Glosse

Wenn ein Problem Geburtstag hat

15. April 2015
von Börsenblatt
Secession-Verleger Joachim von Zepelin hat vor vor genau einem Jahr versucht, bei einem großen Onlinehändler ein kleines Problem zu beheben. 32 Briefwechsel und unzählige ausgefüllte Formulare später ist das kleine Problem immer noch erstaunlich lebendig.

"Heute feiern wir ein seltsames Jubiläum, einen Geburtstag oder besser einen Jahrestag, dessen Entstehen wir für wenig wahrscheinlich gehalten haben: Ein Problem wird heute ein Jahr alt. Genau genommen ist es nicht das Problem, sondern eher die Lösung des Problems, die heute ein Jahr andauert und damit nun droht, selbst zum Problem zu werden. Wir haben das alles wahrscheinlich unterschätzt und eine einfache Lösung für möglich gehalten, schließlich geht es um ein geschäftliches Problem, sogar ein Problem, das mit der Finanzwelt zu tun hat, und wo ist die Welt effizienter organisiert als in diesem zwar nicht immer leicht zu durchschauenden, aber auf schnellen Umsatz getrimmten Winkel oder besser Großreich unserer Wirklichkeit?

Apropos Großreich, das ist das andere Erstaunliche an diesem ins Jahr gekommenen Problem: Wir haben es nicht mit einer Großbaustelle wie BER oder Elbphilharmonie zu tun, nein wir haben es mit einer wirtschaftlichen Großmacht zu tun, die für aggressive Kundenorientiertheit steht, für geschmeidige New Economy, für effizienteste Logistik und die überhaupt so sehr glänzt, dass die Lackschäden der letzten Jahre kaum sichtbar sind. Wir haben nichts gegen Imperien, wir bewundern sie sogar manchmal, und wenn wir unsere sehr handgestrickten und manchmal höchst unkalkulierbaren Geschäftsprozesse (erst dieser Tage ist eine Umsatzsteuererklärung spurlos verschwunden) betrachten, sind wir vielleicht sogar ein bisschen neidisch auf die wie geschmiert verwalteten Maschinen, die Großkonzerne am Laufen halten. Da läuft wirklich sehr, sehr viel, und wie wir jetzt festgestellt haben läuft es auch sehr, sehr lang.

Ein ganzes Jahr halten wir popelige (wirtschaftlich gesehen) Kleinverleger nun schon einen unserer ganz großen Vertriebspartner auf Trab, der weltweit vor allen anderen liegt. 32 Briefe sind in den vergangenen zwölf Monaten hin und her gegangen, der erste eben an besagtem 15. April 2014. Seitdem haben wir unzählige Formulare ausgefüllt, manche zweimal, manche auf Deutsch, andere auf Englisch, wir haben Erklärungen abgegeben, wir haben (anfangs sogar klaglos) alles getan, was von uns verlangt wurde, aber als Antwort bekamen wir in der Regel ein Schreiben, das mit der Floskel begann: „Vorab ersteinmal wollen wir uns bei Ihnen für Ihre E-mail bedanken und bitten Sie um Ihre Verzeihung für unsere verspätete Rückmeldung." Wir haben verziehen, ein ums andere Mal, schließlich wurde uns ja in der verspäteten Rückmeldung mitgeteilt, dass sich der Fall „in Bearbeitung" befinde, was unsere aufkeimenden Zweifel immer wieder, aber auch immer weniger beruhigte.

Hoffnungsvoll stimmten uns nach einiger Zeit auch die Drohungen, die wir bekamen, wenn wir auf eine dieser verspäteten Rückmeldungen nicht innerhalb von zwei Tagen antworteten. Dann hieß es: »Bitte geben Sie die gewünschten Informationen über diesen Fall innerhalb von 2 Werktagen an, damit wir das Problem lösen können.« Und wenn wir die beiden Werktage verstreichen ließen, dann hieß es: »Dies ist unsere dritte und letzte Aufforderung, die gewünschten Informationen zu liefern. Wenn wir keine Antwort innerhalb von 24 Stunden erhalten, werden wir davon ausgehen, dass das Problem behoben wurde.« Schön wär's ja.

Nach etwa einem halben Jahr rief auch schon einmal jemand an, um über unser Problem zu sprechen. Der Anruf kam allerdings von einem anderen Kontinent und das gegenseitige Verständnis haperte. Die Lösung des Problems erschien danach nicht wahrscheinlicher. Wir selbst können bei unserem Großgeschäftspartner übrigens nicht anrufen, denn er hat kein Telefon, jedenfalls nicht für uns. Eigentlich dachten wir ja auch, dass das Problem schon nach vier Wochen behoben wurde, denn wir bekamen Mitte Mai 2014 eine Nachricht, in der stand, man habe unsere Bitte erfüllt und: „Der Fall ist damit geschlossen."

Nur geändert hatte sich nichts, unser Problem hatte sich stattdessen nur richtig eingenistet und war auch die folgenden elf Monate bis heute nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Wir bekamen zwar ab und an mal ein Schreiben, in dem er hieß: Schicken Sie uns noch dieses und/oder jenes Dokument ausgefüllt, dann geht alles ganz schnell. Getreulich beantworteten wir auch die Frage »If you are a non-Canadian vendor, are you performing services in Canada?« mit einem grundehrlichen »No«. Aber es nützte alles nichts, es passierte nichts, wirklich gar nichts. Die letzte Nachricht bekamen wir am 18. März. Da teilte man uns wieder einmal mit: »Vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Wir haben die Details an zuständige Abteilung weitergeleitet. Wir werden bald einen update schreiben. Vielen Dank für Ihre Mithilfe!« Dieses Bald dehnt sich nun seit knapp zwei Monaten über unser Problem, von einem Update ist noch keine Spur.

So behalten wir unser Problem, an das wir uns schon ein wenig gewöhnt haben, weil es inzwischen doch zu unseren ganz normalen Geschäftsabläufen zählt. Heute nehmen wir es nun wie einen alten Bekannten mit ins zweite Jahr und sind täglich ein bisschen mehr gespannt, wann Amazon unsere Kontoverbindung ändert. Fast ist es ja auch zum Staunen, denn wann hat je ein so kleines Problem schon einmal Geburtstag gehabt?"

Joachim von Zepelin, Verleger des Secession Verlag für Literatur