Herbst-Favoriten der Kritiker

Entdeckerfreuden

12. Juni 2018
von Isabella Caldart
Jede Saison literarische Wunder? Aber ja! Wir haben drei Kritiker gefragt, auf welche Titel sie sich in diesem Herbst am meisten freuen.  

Volker Weidermann, Gastgeber des "Literarischen Quartetts" im ZDF

"Das Beste wird der Schwerpunkt der Buchmesse: Georgien! Ich war noch nie da, kenne das Land nur aus Büchern – kenne es also besonders gut – und es scheint mir ein sehr literarisches Land zu sein. Auf 'Die Katze und der General' (FVA), den neuen Roman der phänomenalen Nino Haratischwili, freue ich mich besonders, auf Zaza Burchuladzes 'Der aufblasbare Engel' (Aufbau) ebenfalls und auf all die anderen Georgier, die die Verlage in ihre Programme gewürfelt haben. Eigentlich wollte ich vor der Messe auch hinfahren – aber jetzt denke ich: Lesend ist es einfach genauer. Und da kenne ich mich auch besser aus. Nach erster Katalog­betrachtung interessieren mich zudem das Kinderbuch 'Die Mitternachtstür' von Dave Eggers (Fischer), 'Karl oder der letzte Kommunist' von Eberhard Rathgeb (Hanser), der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger, 'Kriegslicht' von Ondaatje, der letzte Band von Virginie Despentes' 'Subtuex' (KiWi), 'Feuilletons' von Wolfgang Koeppen (Suhrkamp), die Erzählungen von Frank Schulz (KiWi), 'Sechs Koffer' von Maxim Biller (KiWi) und die Liebesbriefe von Napoleon. Der Herbst kann kommen."

Mara Delius, Leiterin der "Welt"-Beilage "Literarische Welt"

"Besonders gespannt bin ich auf die neue Version von Jonathan Littells 'Eine alte Geschichte' (Hanser Berlin). Littell, Meister des ästhetisierten Bösen, erzählt von einem Labyrinth aus Sex, Macht und Gewalt. Olivier Guez' 'Das Verschwinden des Josef Mengele' (Aufbau), in Frankreich kontrovers diskutiert, handelt vom Abtauchen des SS-Mediziners in Südamerika; beides Romane, die sich mit der Macht des absoluten Bösen auseinandersetzen. Annie Ernaux' 'Die Jahre', eine Verbindung aus auto­biografischer Skizze und Gesellschafts­porträt aus Sicht einer Frau, hat mich beeindruckt, daher freue ich mich auf ihr Werk 'Erinnerung eines Mädchens' (Suhrkamp). Peter Sloterdijks 'Notizen' (Suhrkamp) kann man ebenfalls als eine Mischung aus Theorieskizze, intellektuellem Gala-Gossip und Gesellschaftsroman unserer Tage lesen. Péter Nádas (Rowohlt) und der Briefwechsel von Enzensberger und Bachmann (Suhrkamp) sind so groß und großartig, dass man ohne weiteren Grund neugierig ist. Und Jeffrey Eugenides gilt als amerikanischer Epiker, umso interessanter ist es, zu sehen, wie seine Erzählungen (Rowohlt) sind."

Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg

"Es hat sich sofort eingestellt, dieses vertraute Kribbeln im Bauch (und im Kopf), kaum, dass ich begonnen hatte, die Herbstvorschauen zu studieren. Große Romane kündigen sich da an, vielversprechende Erzählbände ... Bücher, auf deren Lektüre ich mehr als neugierig bin. Denn wer als Kritiker nicht hofft, in jeder Saison auf ein literarisches Wunder zu stoßen, ist in seinem Metier fehl am Platz. Zu meinen ersten Lektüren werden Michael Ondaatjes 'Kriegslicht' (Hanser) und der Roman 'Launen der Zeit' (Kein & Aber) der hierzulande immer noch unterschätzten Anne Tyler gehören. Und natürlich bin ich – hätte man früher gesagt – gespannt wie ein Flitzebogen, was sich die kreative Judith Schalansky für ihr neues Buch, 'Verzeichnis einiger Verluste' (Suhrkamp), ausgedacht hat. Und zuletzt will ich im Herbst lyrisch kulinarisch zuschlagen, mit Christian Maintz’ Anthologie 'Vom Knödel wollen wir singen' (Kunstmann). Auf mein eigenes neues Buch freue ich mich übrigens auch, aber das gehört nicht hierher.