Indiebook.de legt los

Mehr als die Summe der einzelnen Teile

3. Juli 2015
von Nils Kahlefendt
Pünktlich zum Sommeranfang ging Indiebook.de an den Start. Initiator Martin Stamm will es zu dem Portal für unabhängige Verlage und engagierte Buchhandlungen ausbauen. Der erste Eindruck: sympathisches Projekt - mit reichlich Luft nach oben.

Sichtbarkeit beim Endverbraucher und im Sortiment, neudeutsch visibility, ist für kleine unabhängige Verlage das A und O. Initiativen wie die gemeinnützige Kurt Wolff Stiftung (KWS) oder die Hotlist der unabhängigen Verlage verstehen sich als Wahrnehmungs-Verstärker für die Indies und ihre Produktionen. Die KWS wurde im Herbst 2000 von unabhängigen Verlegern und dem damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Michael Naumann, gegründet; ihr Anliegen verwirklicht sie unter anderem durch die regelmäßige Vergabe des Kurt-Wolff-Preises. 2009 wurde in einer spontanen Aktion von 20 Verlagen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz die Hotlist erfunden - eine „dadaistische Geste“ und „rotzfreche Chuzpe“,  die nicht nur Denis Scheck beeindruckte, der die Moderation der ersten Preisverleihung übernahm. 2013 initiierte der Hamburger Mairisch Verlag den Indiebookday, einen seitdem jährlich am 21. März stattfindenden Aktionstag für Bücher aus unabhängigen Verlagen.    

Die Idee zu einer Internetplattform, die Leser, aber auch Buchhändler über den Kosmos der unabhängigen Verlage informiert, hatte Martin Stamm nicht exklusiv – aber schon ziemlich lange. Und er hat sich, während andere noch Projekte schmiedeten, früh die Domain Indiebook.de gesichert. Bis zum Sommer 2010 hat er selbst als Buchhändler gearbeitet, bei Dichtung & Wahrheit (München) waren Indies ein wichtiger Schwerpunkt. 2011 baute Stamm unter dem Label Indiebook das Backoffice für drei Vertreterinnen auf. Heute haben Nicole Grabert, Regina Vogel und Christiane Krause zusammen knapp 60 Verlage in der Tasche und besuchen deutschlandweit über 600 Buchhandlungen. Die Idee eines prinzipiell für alle Verlage offenen Portals spukte indes weiter durch Stamms Kopf. Als sich die Pläne konkretisierten, zog Stamm mit dem Büro auf eine andere Domain. Zur Frankfurter Buchmesse 2013 stellte er das Portal-Projekt Indiebook.de bei der Kurt Wolff Stiftung vor. Dass die Seite nun, online gehen konnte, verdankt sich einer Anschubfinanzierung des BKM. Die KWS und namentlich Verleger Stefan Weidle haben ordentlich getrommelt und diverse Türen geöffnet.

Paradoxer Weise ging ein Teil der Fördersumme für rechtliche Auseinandersetzungen im Vorfeld drauf. Die vielleicht kurioseste: Als Stamm die Wort-Bild-Marke Indiebook.de schützen lassen wollte, rief das die Anwälte von Facebook auf den Plan. Zuckerbergs Advokaten witterten den Aufbau eines sozialen Netzes, eine Art Gegen-Facebook. „Im Nachhinein eigentlich eine lustige Idee“, findet Stamm, der solche Pläne nie hatte. Um sie umzusetzen, hätte man ein recht dickes Sparschwein schlachten müssen. Die Sache ist inzwischen vom Tisch.

Indiebook.de hat das Ziel, „das relevante Portal für unabhängige Verlage und unabhängige, engagierte Buchhandlungen“ im deutschsprachigen Raum zu werden. Derzeit hat die Plattform drei Bereiche:

  • Auf den einzelnen Verlagsseiten werden zum Frühjahr und Herbst jeweils zwei Novitäten ausführlich vorgestellt. Dazu gibt es die Top 10, die Verlagsdaten, den Link zur jeweiligen Website und die Vorschauen zum Download. Hinsichtlich der Aufnahmekriterien hält sich Stamm „weitgehend“ an die Kriterien der KWS, will sich jedoch die Freiheit nehmen, notfalls „davon abzuweichen“. Für die medial boomenden Digitalverlage gibt es noch keinen Plan. Verlage sollen für die Präsenz auf Indiebook.de eine Jahresgebühr von 360 Euro berappen. Weniger als ein Euro pro Tag, aber: Vermutlich ist das der Hauptgrund, warum beim Start erst 34 Verlage mit von der Partie waren. Zwei Drittel von ihnen rekrutieren sich aus dem Fundus des Indiebook-Vertreterbüros. Stamm wollte eigentlich mit 60 Verlagen starten und sieht mittelfristig Potenzial für „100 bis 120“. In der Schweiz lief die Akquise eher zäh, die Kollegen von SWIPS würden angesichts des starken Franken derzeit „drei Mal überlegen, wofür sie Geld ausgeben“. Aus Österreich sind die Verlage Jung und Jung, Literaturverlag Droschl und Mandelbaum dabei.
  • Im Buchhandelsbereich sollen die wichtigen unabhängigen und engagierten Buchhandlungen zu finden sein, alphabetisch nach Ort sortiert. Soweit die Buchhandlung über eine eigene Webpräsenz verfügt, wird dorthin verlinkt. Die Präsenz ist kostenfrei, wer als Sortimenter aufgenommen werden will, benötigt jedoch mindestens eine Empfehlung. Auch hier gibt es reichlich Luft nach oben; momentan ist Stamm vor allem auf die Tipps seiner Vertreterinnen angewiesen.
  • Komplettiert wird das Portal durch das Magazin: Hier wollen die Macher querbeet und ohne Scheuklappen rund um das Thema unabhängige Verlags- und Bücherwelt berichten. Momentan dominieren Buchtipps aus der Feder der vormaligen Hotlist-Blogger Meinolf Reul (Kevelaer, Berlin) und Senta Wagner (Wien); ein Beiträger aus der Schweiz wird noch gesucht. Dafür ist als Kolumnist Libelle-Verleger Ekkehard Faude mit an Bord - der in seinem ersten Text unter anderem enthüllt, dass es die Kollegen vom BuchMarkt waren, die den Begriff „Independents“ in den frühen 90ern aus der Musikszene herübertransferierten: Klang irgendwie sexier als das possierliche „Kleinverlag“. Künftig möchte Indiebook.de punktuell auch über andere Indie-Kultur-Bereiche – Musik, Theater und Film – berichten. Braucht es das? Vielleicht wäre man gut beraten, für den Anfang bei den eigenen Leisten zu bleiben. In ausreichender Schlagzahl und spannenden Formaten für die literarische Indie-Szene zu begeistern ist – eigentlich - ein Fulltime-Job. Wer ihn gut machen will, braucht einen langen Atem. 

 

Statt auf teure Werbung, die man sich eh nicht leisten kann, setzt Martin Stamm aufs – aufgrund mannigfaltiger Verlinkungen – gute Google-Ranking. Die Verleger-Reaktionen in der ersten Woche reichen von ungetrübter Begeisterung („Endlich!“) bis zu gesunder Skepsis, was die Plattform wirklich bringt. Aus der latenten Nähe zum Vertreterinnen-Büro sollte man Stamm keinen Strick drehen: Dass man ein neues Projekt zunächst mit denen vorantreibt, mit denen man bereits eng zusammenarbeitet, scheint nachvollziehbar. Schwerer scheint eine strukturelle Frage zu wiegen: Ist die  Portal-Idee in social-media-getriebenen Zeiten noch zeitgemäß? Das mit immensen Bundesmitteln geförderte Marbacher Großprojekt literaturportal.de etwa ist 2012 abgeschaltet worden. Stamm verweist auf den Mehrwert, der für die oft in alle Winde verstreuten Indies durch die gemeinsame Web-Präsenz entsteht: Von Querverbindungen, unerwarteten Entdeckungen sollen alle profitieren. Indiebook.de will mehr sein als die Summe seiner einzelnen Teile. Martin Stamm hat sich viel vorgenommen. Jetzt muss er liefern.