Internationales Literaturfestival

Tränen in Berlin

21. September 2010
von Börsenblatt
Der argentinische Schriftsteller Alan Pauls zu Gast beim Internationalen Literaturfestival Berlin. Ein Gespräch über sein Buch "Die Geschichte der Tränen" und die "Kultur des Weinen" in Argentinien.

Der Journalist Florian Borchmeyer seufzte: Rund sechzig Schriftsteller seien zum Argentinien-Schwerpunkt der kommenden Frankfurter Buchmesse eingeladen, das sei doch zweifellos eine Überforderung. Gut fand er aber, dass bereits vorab, nämlich während des zehnten Internationalen Literaturfestivals Berlin, ebenfalls einige lateinamerikanische, insbesondere argentinische Autoren in der Hauptstadt zu Gast sind. Alan Pauls zum Beispiel. Dieser 1959 geborene Schriftsteller, Kulturjournalist und Drehbuchautor war es nämlich, den Borchmeyer so anmoderierte. Pauls erhielt für seinen 2003 erschienenen Liebesroman „El pasado" (dt. „Die Vergangenheit", Klett-Cotta 2009) einen der angesehensten Literaturpreise im spanischsprachigen Raum, den Premio Herralde de Novela, auch in Deutschland machte das Buch Furore. Im Instituto Cervantes aber stellte er seinen jüngsten Roman vor, die „Geschichte der Tränen" (Klett-Cotta 2010). Es ist der erste Band einer Trilogie über die 60er und 70er Jahre in Argentinien. Pauls erzählt darin von der politischen Sozialisierung eines Jungen, der 1973, am Tag des Militärputsches gegen Salvador Allende, dreizehn Jahre alt ist. Genau so alt wie damals Pauls übrigens. Während der Live-Fernsehübertragung aus dem brennenden Präsidentenpalast in Santiago erfasst diesen Jungen glühender Neid auf einen älteren Freund: Denn während es diesen angesichts des ermordeten Präsidenten in einem Weinkrampf geradezu schüttelt, bleiben seine Augen vollständig trocken.

 

Moderator Borchmeyer fand nun, das Bild der Weinenden in diesem Roman sei habe etwas burleskes, die Tränen wirkten zuweilen scheinheilig. Und tatsächlich bekannte sich Pauls zu einer kritischen Haltung gegenüber der politischen „Kultur des Weinens" in Argentinien, er will durch seinen Roman den großen Gestus des Erinnerns an die Militärdiktatur hinterfragen. Gegen das Weinen als ein Element des persönlichen Austauschs zwischen Menschen hat er aber nichts: „Ich muss gestehen, ich tue es sogar sehr oft. In den vergangenen 16 Tagen hier in Berlin habe ich es insgesamt sogar schon drei Mal getan."

 

Nun, der Grund dafür wird ganz gewiss nicht das zehnte Internationale Literaturfestival Berlin gewesen sein. Im Jubiläumsjahr 2010 werden hier noch bis zum 25. September 279 Autoren aus 65 Ländern präsentiert, im Haus der Kulturen der Welt und an insgesamt 30 weiteren Veranstaltungsorten in Berlin. Ein „Fokus Osteuropa" wird ausgerichtet, Autoren wie Herta Müller, Juri Andruchowytsch, Wladimir Sorokin oder Ilja Trojanow sind unter anderem zu Gast. Insgesamt sind es 232 Veranstaltungen, mit 86 Moderatoren und 27 Dolmetschern. Auch das eine Überforderung, gewiss. Über die man aber doch allenfalls seufzt, um sich ihr dann umso ungehemmter, freudiger, bedingungsloser hingeben zu können.