Gutenberg on demand

Auflage eins belebt Backlist und Nischentitel

14. August 2015
von Börsenblatt
Weil hohe Auflagen riskant geworden sind, lassen Verlage viele Titel nur noch auf Bestellung produzieren. Das ist nicht nur für Neuerscheinungen interessant – auch lang vergriffene Ausgaben werden so wieder verfügbar und selbst bei kleinen Stückzahlen zu einem lohnenswerten Geschäft.

Ein neu erschienenes Sachbuch bei UVK. „Book on demand", steht auf der Benachrichtigung. „Titel wird jetzt aufgrund Ihrer Bestellung gedruckt. Lieferzeit ca. 2-4 Werktage." Wenige Tage später kommt ein perfekt produziertes Buch, mit Hardcover und in Folie eingeschweißt, als wäre es einfach aus dem Lager geholt worden.

In Konstanz greift man schon lange nicht mehr auf Lagerräume zurück, mit Titeln, die bleischwer in den Regalen liegen und deren Auflage sich womöglich niemals vollständig abverkaufen lässt, weil sie nach einiger Zeit veraltet ist. „Wir waren einer der ersten Verlage, die das On-demand-Prinzip verfolgt haben", sagt UVK-Geschäftsführer Walter Engstle. „Bereits vor 15 Jahren haben wir gemerkt, dass vor allem wissenschaftliche Auflagen deutlich zurückgehen. Wenn man früher 400 bis 500 Exemplare von einem Titel per Offset gedruckt hat, wurde die Hälfte davon allein von den Bibliotheken abgenommen. Heute gilt: Wenn Sie dort 20 Exemplare platzieren können, sind Sie gut dabei."

Hinzu kommt, dass Offset-Druck unter 500 Stück noch vor wenigen Jahren finanziell undenkbar gewesen wäre. „Das hat sich geändert", sagt Engstle. Die Renditen seien sogar bei Einzelexemplaren noch in Ordnung, die Qualität im Digitaldruck selbst bei vielen Grafiken und Fotos kaum noch von Offset zu unterscheiden. „On demand ist heute wesentlich anerkannter als noch vor zehn Jahren."

Über den Wegfall der Lagerhaltung ist der Verleger „nur froh", wie er sagt. Gerade im Wissenschaftsbereich, wo manche Titel über ihren gesamten Produktlebenszyklus hinweg vielleicht nur 200 bis 300 Abnehmer finden, lohnt sich die Produktion auf Bestellung. „Kein normaler Buchhändler legt sich einen Stapel Dissertationen hin", weiß Engstle.

Wird eine Neuerscheinung bei UVK angekündigt und finden sich dafür soundso viele Vormerker, wird diese Menge am Stück gedruckt. Auch Großhändler wie Amazon lassen manchmal einige wenige Exemplare für die eigene Vorratshaltung produzieren. Trotzdem kann es passieren, dass von einem bestimmten Titel beim UVK-Fulfillment-Dienstleister Brockhaus/Commission am Montag drei Bestellungen über Amazon eingehen, am Mittwoch eine und am Freitag nochmal zwei, wie man bei UVK erfährt.

Kein Problem, sagt BoD-Geschäftsführer Gerd Robertz in Norderstedt. Dort landen die Bestellungen von UVK über Brockhaus/Commission. Als Drop-Shipment-Anbieter verschickt BoD nach dem Druck direkt im Namen des Verlags, legt Rechnung und Lieferschein bei. Alle Titel sind außerdem über das Barsortiment gelistet (Libri, KNV, Umbreit, Schweizer Buchzentrum) und damit in über 1.000 Online-Shops und im stationären Buchhandel verfügbar. Auch E-Books gehören zum Sortiment. Umgekehrt nutzen reine E-Book-Verlage das BoD-Angebot als Print-Schnittstelle und veröffentlichen bislang rein elektronische Titel immer öfter auch auf Papier.

Rund 2.000 Verlage nutzen mittlerweile die Dienste des europäischen Marktführers, der 1997 als Abteilung von Libri gegründet wurde und seit 2001 eigenständig agiert – darunter Springer, Suhrkamp oder De Gruyter. Allein diese Zahl verdeutlicht die drastischen Veränderungen im Druck- und Distributionsgeschäft.

„Wir bieten unseren Kunden die Möglichkeit, mit schlankeren Strukturen deutlich kosteneffektiver zu arbeiten", erklärt Robertz. Und auch mehr zu experimentieren: Laut BoD liegt die Schwelle, ein Buch herauszubringen, durch die On-demand-Möglichkeiten niedriger als früher, nicht nur bei Privatleuten. „Wir bemerken eine höhere Bereitschaft, Ideen umzusetzen." Auch in der Belletristik gebe es Veränderungen. Durch die Senkung der Druckpreise aufgrund der Einführung neuer Drucktechnik würden sich einerseits sehr kleine, aber auch sehr große Auflagen lohnen. „Vor allem für belletristische Titel wird das zunehmend attraktiv, da diese nun auch zu marktüblichen Preisen unter zehn Euro angeboten werden können – ab Auflage eins", heißt es bei BoD. „Print on demand ist darüber hinaus eine risikofreie Lösung insbesondere für langsam drehende Dauerseller, wissenschaftliche und individualisierte Titel und für die Erstellung von Erst- und Nachauflagen mit kleiner Stückzahl."

Generell führe die wachsende Titelvielfalt in einem stagnierenden Gesamtmarkt zu geringeren Auflagen pro Titel. „Die zunehmende Popularität von E-Books verstärkt diesen Trend noch", so Robertz. „Die Folge sind immer kürzere Lebenszyklen der Bücher." Gleichzeitig werden manche vergessenen Schätze wieder zum Leben erweckt und theoretisch unbegrenzt verfügbar gemacht: Dazu digitalisiert BoD großflächig Backlists von Verlagen und kann nach eigenen Angaben von seinen Servern derzeit 1,5 Millionen Titel quasi über Nacht in gedruckter Version liefern – eine Verdreifachung binnen vier Jahren. Für einen Kunden habe BoD 277 vergriffene Titel auf diese Weise wieder aufgelegt, die dann auch fast alle verkauft worden seien, insgesamt rund 87.000 Stück. „Dieser Verlag hat sich Umsätze erschlossen, die er sonst nicht gehabt hätte. Außerdem dient das Procedere der Sicherung von Rechten."

Während die Midlist beim Umsatz an Bedeutung verliert, werden Backlist- und Nischentitel auch dank des Online-Buchhandels immer wichtiger, heißt es. Bei UVK hat man das Angebot aktuell zehn Jahre zurückdigitalisiert. „Im Rahmen von Wissenschaft und Ausbildung ist natürlich ein Buch über den Journalismus mit Statistiken von vor sieben Jahren veraltet", sagt Walter Engstle. „Aber beim Thema Mittelalter passiert nicht mehr so viel, da können wir im Prinzip unendlich weiter verkaufen."

Bis zu 20.000 Exemplare kommen bei BoD in Norderstedt täglich aus den Maschinen, über drei Millionen im Jahr. Manche einzeln, manche im Dutzend, manche in noch viel größeren Mengen. Und alle in den richtigen Farben, mit dem richtigen Einband und Format. An der mitunter ein, zwei Tage längeren Lieferzeit stört sich niemand. Was das mit der Druckbranche macht, steht auf einem anderen Blatt.

 

On demand für Self-Publisher

Das E-Book werde das Veröffentlichen demokratisieren, hieß es noch vor wenigen Jahren. Durch die genannten Entwicklungen im On-demand-Geschäft gilt dies längst auch für gedruckte Bücher. Mehr als 30.000 Autoren haben sich bislang für eines der BoD-Pakete entschieden, mit denen sie bereits rund 63.000 Titel auf den Markt gebracht haben, von Kleinst- bis zu hohen fünfstelligen Auflagen. Als Full-Service-Anbieter gibt es bei BoD auch Angebote für Lektorat oder Layoutgestaltung. Außerdem werden die Titel auf Wunsch im VLB und den Katalogen der Großhändler gelistet und sind somit über jede Buchhandlung und jeden Online-Versand erhältlich. Für die kommenden Jahre erwartet das Unternehmen weiter deutliche Zuwächse in den Auftragsvolumen: „Bei E-Books rechnen wir in Deutschland mit einem jährlichen Titel-Marktwachstum von 54 Prozent. Ausgehend von 31.000 neuen Titeln in 2013 werden 2017 etwa 175.000 neue Titel von Self-Publishern erscheinen. Für den Printbereich rechnen wir mit einem Wachstum von 34 Prozent pro Jahr – von 22.000 Neuveröffentlichungen in 2013 auf über 71.000 Titel in 2017."