Gastspiel von Michael Schikowski

An der Schmerzgrenze

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Sollen wir Bücher als Lebensmittel oder als Luxusgut betrachten? Die Antwort auf diese Frage könnte die Zukunft des Buchhandels entscheiden. Es spreche fast alles dafür, dass die Zukunft des Buchhandels den hohen Preisen gehört. Meint Michael Schikowski.

Gehirnspezialisten behaupten, dass bei Preisinformationen das Gehirn an genau der ­Stelle Aktivität entfaltet, an der auch Schmerz verarbeitet wird. Wer regelmäßig Rechnungen aus dem Postfach fischt, wird das sofort bestätigen können.

Wenn wir einkaufen, haben wir das Geld, das uns zur Verfügung steht, und die Summe, die wir monatlich ausgeben, immer im Kopf. Eine ungefähre innere Kontoführung, mittels derer wir unsere Mittel, unsere Ausgaben und das, was etwas kosten darf, im Blick haben. So gibt es ein Konto für Lebensmittel, für die Wohnung und für die Kinder. Angeblich soll es auch, und das ist interessant, ein Konto für Luxus geben.

Luxus ist nicht für jeden. Zu denen, die sich so etwas leisten können, gehören rund 20 Prozent. Es gibt Berechnungen, aus denen hervorgeht, dass knapp über 50 Prozent der deutschen Haushalte der Mittelschicht angehören. Es waren einmal mehr. Viele rutschen ab in die Gruppe derjenigen, denen weit weniger zur Verfügung steht als der Mittelschicht.

Die Rede ist von einer Spaltung der Gesellschaft. Womit diese Spaltung auch immer zusammenhängt, sie wird deutliche Folgen für den Buchhandel haben. Ob man die Spaltung als vorsätzliche Ver­blödung, als Mechanismus der Exklusion bei Verteilungskämpfen oder als Konzentration aufs Wesentliche verstehen muss, wäre zu diskutieren. Zu fragen wäre aber auch, auf welcher Seite der Spreizung der Einkommen eigentlich zukünftig die Buch­käufer stehen?

Ganz zweifellos sind Buchhandel und Verlage als Branche der Mittelschicht zugehörig. Für die Menschen dieser Schicht sind Bücher so etwas wie Lebensmittel. Dahinter steht die Vorstellung, allen − damit auch sich selbst − den Kauf von Büchern zu ermög­lichen. Gewiss, Bücher und Zeitschriften sind Garanten für gesellschaftliche Teilhabe, die Chance auf einen sozialen Aufstieg oder zumindest Anschluss. Aber ist das heute nicht viel eher der Fernseh- und Internetanschluss? Helmut Schmidt bezeichnete nicht ohne Grund Bibliotheken und nicht etwa Buchhandlungen als "geistige Tankstellen der Nation".

Die Preise des Reclam Verlags im 19. Jahrhundert, die eine-Reichsmark-Bücher Ullsteins um 1910 oder dann Rowohlts Taschen­bücher in den 50er Jahren sind unter Bedingungen entstanden, die heute gewiss nicht mehr zutreffen. Niedrige Preise sind mithin nur sehr bedingt eine soziale Antwort auf soziale Fragen, daher sind umgekehrt Preiserhöhungen auch keine unsoziale Antwort.

Es spricht fast alles dafür, dass die Zukunft des Buchhandels, wenn er denn eine haben will, den hohen Preisen gehört. Bücher werden einer aufwendigen Wertschöpfung in Gestaltung und Ausstattung unterzogen, die die Preise hochschraubt. Von der Änderung der Auffassung des Buchhandels dahingehend, dass Bücher immer weniger Bedarf des Alltags, stattdessen zunehmend auch Luxus seien, hängt ein gewichtiger Teil der Zukunft des Buchhandels ab.

Wie erreicht man das? Vielleicht hilft die Vorstellung eines Luxuskontos. Das mag bei uns immer leer bleiben, weil wir Luxus sinnlos finden, oder weil dafür schlicht nichts übrig bleibt. Was wir damit aber erreichen, ist, uns vorzustellen, dass andere, die es offensichtlich aufzufüllen wissen, ihre Ausgaben für Bücher von genau diesem Konto bestreiten. Wenn er uns richtig weh tut, ist der Preis gerade richtig.