Gastspiel

Gräser und Blumen

26. Juli 2012
von Börsenblatt
Die Botanik der Bücher – oder warum das Sachbuch mehr Pflege verdient.
 Von Michael Schikowski.

In der Buchbranche nimmt man Sachliteratur im Vergleich zur Belletristik als nahezu selbstverständlich gegeben hin. Sachliteratur ist wie Gras, sie macht keine Arbeit und wächst einfach immer nach. Während die dürftigen Zierpflänzchen der Romanliteratur mitunter leicht überfördert erscheinen, gehen die kräftigen Nutzpflanzen der Sachliteratur im direkten Vergleich geradezu leer aus.

Dem Sachbuch als eigenständige Publikationsform widmete sich in Deutschland erst 2001 der Corine-Preis. (Zum beschämenden Vergleich: In Amerika wird der Pulitzer-Preis schon früh in der Kategorie Biography or Autobiography und History vergeben, seit 1962 wird die Kategorie General Non-Fiction prämiert.) Ihm folgte 2005 der Preis der Leipziger Buchmesse und 2009 kam der NDR Kultur Sachbuchpreis hinzu. Bei beiden sind Bücher zu natur- oder wirtschaftswissenschaftlichen Themen unterrepräsentiert. Zu allem Übel hat man sich jetzt beim Corine-Preis für 2012 eine Denkpause verordnet.

Gelegentlich wird noch der Freud-Preis genannt. Er würdigt diejenigen, die wie Freud das Verständnis der Wissenschaften fördern. Ein Blick in die Liste der Preisträger zeigt: Populäres Schreiben wird hier nicht prämiert. Dem Sachbuch schon näher sind die Preisträger des Johann-Heinrich-Merck-Preises für literarische Kritik und Essay, der Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik oder der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken.

Genuine Sachbuchpreise sind das alles aber nicht. Eine solche Auszeichnung sollte die populäre Darstellungsweise der Texte unverblümt in den Mittelpunkt des Interesses stellen und das Sachbuch als eigenständige Literaturform, sei es als Reportage, als Biografie, Streitschrift oder – horrible dictu – Ratgeber prämieren. Autoren, die das Genre populärer Darstellung meisterhaft und preiswürdig beherrschen, lassen sich viele nennen.

Was sollten die Kriterien sein? Keine anderen als sonst auch: Ein Preis für Essayistik wird nicht für spezifische Inhalte vergeben, sondern für die besonders kunstvolle Ausführung des Essays. Wenn man das Sachbuch als Form intelligenter Darstellung bestimmt, muss also innovative Forschung keine entscheidende Rolle spielen. Und der Erfolg, ist der entscheidend? Auch nicht. Ein Preis für Lyrik wird nicht für Verkaufserfolge vergeben. So ist auch für das Sachbuch der Erfolg beim Publikum ganz entgegen der landläufigen Meinung kein Kriterium einer Preisvergabe.

Wie die Sachliteratur aus Branchensicht irgendwie immer da ist, auch wenn man sie kaum beachtet, scheint es wie selbstverständlich immer Sachbuchautoren zu geben. Dieser Eindruck könnte täuschen. Und zuweilen hört man aus den Verlagen bereits besorgte Stimmen über mangelnden Autorennachwuchs.

Mit einem Sachbuchpreis kann den jungen Kreativen eine Perspektive schriftstellerischer Existenz öffentlich demonstriert werden: als Sachbuchautor!

Solche Meldungen an die kreativen Zulieferer hat die Branche bitter nötig. Auch weil ein Sachbuchpreis in die Branche zurückstrahlt und diese dann vielleicht doch – und sei es aus purem Eigennutz – den Wert der Sachliteratur einschätzen, ja und auch schätzen lernt.

Lesen Sie mehr zum Thema in unserem "Extra Sachbuch" im aktuellen Börsenblatt, Heft 30, ab Seite 33.