Internationale ISBN-Agentur

"Bei Standards schlummert enormes Potenzial"

20. September 2013
von Börsenblatt
Wie kann die ISBN mit der Digitalisierung Schritt halten? Ein Interview mit MVB-Chef Ronald Schild, der vor kurzem zum Chairman des weltweiten ISBN-Netzwerks gewählt worden ist.

Chairman der Internationalen ISBN-Agentur – wie wird man das?

Schild: Wie bei vielen Ämtern: In dem man nicht schnell genug "Nein" sagt. Aber im Ernst: Die internationale ISBN-Agentur hat ein Board - eine Art Aufsichtsrat, der aus acht Mitgliedern besteht und von den nationalen ISBN-Agenturen gemeinsam gewählt wird. Aus diesem Board heraus, dem ich bereits seit fünf Jahren angehöre, wird der Chairman berufen. Ich weiß daher ziemlich genau, was auf mich zukommt.

Viel Arbeit, wenig Ehr?

Schild: Zum Glück liegt das Tagesgeschäft ja in den Händen einer hauptamtlichen Geschäftsführung. Sie pflegt den Kontakt zu den nationalen Agenturen, klärt Streitfälle mit Verlagen. Board und Chairman sind dazu da, die Geschäftsführung zu begleiten und grundlegende strategische Entscheidungen zu treffen, die dann vom Team der Internationalen Agentur umgesetzt werden. Der Aufwand hält sich hoffentlich in Grenzen, aber: Eine Ehre ist die Position des Chairmans für mich durchaus, denn genau das ist es - ein Ehrenamt auf internationaler Ebene.

Was steht in Ihrer Amtszeit an?

Schild: Die ISBN ist ein ISO-Standard und wird deshalb turnusgemäß überarbeitet. Weil das E-Book bei der letzten Revision 2007 noch in den Anfängen steckte, wollen wir die nächste Neugestaltung nun zeitnah angehen. Das haben wir gerade im Board gemeinsam entschieden. Durch die elektronischen Entwicklungen hat sich eben doch vieles verändert. Es gibt viele offene Fragen, die einfach geklärt werden müssen.

Wo drückt der Schuh, gerade in digitalen Zeiten?

Schild: Ein Punkt auf der langen Liste: Der digitale Markt wird immer kleinteiliger und schneller. Verlage gehen dazu über, einzelne Kapitel oder Texte zu verkaufen. Dafür braucht man einen Identifier – aber soll das nun die ISBN oder eher ein anderer Standard sein? Darauf wollen und müssen wir ebenso eine Antwort finden wie auf die Frage, ob jedes digitale Format seine eigene ISBN haben muss oder ob es pro E-Book-Familie nur eine einzige ISBN gibt.

Welche Position hat die deutsche ISBN-Agentur?

Schild: Wir propagieren eine gesonderte ISBN pro Format. Daraus ergibt sich allerdings direkt die nächste Frage: Was sind eigene Formate? Fallen darunter auch E-Pubs, die auf unterschiedlichen Plattformen mit unterschiedlichem Kopierschutz angeboten werden? Oder sind es eher die Nutzereigenschaften, die ein neues Format und damit eine neue ISBN rechtfertigen – etwa die Möglichkeit, ein E-Book auszudrucken oder es an Freunde und Bekannte weiterzugeben? Auch die Frage, ob die ISBN nun ein reines Händlerinstrument ist oder ob sie darüber hinaus auch dem Verbraucher Orientierungshilfe auf dem digitalen Markt geben sollte, bedarf einer eingehenden Klärung. Denn danach richtet sich ihre Ausgestaltung.

Die ISBN ist vor mehr als 40 Jahren für den Printmarkt entwickelt worden. Wird sie im digitalen Zeitalter noch wichtiger?

Schild: Ob sie wichtiger ist als früher, lässt sich schwer beantworten. Aber sie ist heute sicher mindestens genauso wichtig – und vor allem: Ihre Einsatzmöglichkeiten sind noch vielfältiger.

Wird die Buchwelt merken, dass jetzt ein deutscher Chairman bei der internationalen ISBN-Agentur am Ruder ist? Oder anders gefragt: Gibt es spezifisch deutsche Interessen?

Schild: Nein, ein Standard, der seit über 40 Jahren etabliert ist, lebt von Kontinuität. Und Kontinuität ist auch mein Ziel als Chairman, zumal die Politik der internationalen ISBN-Agentur schon seit Jahren sehr stark europäisch geprägt ist, zuletzt durch meinen Vorgänger Julian Sowa aus Großbritannien.

170 Nationen sind dabei. Wie schwer ist der Interessensausgleich? Gibt es Konfliktfelder?

Schild: Die Meinungsfreiheit ist in den Ländern dieser Welt sehr unterschiedlich ausgeprägt und teilweise kaum oder gar nicht vorhanden. Es ist uns ein großes Anliegen, dass die ISBN nicht zu Zwecken der Repression und Zensur eingesetzt wird.

Und wie entscheidet die internationale ISBN-Agentur im Zweifelsfall?

Schild: Die Entscheidung fällt in manchen Fällen sehr schwer. Aber die Mehrheitsmeinung in der Ländergemeinschaft lautet: Die ISBN ist ein Katalysator für die Verlagslandschaft und fördert damit letztlich den Schritt in Richtung Meinungsfreiheit und Demokratie.

Wie intensiv ist der Austausch zwischen den nationalen Agenturen? Kann hier einer vom anderen lernen?

Schild: Deutschland ist häufig Vorbild für andere, weil wir die längste Erfahrung und damit gut dokumentierte, gut ausgearbeitete Prozesse mitbringen. Die Vertreter junger ISBN-Agenturen kommen bei uns vorbei, schauen sich unsere Organisation an. Außerdem ist die deutsche ISBN-Agentur seit Kurzem internationale Sammelstelle für alle Fragen, die nicht eindeutig im Standard selbst oder im Handbuch geklärt sind. Wir wollen von Frankfurt aus den Wissenstransfer zwischen den Agenturen stärken.

Die ISBN-Familie hat Zuwachs bekommen – mit der ISBN-A. Wird der neue Standard mit Internet-Verknüpfung von den Verlagen ausreichend genutzt?

Schild: Sagen wir so: Ich würde mir von den Verlagen mehr Neugier und Offenheit für neue Standards wünschen - und für die Möglichkeiten, die darin stecken. Das Geschäft mit Standards gilt immer als etwas langweilig, dabei ist die ISBN wahrscheinlich das wichtigste Rationalisierungsinstrument, das die Buchbranche in den vergangenen vier Jahrzehnten hervorgebracht hat – ein Weg, den man heute mit der ISBN-A, aber auch mit dem ISTC, dem International Standard Text Code, weitergehen könnte. Für die Verlage ist damit natürlich immer auch Arbeit verbunden, weil neue Standards in Verlagsprozesse eingreifen. Trotzdem: Hier schlummert ein enormes Potenzial, das wir alle unbedingt nutzen sollten.

Zum Hintergrund

  •  Die Internationale ISBN-Agentur hat ihren Sitz in London. Zu ihren Aufgaben gehört es, den weltweiten Einsatz der Internationalen Standard-Buchnummer zu fördern und zu koordinieren (www.isbn-international.org). 170 Länder und Territorien sind offiziell Mitglieder des ISBN-Systems.
  • Die Geschäfte der Agentur werden von Stella Griffiths (Executive Director) geführt. Ihr steht ein Board aus acht gewählten Mitgliedern nationaler ISBN-Agenturen sowie fünf Vertretern internationaler Organisationen zur Seite, die strategische Eckpunkte für die Weiterentwicklung der ISBN vorgeben und von der Vollversammlung gewählt werden.
  • Die deutsche ISBN-Agentur ist bei der MVB angesiedelt, der Wirtschaftstochter des Börsenvereins. MVB-Chef Ronald Schild gehört dem Board der internationalen Agentur seit fünf Jahren an und ist am 10. September zum Chairman berufen worden. Als Nachfolger von Julian Sowa (Großbritannien) ist er damit oberster Repräsentant in Sachen ISBN.