Frühjahrslese bei historischen Romanen

Aufregende Lebenswege

13. März 2018
von Christiane Petersen
Die Pest in Südengland, die Intrigen der Borgia im Vatikan: Historische Romane sind Reisen durch Zeit und Raum. Und haben in diesem Frühjahr viel zu bieten.

Gerade in bewegten Zeiten ist die Erkenntnis, dass es früher auch nicht einfacher war, tröstlich – auch deshalb sind historische Romane so beliebt. In längst vergangene Epochen taucht der Leser ein und sieht sich von den Autoren mit den gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Herausforderungen jener Zeiten konfrontiert, Wissensauf­frischung inklusive.

Das Ausmaß der Pest etwa ist für uns heute kaum mehr vorstellbar: Sie forderte zwischen 1346 und 1353 geschätzt 25 Millionen Todesopfer – ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas. Minette Walters' neuer Roman "Die letzte Stunde" (Heyne, 656 S., 22 Euro) erzählt von dieser Pandemie und vom mutigen Kampf der Herrin von Develish in Südengland, die 1348 die Brücke zu ihrem Anwesen zerstören lässt, um ihre Schutzbefohlenen in Sicherheit zu bringen. Doch das Leben in der Isolation ist nicht leicht, Angriffe von außen und knappe Vorräte bestimmen den Alltag – und dann geschieht noch ein Mord. Walters' Fangemeinde wird von ihrem ersten historischen Roman nicht enttäuscht sein: Wie gewohnt hält die Autorin auch in diesem Roman die Spannung bis zur letzten Seite.

Zur selben Zeit spielt Daniel Wolfs "Die Gabe des Himmels" (Goldmann, 960 S., 9,99 Euro), hier im spätmittelalterlichen Frankreich, wo die Pest ebenfalls immer weiter um sich greift. Der junge Adrien Fleury studiert Medizin in Montpellier, aber den übermütigen und talentierten Mediziner hält nichts im Elfenbeinturm der Wissenschaft – er will als einfacher Wundarzt in seiner Heimatstadt Hilfe leisten. Dort stellt er fest, dass das einfache Volk von reichen Patriziern ausgebeutet wird und ­Juden massiv ausgegrenzt werden.

Was es konkret bedeutet, die unsichtbare Grenze zwischen ­Judentum und Christentum zu überschreiten, erfährt er, als er sich in eine jüdische Heilerin verliebt. Je weiter die Pest vordringt, umso dramatischer wird der Kampf um Leben und Tod: ein Roman über Antijudaismus, die Leidenschaft des Heilens und eine Liebe, die letztlich alle Widerstände überwindet.

Mehr als 100 Jahre später lebte die legendäre Lucrezia Borgia, uneheliche Tochter Papst Alexanders VI., eine vielen Quellen zufolge nicht nur hübsche und lebenslus­tige Frau, sondern auch ausgesprochen klug. Ihr Vater, so hieß es, übergab ihr während seiner Reisen häufiger die Regierungsgeschäfte im Vatikan. Sarah Dunant hat sich mit "Die letzte Borgia" (Insel, 522 S., 14,95 Euro) an dem außergewöhnlichen historischen Stoff versucht – zum Glück, denn der Versuch ist gelungen. Dunant öffnet die Tür zu einer der skandalträchtigsten Familien Italiens. Wer den Blick hinter diese Tür wagt, wird mit bester Unterhaltung belohnt, inklusive eines bewegten Liebeslebens: Lucrezia heiratete drei Mal, ihr zweiter Mann wurde aus Eifersucht von ihrem Bruder ­Cesare ermordet, mit dem sie gerüchteweise eine Affäre hatte.

Einblick in eine weniger skandalträchtige, aber prominente Künstlerfamilie bietet "Tulpengold" (Lübbe, 480 S., 22 Euro) der hessischen Autorin Eva Völler: die Familie des Malers Rembrandt van Rijn im Jahre 1636. Völler erzählt, wie der etwas sonderbare Junge Pieter, der gerade seinen Vater verloren hat, bei dem bereits hochverehrten Künstler Rembrandt in die Lehre gehen darf. Der erkennt schnell das große Talent seines Lehrjungen, wundert sich jedoch über dessen noch viel größere Begeisterung für die Mathematik. Die recht beschauliche Welt in dem Künstlerhaus nimmt eine ungeahnte Wendung, als plötzlich immer mehr Mordfälle geschehen. Denn alle Opfer wurden vorher von Rembrandt porträtiert – Pieters analytischer Verstand ist plötzlich von größter Bedeutung. Ein Roman, der ganz nebenbei vom Wirken des Ausnahmekünstlers Rembrandt erzählt – und von der Kunst als existenziellem Ausdrucksmittel.

Dass auch die in deutschen Regionen spielenden historischen Romane Erfolg haben, zeigt "Wintersaat" (Solibro, 896 S., 20 Euro): Drei Monate nach Veröffentlichung ist er bereits in der dritten Auflage erschienen. Die Opernsängerin Almuth Herbst erweckt in ihrem Debüt Westfalen in der Zeit von 1670 bis 1690 zum Leben, eine Welt mit einer tiefen Kluft zwischen Leibeigenen, Adel und der geordneten Welt der Bürger. Im Mittelpunkt: der adlige Junge Jeremias, der mit den einfachen Arbeiten und Mühen des Lebens nichts zu tun hat, bis er zum Studium nach Münster aufbricht. Dort wird er jedoch erst 20 Jahre später ankommen – und auf seinem Weg erfahren, wofür es sich im Leben zu kämpfen lohnt: wahre Freundschaft, Familie und die Liebe.

Werte prägen auch die Helden in dem Roman "Die Ärztin. Das Licht der Welt" (Rowohlt, April, 560 S., 9,99 Euro). Die Ärztin, das ist die unverheiratete Komtess Henriette, die im Berlin des 19. Jahrhunderts die Zahnleiden der Berliner So­ciety lindert und für die bis dato unbekannte Zahnpflege wirbt. Dabei spinnt sie ein Netzwerk aus starken Frauen, die maßgeblichen Einfluss auf Politik und Gesellschaft nehmen, und nimmt die aus einfachen Verhältnissen stammende 14-jährige Ricarda zu sich, die ihrer Nichte das Leben gerettet hat. Und der klugen und neugierigen Ricarda fällt schnell auf, dass sich die meisten Berliner 1867 keine medizinische Behandlung leis­ten können. Ihre Bestimmung scheint klar: denen zu helfen, um die sich niemand sonst kümmert. Ein lebendiger, zu Herzen gehender Roman eines in Berlin lebenden Autoren-­Ehepaars, das unter dem Pseudonym Helene Sommerfeld bereits zahlreiche internationale Bestseller geschrieben hat und Ricardas Lebensweg in einem im November erscheinenden Band ("Die Ärztin. Stürme des Lebens") fortsetzt: Da wird sie 1890 in München als erste Frau eine Arztpraxis eröffnen.

Als Mehrteiler hat Rosslyn Elliott eine Romanserie angelegt, die auf historischen Tatsachen beruht. Der dritte Band "Mit Herz, Mut und Verstand" (Verlag der Francke-Buchhandlung, 312 S., 14,95 Euro) spielt im späten 19. Jahrhundert in Ohio, wo Susanna Hanbys sich auf den Weg macht, um eine Ausbildung zu beginnen. Nur muss sie bei einem Abschiedsbesuch feststellen, dass ihre Schwester mit ihren sechs Kindern verschwunden ist. Übrig geblieben ist nur der alkoholabhängige Schwager, den Susanna sofort in Verdacht hat, am Verschwinden beteiligt zu sein. Gemeinsam mit Onkel und Tante macht sie sich auf die Suche, bis sich die Ereignisse überschlagen und sie plötzlich selbst in Gefahr sind: ein unterhaltsamer Roman, der seine Leser in die flirrende Sommerhitze Ohios im Jahr 1875 entführt.

Von der Rebellion gegen die eigene Familie erzählt der Roman "Eine bessere Zeit" (Insel, 556 S., 24 Euro), mit der der katalanische Autor Jaume Cabré ins 20. Jahrhundert nach Spanien führt. Seit sieben Generationen liegt der Reichtum der Familie Miquels in einer Textilfabrik begründet – eine Tradition, die er als Bürde empfindet und vor der er zum Studium nach Barcelona flüchtet. Von dort aus zieht es ihn weiter in den antifranquistischen Untergrund und in ein berauschendes Leben, in dessen Mittelpunkt seine Faszination für eine Frau steht. Doch als Diktator Franco stirbt und Spanien sich verändert, muss Miquel zu dem zurück­kehren, was er zutiefst ablehnt: in ein Leben ohne Idealismus und mit Konsum. Ein herausragendes Buch über die Kraft und die Grenzen von Auflehnung.