Geschwister Scholl-Preis für Glenn Greenwald

"Der Verlust der Unbefangenheit ist eine Form der Gefangenschaft"

6. Juli 2015
von Andreas Trojan
Die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises am Montagabend in München wurde zu einer Lehrstunde in Sachen Demokratie - dank Preisträger Glenn Greenwald und Laudator Heribert Prantl.

Der Geschwister-Scholl-Preis wird an Autoren und ihre Werke verliehen, die Werte wie bürgerliche Freiheit aktiv verteidigen und dabei moralischen wie intellektuellen Mut beweisen. In den vergangenen Jahren hat die Jury dabei immer wieder Preisträger ausgezeichnet, deren Themen in der Gegenwart verortet sind und über NS-Diktatur und Holocaust hinausgehen - darunter der Italiener Roberto Saviano oder der chinesische Autor Liao Yiwu. In diesem Jahr wurde der amerikanische Jurist und Journalist Glenn Greenwald geehrt - für sein Buch "Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen" (Droemer Knaur).

Was verbindet Greenwald mit den Geschwistern Scholl und der Widerstandsgruppe "Weiße Rose"? In einer Demokratie gehe es nicht unbedingt ums eigene Leben, sondern um die Verteidigung demokratischer Grundwerte, um das Aufzeigen eines drohenden Verlusts, so Michael Lemling, Vorsitzender des bayerischen Landesverbands im Börsenverein, der den Preis gemeinsam mit der Landeshauptstadt München vergibt. Als Beispiel zitierte Lemling das Gedicht "Alle Tage" von Ingeborg Bachmann, geschrieben in der Nachkriegszeit.

"Es kann keinen demokratischen Überwachungsstaat geben"

Die Dichterin macht darin auf ein grundlegendes Problem aufmerksam: Im Krieg sind die Kampfzonen klar abgesteckt, in demokratischen Friedenszeiten sind sie oft verschwommen, unklar. Man müsse also wachsam bleiben - eine Haltung, die den demokratisch aktiven Menschen auszeichne: "Verliehen / für die Flucht vor den Fahnen, / für die Tapferkeit vor dem Freund, / für den Verrat unwürdiger Geheimnisse / und die Nichtachtung / jeglichen Befehls".

Michael Lemling übertrug Bachmanns lyrische Botschaft in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität auf den diesjährigen Geschwister-Scholl-Preisträger: "Wer mit den Mitteln staatlicher Massenüberwachung alles und jedes ausspäht, setzt auch im demokratischen Verfassungsstaat seine freiheitlichen Wurzeln aufs Spiel. Er wird eine solche Belastung nicht auf Dauer aushalten. Es kann keinen demokratischen Überwachungsstaat geben. Das ist eine der wesentlichen Botschaften, die uns Glenn Greenwalds Buch so beeindruckend wie erschreckend vor Augen führt."

Dass die Bürger in Deutschland hier ruhig noch etwas wachsamer sein könnten, betonte Münchnens Oberbürgermeisters Dieter Reiter: "Gemessen an der breiten Protestbewegung, die sich im Frühjahr 2012 gegen das Acta-Abkommen formiert hat, sehe ich bei den Forderungen nach mehr Schutz der Privatsphäre – jedenfalls hierzulande – durchaus noch Luft nach oben."

"Wer überwacht wird, verhält sich konform"

Laudator Heribert Prantl, Leiter Innenpolitik bei der "Süddeutschen Zeitung" und selbst Geschwister-Scholl-Preisträger, ging auf die Folgen ein, die eine permanente Überwachung und das Sammeln von Daten im digitalen Zeitalter nach sich zieht: "Wer überwacht wird, verhält sich konform. Das ist die eigentliche Gefahr der Massenüberwachung." Und daraus folgt: "Der Verlust der Unbefangenheit ist eine Form der Gefangenschaft; sie ist ein Verlust der Freiheit. Die Überwachungsmacht veranlasst die Menschen, sich selbst in Gefangenschaft zu nehmen."

Prantl, wie Greenwald Jurist, ging auf die Frage ein, wer hier im Recht und wer im Unrecht ist: der Whistleblower Edward Snowden und der Journalist Greenwald, die geheime Dokumente des US-Geheimdienstes NSA veröffentlichten - oder der Staat, der eine globale Überwachung von Staatsbürgern angeordnet hat? Die Antwort fiel bei Prantl natürlich zugunsten Snowdens und Greenwalds aus, aber sie basierte auf zwei rechtsstaatlich fundierten Fragestellungen. Zum einen: "Darf ein Rechtsstaat Verbrechen begehen?" Zum anderen: "Ist der Verbrecher derjenige, der Verbrechen anzeigt – und nicht der, der sie verübt?"

Prantl kritisierte in seiner Laudatio ganz konkret auch die deutsche Bundesregierung. Ihr Verhalten im Skandal um die US-Abhörmethoden sei mehr als verstörend. "Die Untätigkeit hat vielleicht damit zu tun, dass der BND im Ausland bei der Datenspionage so agiert, wie es der US-Geheimdienst in Deutschland tut. Das führt wohl zum Ringtausch von Daten. Miteinander verspeist man die Früchte des jeweiligen unrechtmäßigen Tuns. Ein solches Gelage ist ein Frevel wider den Rechtsstaat."

"Die EU ist auch ein Raum der Feigheit"

Doch auch die EU blieb von Prantls Kritik nicht verschont. Hier ging es ihm um das wackelige Asyl, das Edward Snowden in Russland erhalten hat: "Die EU, die sich Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit nennt, ist auch ein Raum der Feigheit; sie traut sich nicht, Snowden irgendeinen Schutz angedeihen zu lassen."

Für Heribert Prantl ist deshalb klar: Mit der Auszeichnung des Buches werde die aktive Zivilcourage, ja, der "zivile Ungehorsam" von Glenn Greenwald und Edward Snowden geehrt – ganz im Sinne der Geschwister Scholl und dem Kreis der "Weißen Rose".

"Wir wussten, was uns erwarten würde, wenn wir die Sache aufgreifen"

"Das Schlimmste an der Spionage war für mich nicht, dass Millionen von Daten gesammelt wurden, sondern dass wir Bürger nichts davon wussten." Mit diesem Satz machte Glenn Greenwald in seiner Dankesrede deutlich, was ihn als Journalisten, Juristen und Staatsbürger an der NSA-Affäre so mitgenommen hat. "Wir wussten, was uns erwarten würde, wenn wir die Sache aufgreifen." Darüber hinaus zeichnete Greenwald das Charakterbild des Edward Snowden nach: Er sei ein junger, ganz normaler Mensch. Allerdings ein Mensch, der für seine Auffassung von Recht alles aufgegeben habe – Familie, Freundin, einen guten Job, gesellschaftliches Ansehen. Jetzt sei Snowden ein weltweit Gejagter, in den USA ein Staatsverbrecher.