Frankfurter Buchmesse

Kollektive Verschlankung - und fröhliches Kalorienprassen

10. Oktober 2012
von Börsenblatt
Kochbuchverlage aus aller Welt tischen in den Frankfurter Messehallen kräftig auf: In der Gourmet Gallery der Buchmesse rühren prominente Köche im Stundentakt in den Töpfen - und an den Ständen werden die gesammelten Rezepte dazu gereicht. Was ist eigentlich jenseits der deutschen Buchmarktgrenze kulinarisch gerade angesagt? Ein Blick in internationale Kochbuch-Charts.

„Kochen ist eine nationale Angelegenheit“. Nicht nur Lisa Ekus, die US-amerikanische „Über“-Agentin für die kulinarische Welt, verwendet nur wenig  Zeit darauf, ausländische Starköche in ihrer Heimat bekannt zu machen. Auch ein Blick auf die weltweiten Highlights des Kochbuch-Herbsts bestätigt diese Einschätzung: Außer Jamie Oliver schafft es weiterhin eigentlich keiner der vielen nationalen Kochtopf-Helden, über die Grenzen seiner Heimat hinaus wirklich erfolgreich zu sein. 

Ferran Adrià, der Molekular-Köchler aus dem „El Bulli“, mag als kulinarischer Weltstar ein würdiger Nachfolger von Paul Bocuse sein, außerhalb Spaniens laufen seine Bücher allerdings zumeist nur im Mittelfeld. Ein anderes Beispiel dafür, wie schwer es nationale Champions haben, ist die in den USA legendäre Julia Childs, die einst französische Küche und raffiniertes Kochen in ihrer Heimat populär machte. Zwar hat der Film über ihr Leben mit Merryl Streep in der Titelrolle auch in Europa Erfolg gehabt, aber der 100. Geburtstag der Dame war nur in den USA ein Thema für die Kochbuchwelt.

Gleichzeitig floriert das Lizenzgeschäft mit Kochbüchern durchaus; der Markt ist weiterhin hungrig und die internationale Kundschaft scheint weiterhin großen Appetit auf die neuesten Küchengeheimnisse aus Italien, Frankreich oder Südostasien zu haben. Doch auch wenn die geneigte Kundschaft weiterhin nach kulinarischen Genüssen aus den Aroma-Gebieten der Welt gieren mag: Die Kochbuch-Bestsellerlisten in den meisten Ländern – jedenfalls in denen, die nicht Mediterran geprägt sind – signalisieren einen anderen Trend: Abnehmen ist angesagt.

Unter den Top-Titeln tritt durchwegs wenigstens die Hälfte mit dem Versprechen auf, die Menschheit zu verschlanken. Ob es nun um den Franzosen Pierre Dukan und sein Abspeck-Konzept geht oder um die Verheißung, im Schlaf die Pfunde loszuwerden – mit den wechselnden Diät-Maschen haben Verlage und Autoren einen zuverlässigen Weg gefunden, um zumindest dem eigenen Umsatzanteil mehr Gewicht zu geben.

Da ist es nicht nur leicht zu verschmerzen sondern sogar äußerst angenehm, wenn die Menschheit weiterhin nicht abnimmt und sich ebenso vertrauensselig wiekurzatmig zum Kauf des nächsten Diät-Ratgebers entschließt.

Küchen-Steinzeit in den USA

Kein anderes Land hätte eine kollektive Verschlankung so nötig wie die USA, und die Kochbuchverkäufe im wichtigsten Büchermarkt der Welt deuten darauf hin, dass man dies mit Verve betreibt. Besseres Essen für bessere Fitness scheint das Motto, selbst Basis-Kochbücher mit den Rezepten für Thanksgiving und andere Familienfeste haben dagegen einen schweren Stand. Immerhin: Dass im Land der geschmacksbefreiten Fast-Food-Ketten eine gehörig große und offensichtlich zahlungskräftige Klientel am heimischen Herd das Abenteuer des selbst zubereiteten Essens wagt, tröstet in diesen Tagen fast über das Wahlkampfgetöse hinweg.

Gesund essen will man, leicht soll es sein und, wenn’s denn sein muss, auch einigermaßen exotisch. Die Kampfansage an den „Wheat Belly“ von William Davis kommt hervorragend an, aber auch „Fix, Freeze, Feast“, der ultimative Ratgeber für simple und billige Küche von Kati Neville, findet reißenden Absatz – beide Titel übrigens vor allem in der E-Book-Variante.

Passend zur Getreide-Phobie, die die Nation erfasst hat, stehen glutenfreie Gerichte in den USA hoch im Kurs, regionale Produkte erfreuen sich großer Beliebtheit. Dazu passt auch der Erfolg der „Paleo“-Kochbücher – nach dem Motto: „Wenn’s in der Steinzeit geschmeckt hat, ist’s auch heute gut genug!“ wird dort ebenfalls Fitness durch Getreideabstinenz verheißen.  Wenn dann der Diät-Tag mit einem Frühstück beginnt, das Eier mit Speck darreicht, kann man sich die Verzückung der Diner-Besatzungen vorstellen.

Was die Exotik in den US-Küchen angeht, sei Peru in diesem Jahr ein großes Thema, stellt der Public Broadcasting Service fest und ergeht sich in Elogen auf die von vielen Einflüssen geprägte Küche des Landes: Kulinarische Traditionen der Inka werden kombiniert mit spanischen, chinesischen, japanischen, italienischen und jüdischen Elementen; dazu kommt jeweils eine ordentliche Dosis „ajies“ – peruanische Chilies – und schon entsteht ein ganz eigenes Geschmackserlebnis. Solchen Abenteuermut loben wir; die Verkaufscharts zeigen sich davon jedoch unbeeindruckt.

Spanier sind Süßmäuler

Schauen wir nach Spanien, ins Land der Tapas und der Molekularküche. Dort ist man weit entfernt davon, sich von der Manie in Sachen Abnehmen anstecken zu lassen. Unangefochten führt Ferran Adrià hier die Tabelle an, allerdings nicht, wie man meinen könnte, mit den Geheimnissen seiner Rezepturen aus dem „El Bulli“ sondern mit seinem sehr geerdeten „Das Familienessen“ (auf deutsch bei Edel).

Einfache und leckere Gerichte aus der Tradition der spanischen Küche, mit modernen Elementen behutsam verfeinert – dagegen wünscht man jede Diät-Fibel auf den Kompost. „La Cocina de Inés Ortega“, ein Vademecum der Alltagsküche wird ebenso geliebt von den Spaniern, und Bücher zu Desserts und Süßspeisen sind die iberische Absage an jedwede Zucker-Enthaltsamkeit. Der unvermeidliche Herr Dukan wird zwar auch hier gerne gekauft, doch in den Charts wird er von den fröhlichen Kalorienbombern locker abgehängt.

Frankreichs Liebe zum Handwerk

Zum Schluss ein Blick ins selbsternannte Mutterland des guten Essens: Im schönen Frankreich ist die Cuisine zwar nicht mehr so ganz „nouvelle“, aber unsere Nachbarn sind zuverlässig, wenn es um die Abwehr von Diät-Fibeln geht. Im französischen Amazon-Shop findet sich jedenfalls kein einziger Schlankmacher unter den Top 20 und auch kein Buch über internationale Küchen. Stattdessen behauptet sich mit Michel Maincent-Morels "La cuisine de référence: Techniques et préparations de base, fiches techniques de fabrication" ein überaus nützlicher und erfreulicher Band, der alles vermittelt, was man zum Kochen wissen muss, seit Jahren ganz vorne in den Charts.

Neben aktuellen Wein- und Gastroführern sind es solche Anleitungen zu Kochen, die in Frankreich den dauerhaftesten Erfolg verbuchen können. Was wohl nicht so zu verstehen ist, dass die Franzosen erst einmal wieder kochen lernen müssen, sondern vielmehr ein Beleg dafür ist, dass unsere Nachbarn sich wirklich darum bemühen, die Grundlagen sauber zu beherrschen. Die Phantasie – und die erlesenen Zutaten – um mit diesem Handwerkszeug vorzügliche Gerichte zu zaubern, die hat man allemal selbst.