Frauen in Führungspositionen

Die Stunde der Frauen

16. Februar 2017
von Börsenblatt
Die digitale Transformation könnte Frauen endlich vermehrt in Führungspositionen bringen. Denn genau jetzt sind ihre Kompetenzen gefragt. 

Vor vier Jahren sorgte die Facebook-Geschäftsführerin ­Sheryl Sandberg mit ihrem Buch "Lean In" für Aufsehen. Sie erörterte, wie Frauen Führungspositionen erreichen können. Grundvoraussetzung: ein unbedingter Wille zur Macht, der damit beginnt, sich im Arbeitsleben mehr einzubringen, öfter mal die Hand zu heben und auf sich aufmerksam zu machen. "To lean in" – was Männer zwischen Schreibtisch und Konferenzraum wie selbstverständlich tun, mussten Frauen in den Augen von Sandberg also nur nachmachen.

Stefanie Hoffmann-Palomino, Christine Kirbach und Bianca Praetorius sehen den Schlüssel zum Erfolg eher in einer "Lean Back Perspektive" (Springer, 470 S., 19,99 Euro). Die Herausgeberinnen wollen Sandberg nicht revidieren, sondern erweitern: "Frauen sollten auf eigene Stärken und Talente vertrauen, sich nicht verbiegen oder ständig optimieren." Gerade ihre strategische Zielorientierung, ihre emotionale Intelligenz und ihre diskursive Art zu führen seien in der Digitalwirtschaft mit ihren ­hierarchiefreien Strukturen gefragte Kompetenzen.

Auch Arbeitsmethoden wie Design Thinking sind demnach quasi wie für Frauen gemacht. Und so ist es kein Wunder, dass die "42 inspirierenden Wege", die im Buch beschrieben werden, alle in der digitalen Transformation fußen: Frauen aus unterschiedlichen Branchen, Unternehmenswelten, Ländern und Kulturen (die englischsprachigen Aufzeichnungen wurden bewusst nicht übersetzt). Frauen aus unterschiedlichen Jahr­gängen – aber alle mit ähnlichen Herausforderungen und Problemen. Für die Herausgeberinnen ist klar: "Now or never. ­Genau jetzt müssen sie die Gunst der Stunde nutzen und die neuen Unternehmenssysteme mitgestalten."

Macht sehen sie dabei als "positives Gestaltungselement". Wo "Lean in" zu Überarbeitung und Burnout führen kann, nimmt "Lean Back" die Verbissenheit: "Es geht nicht mehr darum, Recht zu haben als Leader, sondern Erfahrungsräume zu gestalten, die einen Nährboden für offene Konflikte, kreative Reibungsflächen und innovative Spielflächen aufmachen." Intelligente Frauen "feiern die Diversity". So klingt das im Buch. Lean Back bedeutet, "anderen den Raum zum Wachsen zu lassen". Aber auch, sich selbst Freiräume zu geben: "Persönliches Wachstum wird immer auch zu professionellem Wachstum." Sätze wie diese sind besonders prägnant und tauchen immer wieder auf. Die Herausgeberinnen gehen an die Wurzeln des Problems, indem sie Dinge analysieren, die jedem bekannt sein dürften, die man aber in dieser Form selten liest, wenn es um Gender-Diskurse im Berufsleben geht, und die einen staunen lassen, nach dem Motto: genau. Stimmt eigentlich.

So stehe etwa die Bewertung von Frauen am Arbeitsplatz diametral dem gegenüber, was wir aus Schule und Kindergarten kennen. Dort werden Jungs an den Erfolgskriterien für Mädchen gemessen und die Führungs-, sprich Lehrkräfte sind in der Mehrzahl Frauen. "Leider führen in der Schule meist die genau gegenteiligen Kriterien zu guten Noten, die später im beruflichen Kontext zum Erfolg führen", so die Herausgeberinnen: "Fleißig, brav und ordentlich sein, nicht zu kreativ sein und nicht aus dem Rahmen fallen, keine kritischen Fragen stellen oder Diskussionen führen." Im Job landen die auf diese Weise geprägten Frauen dann in einem System für berufliches Fortkommen, das von Männern für Männer geschaffen wurde. Sie werden nach einem männlichen Kriterienkatalog bewertet.

Beide – Männer und Frauen – müssen nun daran arbeiten, dass eine "neue Führungsreife" entstehen kann. Das schließt private Verpflichtungen mit ein, die wirklich und ernsthaft geteilt werden sollen. "Warum nicht das Elterngeld an einen mindestens dreimonatigen Einsatz des Familienvaters knüpfen?" ist eines der Szenarien von Hoffmann-Palomino, Kirbach und Praetorius.

Leider bleibt auch manches unscharf. Was es genau bedeutet, dem "inneren Kompass zu folgen", sich also zurückzulehnen und "eine Perspektive einzunehmen, die einen erkennen lässt, was man braucht, um seine Ziele zu erreichen", bleibt unbeantwortet, beziehungsweise klingt zu sehr nach verschwurbeltem Coaching- und Tschakka-Sprech. Auch sind die Biografien und beruflichen Situationen der 42 Rollenmodelle zu individuell, als dass sie sich auf jede Frau in den Mühlen des Job-Alltags übertragen ließen.

Natürlich sollen sie am Ende nur eine Inspiration sein. Die Haupt-Message für die Leserinnen kommt so oder so an: "Runter vom Gaspedal, raus aus der Leistungsspirale und hin zu echter strategischer Zielorientierung und Gestaltung!"