Gespräch mit dem neuen Chefredakteur von "Cicero"

Michael Naumann: "Ich werfe ein paar neue Bälle in die Luft"

1. Februar 2010
von Börsenblatt
Michael Naumann (69) war Rowohlt-Verleger, Kulturstaatsminister und "Zeit"-Herausgeber. Seit heute ist er offiziell Chefredakteur des "Cicero", sein neues Büro am Potsdamer Platz mit viel Glas und Blick auf den Reichstag hat er aber schon vor einigen Tagen bezogen. Ein Gespäch über Neuanfänge, die Zeitungskrise, Online-Journalismus und Christian Morgenstern.

Was treibt Sie an, sich in einem Alter, wo andere eine neu gewonnene Freiheit genießen wollen, sich immer wieder in neue Berufs-Abenteuer zu stürzen?

Zuallererst die vielleicht fehlerhafte Überzeugung, dass ich etwas Neues machen kann. Zweitens die jeweilige Lebenssituation. Wenn ich das Gefühl habe, in einem Beruf das geleistet zu haben, was ich leisten kann und die Zukunft nur die Verwaltung dessen verspricht, was ich gemacht habe, dann droht Langeweile. Insofern versuche ich mich hier, wie Enzensberger sagte, als Äquilibrist meiner eigenen Lebensgestaltung und werfe ein paar neue Bälle in die Luft.

 

Als Journalist haben Sie mehrfach gearbeitet, zuletzt als Herausgeber der "Zeit". Insofern ist der Job nicht wirklich ein Aufbruch zu Neuem.

Das stimmt, eine Zeitschrift wie „Cicero" stellt keine neuen, revolutionären Anforderungen. Es ist nicht Rundfunk und nicht Fernsehen.

 

Und es ist nicht unbedingt die beste Zeit, um einen solchen Job zu beginnen.

Das sehe ich anders. Tageszeitungen stecken bekanntlich in einer schweren Krise, nicht nur in einer Anzeigen-, sondern auch einer Auflagenkrise. Bei einer Wochenzeitung wie der „Zeit" sieht das anders aus und auch „Cicero" hat zugelegt und ist jetzt bei einer Auflage 82000 Exemplaren. Das zeigt, das Printmedium als solches ist keineswegs abgeschrieben. Kein Zweifel, die aktuellen Information werden im Internet und über andere Quellen, wie Radio oder Fernsehen, konsumiert. Gleichzeitig bleibt aber das Bedürfnis nach Analysen und Meinungen bestehen – mit dem Vorteil, zu ihnen zurückkehren zu können. Radio und Fernsehen rauschen am Zuschauer vorbei. Die gedruckte Information, das scheint auch an unserer neuronalen Konstitution zu liegen, hat eine viel längere Verweildauer.

 

Eine Auflage von 82000 – reicht das?

Nein, ich will mehr, mindestens 100000. Dann werden wir weitersehen.

 

Wie soll das gelingen?

Durch Qualität. Das haben wir auch bei der „Zeit" geschafft.

 

Die "Zeit" gehört zum Inventar der Bundesrepublik. Aber ist "Cicero" wirklich notwendig?

Wenn ich das Gefühl hätte, es handele sich um eine Variante von "Vanity Fair" oder "Park Avenue" wäre ich nicht hergekommen. Ich glaube, es ist eine interessante Zeitschrift mit einem originellen Ansatz: kurze Artikel, opulent illustriert, hin und wieder diskussionsanregend in der ganzen Republik. Das soll so bleiben.

 

Ist es nicht zu selten gelungen, von sich reden zu machen?

Das müssen Sie meinen Vorgänger fragen.

 

Zu einem deutschen "New Yorker" ist "Cicero" auch nicht geworden.

Das war auch nicht möglich. Es gibt Zeitschriften, die das versucht haben und gescheitert sind: »Transatlantik« oder »Spiegel Reporter«. Der »New Yorker« war die meiste Zeit seiner langen Existenz ein publizistisches Zuschussgeschäft, getragen von sehr reichen Amerikanern. Ob er heute, als Teil von Condé Nast, Geld verdient, wage ich zu bezweifeln. Bei der »Zeit« war das bis Mitte der 70er Jahre auch nicht anders: Jahr für Jahr wurden zweistellige Millionenverluste eingefahren. Es war eine Durststrecke von mindestens drei Jahrzehnten, in der die »Zeit« durch Gruner und Jahr, also durch »Stern« und »Brigitte«, finanziert wurde. Das Zeitschriftengeschäft ist eines der langwierigsten Investitionsgeschäfte. Bei Lokalzeitungen ist das übrigens ganz anders. Die haben über Jahrzehnte hinweg Umsatzrenditen von bis zu 30 Prozent gemacht. Und sind jetzt immer noch im zweistelligen Bereich. Die Reaktion der Besitzer und Verleger auf die so genannte Zeitungskrise ist erschreckend, weil sie nicht verstanden haben, dass die Reduzierung von journalistischer Qualität die Auflagen noch weiter hinunter treibt und damit die Einnahmequellen aus dem Anzeigengeschäft versiegen lässt. Das ist nicht naturnotwendig. Wenn man jetzt sparen will, dann versucht man – wie es wohl bei Christian Morgenstern heißt –, einem Pferd beizubringen, nichts mehr zu fressen. Das ist ein schwieriges Training und wenn es gelungen ist, stirbt das Pferd. Leider. Gerade, wenn es den Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit erreicht hat.

 

Der „New Yorker" hat Condé Nast im Rücken. Sie mit „Cicero" Ringier.

Ja, aber eine Redaktion, die es sich gemütlich macht in der Annahme, wir müssen kein Geld verdienen, wird nicht gut sein. Wir wollen erfolgreich sein.

 

Verschiedenen Zeitungen verabschieden sich vom free content im Internet. Wie ist Ihre Strategie?

Ich war immer skeptisch gegenüber Online-Journalismus ohne Businessmodell. Wer glaubt, dass er damit Geld verdienen kann, der muss das beweisen, auch dem „Spiegel" ist es wohl nur zwischenzeitlich gelungen. Bislang weiß niemand, wie es funktionieren soll.

 

Welche neuen Ideen haben Sie für das Magazin?

Ich werde versuchen, meine Verbindungen in die USA, nach England und Frankreich zu nutzen, um das Blatt internationaler zu machen. Es wird keinen grundlegenden Relaunch geben, weil ich daran nicht glaube. Das interessiert die Leser überhaupt nicht. Joffe und ich haben als Herausgeber die »Zeit« völlig verändert, ohne das jemand das Wort Relaunch in den Mund genommen hätte. Von schwarz-weiß zum Beispiel auf durchgehend vierfarbig. Da gabs dann keine Pressekonferenz.

 

Sie klingen so, als wären Sie lieber bei der „Zeit" als bei „Cicero".

Das ist verrückt. Wieso? Ich erzähle ihnen Geschichte. Mit derselben Emphase könnte ich etwas über Rowohlt erzählen. Nein, meine Arbeit bei der »Zeit« war abgeschlossen.