jeder kennt. Aber wie kam es zu den jeweiligen Fotos, wie hat der Fotograf den richtigen Zeitpunkt zum Festhalten der Szene getroffen ( etwa bei Cartier-Bressons Dessauer Lagerbild, wo das Opfer zum Täter wird), wie hat er das Bild "choreografiert"? Ausführlich, sehr kenntnisreich und gut lesbar erzählt Hans-Michael Koetzle die Geschichte hinter diesen Fotos, begleitet von der Frage nach der Wahrheit, die in den Bildern steckt. Ein Jahrhundertreise als erhellender Band zum Verschenken.
Hans-Michael Koetzle:  50 Photo Icons. Taschen, 300 Seiten, 19,99 Euro

 

Kinder der Revolution
Eva räkelt sich im Modellkleid auf einem Samtsofa, mit Gehrock und Fliege wirft sich Vadim auf einer Dachterrasse in Patriarchenpose: Die junge Fotografin Anna Skladmann hat Kinder der neuen russischen Eliten wie kleine Erwachsene fotografiert; ihre Porträts greifen auf die Tradition der Gesellschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts und zeitgenössische Glamourfotografie zurück. Ein prächtiger Foto-Essay – und eine hintergründige Allegorie auf den Reichtum, der längst keine Ländergrenzen mehr kennt.
Anna Skladmann: Little Adults. Kehrer Verlag, 112 Seiten, 36 Euro

 

Duftige Pastelle
Sie hüllen sich in edles Purpur oder leuchtendes Gelb, bestechen durch Formenvielfalt und verschwenderische Pracht: Seine Models hat Josh Westrich in den Gärten bekannter Züchter entdeckt. Stillleben voller Details, von der Mohnblume bis zur Magnolie.
Josh Westrich: Alles außer Rosen. Delius Klasing, 224 S., 205 Fotos, 39,90 Euro

 

Fenster ins Leben
Fünf Monate realisierte Thomas Lupo, Artdirector bei Jung von Matt, in der Kita eines brasilianischen Armenviertels Kreativprojekte. Eines davon: Die Kinder fotografieren mit selbst gebauten Lochkameras ihre Umgebung – und erobern sich damit ein Stück Welt. Beeindruckend.
Thomas Lupo: Anleitung zum Ausbrechen. Hermann Schmidt, 248 S., 1 000 Fotos, 49,80 Euro

 

Die Schönheit der Welt
Öfter mal innehalten: Fotografin Annie Griffiths hat bei ihren Reisen durch aller Herren Länder im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt – und beschenkt uns mit Bildern von Ball spielenden Nonnen und Rettungsschwimmern.
Einfach schön! National Geographic Deutschland, 504 S., 250 Fotos, 39,95 Euro

 

Vom Traum der Freiheit
Die Ekberg im Trevi-Brunnen, Mastroianni mit Zigarette, Hepburn mit Hund, Bardot mit Schmollmund: Hier findet man die Stars der Cinecittà-Studios wieder, die nach Drehschluss durch Rom zogen. Die Musik-CDs halten dazu passend Kino- und Pophits der 50er Jahre bereit.
Aldo Durazzi: La dolce vita. Edel, 120 S., 80 Fotos, 3 Musik-CDs, 39,95 Euro