Frankfurter Buchmesse

Sterben Ratgeber aus?

14. Oktober 2009
von Börsenblatt
Sterben Ratgeber aus? Mit dieser Frage befasst sich die Diskussionsrunde im Börsenblatt-Café auf der Frankfurter Buchmesse. Heute um 14 Uhr diskutieren Grit Patzig (GfK), Ursula Rosengart (Gabal) sowie Georg Kessler (Gräfe und Unzer). Moderatorin ist Tamara Weise vom Börsenblatt.

Zu Beginn gibt jeder Teilnehmer eine Statement zur Befindlichkeit der Ratgeber ab: 

Georg Kessler: Der Ratgeber ist gut aufgestellt, er ist topfit. Aber: Es wird Nachfrage über das Netz gebunden. Das müssen die Ratgeberverlage sehr genau beobachten. Den Ratgebern geht es gut., aber er muss Qualitätsstandards erfüllen.

Ursula Rosengart: Den Ratgebern geht es gut, ich sehe das ähnlich. Allerdings sind bei uns nicht alle Titeln den Ratgebern zuzuordnen. Langfristige Informationen werden ihren Sinn immer im Buch finden - in der Zukunft sogar noch verstärkt.

Grit Patzig: Die Gfk beobachtet die Ratgeber schon seit mehr als 30 Jahren, allerdings haben die Ratgeber in den vergangenen Jahren Marktanteile verloren - viele Verbraucher kaufen keine Ratgeber mehr und laden sich die Informationen aus dem Internet runter. Verlage müssen sich fragen, welche Themen sie anbieten können und wie die Ratgeber gestaltet werden müssen.

Wie entwickeln sich einzelne Segmente?

Patzig: Ratgeber zur Gesundheit, zum Erfolg entwickeln sich gut - auf der anderen Seite stehen Themen wie Spiritualität, Natur, Garten, häusliche Themen. Wir beobachten alle Vertriebskanäle, Sortiment und Internet.

Und über welche Kanäle vertreibt Gabal? 

Rosengart: Wir nutzen alle Kanäle, vorrangig den Buchhandel, wir hatten jedoch im Verlag noch nie so viele Nachfragen über E-Mail wie in diesem Jahr. Das zeigt, dass im Handel nicht genügend in der Breite und in der Tiefe vorrätig ist.

Warum verliert der Buchhandel die Lust an Ratgebern?

Rosengart: Wir hatten vor einigen Jahren den Börsencrash, daraufhin sagte man im Buchhandel, dass Wirtschaftratgeber nicht mehr laufen. Heute laufen vor allem Bildungsratgeber. Heute kann der Kunde überall alles bekommen - und das schnell.

Wenn ich heute ein Kochbuch suche und im Eingangsbereich gleich eins für 4,95 Euro finde, gehe ich natürlich nicht mehr in die Kochbuchabteilung. Das ist natürlich ein Problem der Platzierung.

Kessler: 2001 war ein Crash, da war ein Überangebot an Ratgebern, weil jeder Verlag Ratgeber gemacht hat. Dann hat sich der Markt bereinigt und auf einem Niveau von 630 bis 640 Millionen Euro eingependelt. Es gibt natürlich Segmente, die vom Mediennutzungsverhalten stärker betroffen sind. Zum Beispiel Kochportale mit 80 bis 90 Millionen Page-Impressions - sie erhalten dort auf einen Schlag 300 Rezepte für Sauerbraten, wissen aber nicht, welches schmeckt. Hier müssen die Ratgeberverlage einsehen, dass Auswahl sexy ist.

Welche Arten von Ratgebern haben noch Chancen?

Patzig: Reine Informationsangebote haben nicht so gute Chance wie Produkte mit innovativem Zusatznutzen.

Wie funktioniert der Brückenschlag in die digitale Welt?

Kessler: Ich glaube, man muss das Stammgeschäft stärken. Das geht, indem man etwa Hintergründe liefert.

Wie wichtig ist die Emotionalität?

Rosengart: Sehr wichtig. Unsere Autoren sind alle von der Praxis für die Praxis. Das honoiert der Leser. Außerdem ist eine Verknüpfung zum Internet wichtig. Wir haben eine Community und wir sind auf vielen Weiterbildungsmessen, wo wir den Draht zum Endkunden bekommen. Dort erhalten wir Trends etc.

Die GfK erfasst auch das Konsumentenverhalten im Internet ...

Patzig: Dort beoabchten wir, welche Seiten und Portale wie gefragt sind. Ein Viertel der Ratgeberumsätze wird im übrigen im Internet getätigt. Daher glaube ich, dass die Ratgeber nicht aussterben wird.

Gräfe und Unzer hat mehrere Brücken ins Internet geschlagen, auch eine iPhone-Applikation ...

Kessler:  Die Frage, ob E-Books relevant sind für Ratgeber? Wir haben einen anderen Weg gewählt. Reader sind nur schwarz-weiß. Wenn Illustrationen oder Fotografien eine Rolle spielen, scheitern die Formate. Also halten wir uns damit gar nicht auf. Also haben wir 50 Rezepte zusammengestellt und einen Kochbuchapplikation zusammengestellt. Die Downloads laufen sehr gut. Das legt nahe, das weiter zu testen. Das hat sicherlich Perspektive.

Halten Sie es für möglich, dass der Hype ums iPhone anhält?

Kessler: Auf jeden Fall, vor allem, wenn das Apple Tablet kommen sollte.

Gabal setzt auf PDFs ...

Rosengart: Ja, wir haben nicht die Vierfarbigkeit. Im Moment sehe ich bei E-Books auch das Formatproblem.

Ratgeberverlage sind noch in der Testphase für die verschiedenen Darreichungsformen. Wie lange wird das noch dauern?

Kessler: Die Antwort muss sein, dass es ein Standbein gibt und ein Spielbein. Das ist ein Investitionsgeschäft, das aber auch die Zukunft der Printprodukte sichert. Man kann dort Marktforschung betreiben, zum Beispiel entstehen aus den Blogs heraus Bücher. Die Community diskutiert ein Thema und geht auf den Verlag zu und der macht das Buch.

Kunden beschaffen sich die Informationen auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn man das weiterdenkt - müssen sich Verlage nicht so aufstellen, dass sie die unterschiedlichen Wünsche abdecken können?

Kessler: Das sind die Darstellungsformen, das muss sich ändern. Das Rollenverständnis (Informationsmonopol der Verlage) muss sich verändern. Informationen gibt es auch im Internet.  Mit den Kunden partnerschaftlich umzugehen, das ist sehr wichtig. Die strategische Grundausstattung ist eine andere als vor fünf Jahren.

Wie lange hat man dazu Zeit?

Rosengart: Ich glaube schon, dass dort ein Umdenken stattfindet. Wir sind nie auf einen Zug aufgesprungen. Wir machen keine Bücher zur Krise. Unser Sektor ist sehr breit aufgestellt. Wichtig ist, dass man dem Kunden das bietet, was er will. Der Kunde möchte mehr Infos haben als er im Handel findet. Wenn im Handel nichts passiert, kann der Kunde seine Zeit anders effektiver verbringen.  

Wie ist es um Kooperationen bestellt?

Kessler: Ob strategische Allianzen möglich sind - das ist schwierig.

Rosengart: Würde ich Ihnen widersprechen. Wir machen gemeinsam mit anderen Verlagen Seminare für Buchhändler. Wir versuchen, die Buchhändler zusammenzubringen. Kunde würde sich freuen, wenn er einen Prosepekt von mehreren Verlagen bekäme und nicht viele einzelne Prospekte. Ein solches Werbemedium könnte günstiger sein als die Einzelprodukte. Der Buchhändler könnte sich gegenüber dem Kunden gut darstellen mit einem Gesamtüberblick. Ich bin ein starker Verfechter des Networking.

Frau Patzig, kaufen Sie Ratgeber?

Patzig: Ich kaufe welche. Ratgeber sind auch gut zum Verschenken. Ein Drittel der Käufer verschenken Ratgeber.

Es lässt sich festhalten: Ratgeber sterben nicht aus. Wie aber sehen Ratgeber in zehn Jahren aus?

Kessler: Ich habe mal versucht, vor zwei, drei Jahren darüber nachzudenken. Die Zahlen, die wir prognostiziert haben, waren nach einem halben Jahr nicht mehr valide. Wenn Ratgeber den emotionalen Aspekt ernst nimmt, wird darin die Chance liegen. Ansonsten die Prognose überlasse ich den Politikern.

Patzig: Schwer zu sagen. Es wird viel abhängen davon, was Apple macht, was die Endgeräte kosten.

Rosengart: Ich sehe einmal, dass sich der Markt leicht ändern wird, als wir diverse Geräte brauchen. Vieles geht nur über die USA. Ich glaube, dass Verlage in den nächsten jahren bei den Ratgebern sehr viel tun können. Stichwort: Qaulität. Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen.