Gastspiel von Jochen Jung

Bin ich buchsüchtig?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Letzte Fragen und eine Antwort auf das E-Book. Der Salzburger Verleger Jochen Jung kommt
 beim Anblick seiner stetig wachsenden Bibliothek ins Grübeln.
Man kennt ja den alten Bücherkalauer von dem, der die stattliche Bibliothek seines Gastgebers betritt und staunend fragt: "Und – haben Sie das auch alles gelesen?" Natürlich gibt es in dieser Situation nur eine richtige Antwort: "Selbstverständlich – ich habe mir nur nicht alles gemerkt."

Dass der bibliophile Reichtum eines E-Book-Lesers etwas bescheidener aussieht und solche Fragen kaum provoziert und dass ein Kindle nicht so eindrucksvoll ist wie ein Paschen-Regal, versteht sich ebenso wie die Tatsache, dass unendlicher Speicherplatz etwas anderes ist als das Problem jener, die einen Teil ihrer Bücher auf den Speicher auslagern müssen. Bleibt die Frage, warum überhaupt einer sich immer noch Bücher kauft, wenn er doch längst weiß, dass er das Zeug nicht weglesen kann.

Darauf gibt es viele Antworten, vom Vollständigkeitswahn über die Novitätengeilheit bis zum Blindkäufersyndrom, aber die schönste ist: Man möchte es einfach haben. Was natürlich alles andere als seriös klingt. Bücher sind schließlich zum Lesen da und nicht zum Vollstopfen von Zimmern und Fluren, geschweige denn zur Dekoration. Ich denke hier auch gar nicht an Tea, Coffee oder Whisky Table Books, nicht an die Kataloge angesagter Ausstellungen und auch nicht an Scherzartikel à la "Shades of Grey". Wie aber jemandem dieses Vergnügen nahebringen ohne die Behauptung, man wäre eine Nebenstelle der Bayerischen Staatsbibliothek?

Man kann es vielleicht am ehesten klarmachen mit dem Gefühl, dass man beim Durchfingern jener Grabbelkisten haben kann, die bisweilen vor der Tür älterer und angenehm unschicker Buchhandlungen stehen und in denen man manchmal durchaus alte, aber erstaunlich fabrikneue Ware findet: Martin Walser, "Ehen in Philippsburg", Hauffs Märchen, Kolonialkriege in Deutsch-Südwest, Alte Apfelsorten, Shakespeare auf Englisch. Man nimmt sie mit und weiß: Der Preis ist nur ein Vorwand – die Wahrheit ist: Man wollte sie immer schon haben und wusste es bloß nicht. Und sie belohnen einen sofort mit der Gewissheit, dass sie – schon im Augenblick des Kaufs und dann des Auspackens– die eigene Welt weiter und bunter und reicher machen. Bücher sind eben auch kleine Schatzkisten, und in einem selbst steckt immer auch ein Käpt’n Flint.

Man ahnt, dass man diese Bücher vermutlich nie lesen wird, aber eben nur vermutlich. Wer weiß, es wäre ja nicht das erste Mal, dass man mit schiefem Kopf vor dem Bücherschrank steht, einen ewig übersehenen Buchrücken zum ersten Mal wirklich wahrnimmt und den Rest des Abends mit einem Buch verbringt, von dem man ganz vergessen hatte, dass man es überhaupt hat. Und selbst wenn man es nur herauszieht, aufschlägt und über das Motto nicht hinauskommt – jemand hat kurz mit einem gesprochen, und man freut sich seither, dass man ihn in der Nähe hat.

Natürlich geht das nur, wenn man es sich leisten kann. Natürlich geht das nur, wenn man Bücher gern hat. Und natürlich geht das nur, wenn man schon ein bisschen älter ist und im Kopf nicht mehr ganz richtig. Aber, nicht wahr, Sie hätten diesen Artikel doch gar nicht bis hierher gelesen, wenn das für Sie nicht auch gelten würde.