Friedenspreisträgerin Carolin Emcke auf der Buchmesse

"Das bin doch nicht ich!"

21. Oktober 2016
von Börsenblatt
Ein Stück Kindheitserinnerung ist der Friedenspreis für Carolin Emcke: An jedem Buchmesse-Sonntag verfolgte die Familie die Preisverleihung vor dem Fernseher. An diesem Sonntag bekommt die Publizistin den Preis selbst – auf der Buchmesse stellte sie sich heute vorab den Fragen der Presse.

Als Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller bei Carolin Emcke anrief, um ihr mitzuteilen, dass sie in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommt, wartete sie eigentlich auf einen Rückruf vom  Klempner. "Das bin doch nicht ich!" – das war der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf ging, als sie stattdessen die Nachricht von der Ehrung bekam: "Ich empfand eine große Lücke zwischen mir und den anderen Preisträgern – und sehe den Friedenspreis mehr als Aufgabe für Zukünftiges denn als Auszeichnung für schon Geleistetes."

Die Publizistin und Journalistin wird ausgezeichnet als "Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen", wie es in der Begründung des Stiftungsrats heißt. "Mit analytischer Empathie" appelliere sie in ihren Büchern, Artikeln und Reden an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden.

Wie weit kann Empathie gehen? Kann sie diejenigen, die rechte Hassparolen brüllen, einschließen? Zu einer Gesellschaft, zu einer Demokratie würden immer alle gehören, so Emckes Antwort. Aber es gebe Grenzen der Toleranz: Sie seien dann erreicht, wenn Menschen andere in einer schwächeren Position erniedrigen und ihnen Gewalt antun würden: "Dann ist die Zivilgesellschaft in der Pflicht, zu widersprechen." Dennoch müsse man auch schmerzhafte Konflikte austragen. "Ist das Zusammenleben kompliziert in einer pluralistischen Gesellschaft? Ja klar, das ist es!", so Emcke: "Aber ich bin optimistisch, dass wir das aushalten."

Bei der aktuellen Entwicklung in Deutschland, aber auch in Europa machen der Friedenspreisträgerin weniger einzelne Parteien Sorgen, "als vielmehr die Verstümmelung der Zivilität des Umgangs miteinander." Eine ungeheure Aggression und Gewaltbereitschaft mache sich breit, in den sozialen Netzwerken wie im Alltag, statt der Gemeinsamkeiten würden die Unterschiede in den Mittelpunkt gerückt. Dabei gebe es viel mehr Verbindendes als Trennendes zwischen den Menschen: Jeder wisse, was Freiheit und Würde bedeute – auch wenn er nicht in Freiheit lebe oder seine Würde verletzt werde. "Alle lieben ihre Kinder, ihre Familie – und die meisten, die ich kenne, mögen gutes Essen."

Wie entstehen Ausgrenzung und Gewalt? Damit beschäftigt sich Emcke in ihrem neuen Buch "Gegen den Hass", das gerade erschienen ist. Wird sie damit nicht nur diejenigen erreichen, die sie gar nicht überzeugen muss? Emcke sieht das anders: Sie beobachtet in der Mitte der Gesellschaft eine Verunsicherung, auch eine Überforderung damit, die Grundrechte zu verteidigen. "Ich hoffe, dass mein Buch dieser Gruppe Mut macht. Denn ich versuche, die Mechanismen von Ausgrenzung und Gewalt zu erklären – und damit auch, wie man sie unterbrechen kann."

Emcke bekommt den Preis am kommenden Sonntag in der Frankfurter Paulskirche. Die Verleihung wird ab 10.45 Uhr live in der ARD übertragen. Der Friedenspreis wird  seit 1950 vom Börsenverein des deutschen Buchhandels vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.