Friedenspreis

"Ich bin ein Ohrenmensch"

27. Februar 2015
von Börsenblatt
Was macht die Friedenspreisträgerin mit ihrem Preisgeld? Und was ist ihr nächstes Projekt? Swetlana Alexijewitsch stellte sich heute in Frankfurt den Fragen der Presse. 

Die weissrussische Schriftstellerin wird am Sonntag ab 11 Uhr in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet (Live-Übertragung im ZDF). Das Preisgeld nutze sie dafür, ihre Bücher auf Russisch einzukaufen, berichtete Alexijewitsch - um sie in ihrer Heimat dort zu verteilen, wo Atomkraftwerke entstehen sollen: Denn die Gefahren der Atomkraft seien nach Tschernobyl immer noch ein Tabuthemen.

Die Folgen der Katastrophe hat die Friedenspreisträgerin in ihrem Buch »Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft« (1997) beschrieben, in Gesprächen mit Betroffenen - wie in all ihren Büchern. Durch die Komposition ihrer Interviews habe sie zu einer eigenen literarischen Gattung gefunden, zu einer "chorischen Zeugenschaft", begründete der Stiftungsrat für den Friedenspreis seine Wahl.

"Ich bin ein Ohrenmensch", sagt die Friedenspreisträgerin über sich selbst - "ich höre immer, was auf der Straße gesprochen wird." In ihren Büchern führt sie die vielen Stimmen zusammen, um in Einzelschicksalen das große Ganze zu spiegeln. Ihr jüngstes Werk, "Secondhand-Zeit" (Hanser Berlin) erzählt vom "Homo sovieticus", von der Sowjetunion und ihrem Zerfall. "Ich liebe unsere Menschen", so Alexijewitsch über ihre Heimat und das, was sie ihr bedeutet: "Aber unsere Geschichte liebe ich nicht". Denn sie habe eine Gesellschaft der Leiden und der Tränen hervorgebracht. Von der Freiheit, die sich alle nach dem Mauerfall erhofft hätten, sei nur das Wort übriggeblieben: "Wer 40 Jahre in einem Lager verbracht hat, kann nur dort leben. Der Heilungsprozess dauert lang".

Nach einer längeren Zeit im Ausland ist sie 2011 wieder nach Minsk zurückgekehrt, denn die Bücher, die sie schreibe, könnten nur zuhause entstehen. "Die Mächtigen tun so, als ob es mich nicht gibt", sagte Alexijewitsch. Ihre Bücher würden nicht gedruckt, die Medien nicht berichten, "die mutigen Buchhändler bringen die Bücher aus Russland über die Grenze und verkaufen sie unter der Hand". 

Wovon träumt die Friedenspreisträgerin? Ganz persönlich davon, ein Buch über die Liebe zu schreiben, aus der Sicht von Männern - und aus der Sicht von Frauen. Das Preisgeld hilft ihr dabei, solche Träume zu verwirklichen und zumindest die finanzielle Freiheit zum Schreiben zu haben. Mit Swetlana Alexijewitsch wird nach Jahren zum ersten Mal wieder eine weibliche Preisträgerin geehrt, nach Susan Sontag 2003. Die Laudatio hält der Historiker Karl Schlögel.