Gastspiel von Michael Schikowski

Die falschen Freunde

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Bücher tauchen als Dekoration und "Kulturanzeiger" in allen möglichen Zusammenhängen auf. Warum und mit welchen Folgen sich alle Welt so gern mit Büchern schmückt, erklärt Michael Schikowski, Key Accounter bei Campus und Sachbuch-Blogger.

Wer sich aufmerksam in Modeläden umschaut und Werbeprospekte durchblättert, kann in letzter Zeit vermehrt auf Bücher stoßen. Bücher als Dekoration. Solche bloß rhetorischen Einsätze der Bücher gab es schon immer: im Vordergrund Waffenlobbyist, im Hintergrund Bücherwand. Die Bücher sprechen nie gegen den Mann, der vor ihnen sitzt, selbst dann nicht, wenn sie von Ernst Jünger stammen.

Diese Werbung mit Buch macht die derzeit viel besprochene Werbung fürs Buch nicht einfacher. Denn das Verhältnis ist nicht reziprok. Wer zum Beispiel über Mode spricht, muss nicht modisch gekleidet sein, aber der modisch Gekleidete spricht immer über Mode – durch seine Kleidung. In dieser Weise ist das Buch längst bei der Werbewirtschaft und beim Veranstaltungsmanagement Mittel zum Zweck. Bleibt man einen Augenblick bei der Mode, dann zeigt sich, dass Schnitt, Stoff und Applikationen der Sportbekleidung irgendwann ab den 1980ern in der Freizeitkleidung auftauchten. Erreicht wurde so, dass mit den Bekleidungsformaten des Sports auch seine Werte wie Gesundheit, Disziplin und Leistungsbereitschaft kommuniziert werden können – von Kurzatmigen, von Turnbeutelvergessern, von Faulpelzen.

Da sich durch das Möblierungsutensil Buch hoch im Kurs stehende Werte wie Bildung, Wissen und Tradition transportieren lassen, bleibt es nicht aus, dass sich bestimmte Marktteilnehmer der Bücher als Applikationen bedienen. Ja, sie bedienen sich ihrer als bloße Kulturanzeiger umso leichter, je mehr sich das Zurschaustellen von Büchern und Lesen allgemein etabliert hat. Die Zeiten der spärlichen Lese-Utensilien wie Brille, Tasse Tee und Lesezeichen sind längst dahin. Allerdings hat der Non-Book-Markt für Bücher und Lesen mit Büchern und Lesen so viel zu tun, wie Pferdeköpfe auf Papierkörben mit Reitsport. Dieses Buch- und Leseschaustellergewerbe beherrscht auch die sozialen Medien. Darum sind aber die Bücherfreunde, die Bücherliebhaber, gar nicht zu reden von denen, die von Büchern zum Liebhaben sprechen, nicht unbedingt immer die besten Freunde des Buchs.

In Facebook versichert man sich gegenseitig seiner Buchbegeisterung, ständig erhalte ich neue Bildchen mit Büchern, neue Cartoons oder Filmchen, die alle die Liebe zu Büchern dokumentieren. Das Buch ist im Social Media das Opfer seiner digitalen Freunde, die in ihrem Sekundärkosmos der Buchbegeisterung vor allem einem den Garaus machen: dem Lesen von Büchern. Die wenige Zeit zum Lesen wird am Computer verplempert. Leseerlebnisse können aber nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums stattfinden. Ein wenig hat man den Eindruck, dass es genau der Mangel an Leseerlebnissen ist, der das Gequatsche, Gezeige und Geposte auf Social-Media-Kanälen anheizt. So wenig aber Sportbekleidung die Kondition verbessert, so wenig erzeugt Social Media Leseerlebnisse. Im Kern geht es ums Leseerlebnis, und zwar dem ganz seltenen, bei dem uns das Herz aufgeht.

Mit dieser Sehnsucht werden Buchhandlungen besucht. Hand aufs Herz: Wann hatten Sie zuletzt ein Leseerlebnis?