Gastspiel

Ein gewisses Unbehagen

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Es ist wichtig, bei der Debatte über das Urheberrecht genau zu überlegen, welche Verhaltensweisen kriminalisiert werden. Von Georg M. Oswald.
"Hometaping is Killing Music" – Ich erinnere mich, als in den späten 70er Jahren dieser Slogan auf den weißen Innenhüllen der Vinylplatten erschien. Bei manchen Platten war unter dem Spruch eine zum Totenschädel umgestaltete Musikkassette abgedruckt, mit darunter gekreuzten Knochen. Schon damals hatte man es also mit vermeintlichen Piraten zu tun.

Ich war damals noch so jung und unbedarft, dass ich lange rätselte, was damit gemeint sein konnte. Vielleicht war ich auch nur begriffsstutzig, aber mir wollte nicht in den Kopf, dass ich meine geliebte Musik ausgerechnet dadurch töten sollte, dass ich sie auf Kassetten aufnahm. Schallplatten waren unglaublich teuer. Sich jemals mehr als eine im Monat kaufen zu können, schien aussichtslos. Sich Platten von Freunden auszuleihen, um sie aufzunehmen, war der einzige Weg um an mehr Musik zu kommen.

Auf die Idee, dass derjenige, dem die Platte gehörte, nicht das Recht haben sollte, sie einem anderen zum Aufnehmen zu überlassen, wäre ich nie gekommen. Später kamen dann Bootlegs dazu, ungenehmigte Mitschnitte von Konzerten, meist in miserabler Tonqualität, aber Dokumente legendärer Abende, die man sich weitergab, um sie von Kassettenrekorder zu Kassettenrekorder aufzunehmen.

All das war nach meiner Einschätzung und der aller anderen auch Ausdruck einer besonderen Wertschätzung der Musik. Niemand nahm sich Tapes von Bands auf, die er nicht mochte. Unter Liebenden war es ein verbreitetes Spiel, sich gegenseitig Kassetten aufzunehmen.

Ach ja, die Liebenden. Sie schrieben auch Gedichte und sie stahlen Bücher. Wie bitte? Jawohl. Auch Bücher waren teuer. Ich erinnere mich an Zeiten, als der Diebstahl von Büchern als revolutionär galt. "Klau mich!" hieß das Buch von Fritz Teufel und Rainer Langhans, das 1968 erschien. Auch in romantischer Hinsicht konnte Diebstahl als höchste Form der Aneignung gelten. Mir hat mal jemand Peter Handkes "Die Stunde der wahren Empfindung" geschenkt mit dem Hinweis "extra für dich geklaut". Es ging dabei nicht darum, Geld zu sparen, Handke oder den Suhrkamp Verlag zu schädigen, sondern für einen anderen eine Mutprobe zu bestehen.

Das war alles lange, bevor sich plötzlich die Gelegenheit für mich ergab, Texte zu schreiben, die bezahlt wurden. Und es war lange, bevor es so viel einfacher wurde zu kopieren und zu klauen, allerdings auch so viel einfacher, erwischt zu werden.

Selbstverständlich sehe ich es heute ganz genau so wie alle Urheber auf wir-sind-die-urheber.de: "Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz." Ich kann jedoch nicht verhehlen, dass mir diese Sätze ein gewisses Unbehagen verursachen. Sie geben zwar meine ökonomischen Interessen wieder, aber nicht eine Lebensrealität, die ich auch kenne und die mit dem Internet viel weniger zu tun hat, als man zurzeit vielleicht denkt.

Die größten Fans sind oft diejenigen mit dem wenigsten Geld. Das ist kein Argument für die Aufhebung des Urheberrechts, aber es ist ein Versuch, sich daran zu erinnern, dass der Enthusiasmus für Musik, Literatur und Kunst in der Zeit, in der er am größten ist, mit materiellen Überlegungen am wenigsten zu tun hat. Wir sollten uns deshalb sorgfältig überlegen, welche Verhaltensweisen wir kriminalisieren und in wessen Interesse wir das tun.