Interview

Management by Playmobil

22. Oktober 2015
von Nils Kahlefendt
Stefanie Krügl (HR Innovation) über die Kultur der Unternehmen von Morgen, den richtigen Methoden-Werkzeugkoffer und Playmobil-Figuren im Startup-Alltag. 

Bye, bye Hierarchie, es lebe die agile Selbstorganisation: Noch nie war die Organisationskultur für den Erfolg eines Unternehmens so entscheidend wie in unseren digitalen Zeiten. Startups benötigen die Fähigkeit, schnell Konzepte zu erstellen, diese flexibel anzupassen, zu testen, und gleichzeitig Mitarbeiter, Kunden und Investoren im Blick zu behalten. Die gelernte Buchhändlerin, studierte Buchwissenschaftlerin und Unternehmensberaterin Stefanie Krügl beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie man die Herausforderungen in der Geschäftswelt durch Kulturanpassung meistern kann. Zu den Buchtagen in Berlin bietet die Mitbegründerin des Netzwerks HR Innovation gemeinsam mit Daniel M. Richter (Insight Innovation) exklusiv für die Mitglieder des Startup Clubs einen Workshop an: Ein praxistaugliches Methoden-Toolkit, mit dessen Hilfe man rasch Konzepte entwerfen, aus verschiedenen Perspektiven betrachten und in der täglichen Arbeit kontinuierlich anpassen kann. Kurz vor den Buchtagen haben wir Stefanie, eben unterwegs zu einem Open-Data-Workshop im Innenministerium, telefonisch erreicht - im ICE von ihrer Heimatstadt Nürnberg nach Berlin.

Stefanie, Du hast vor zweieinhalb Jahren selbst ein Startup gegründet. Mit welcher Idee?

Stefanie Krügl: Ich komme ursprünglich aus der Beratung; ich habe seit 1998 Unternehmensberatung mit Schwerpunkt Verlag gemacht, danach Strategie. Und hatte schon lange sehr viele Kontakte zu Startups - und auch immer wieder die Idee, selbst etwas zu gründen. Ende 2012 habe dann ein Kultur-Startup gegründet, die Ticketing-Plattform Panoti. Private und kommerzielle Anbieter können ihre Veranstaltungen und Dienstleistungen kostenlos im eigenen Shop präsentieren und bewerben. Gebühren fallen erst bei Ticketverkäufen an. Menschen auf der Suche nach neuen Erfahrungswelten finden hier spannende Events und hilfreiche Dienstleistungen.

Du betonst, dass Du mit der eigenen Firma eine völlig andere Art von Unternehmenskultur lebst - wie muss man sich das vorstellen?

Krügl: Bei uns ist jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin für seinen Bereich absolut eigenständig verantwortlich. Es gibt keine Arbeitszeiten, es gibt auch keine Hierarchien. Es gibt nur die Möglichkeit, sich Hilfe zu holen und sich gegenseitig zu unterstützen. Das heißt, wenn bei uns ein Student neu reinkommt, wird er erst mal sechs Wochen angelernt, bekommt dann eigenverantwortlich einen Bereich, den er auch eigenständig betreut - und bei dem er auch für alle Fehler geradestehen muss. Er kann immer kommen, wenn er Hilfe braucht - aber es redet ihm tatsächlich niemand rein. Man übernimmt also ganz früh wirklich Verantwortung. Wir haben z. B. eine junge Mitarbeiterin, die hat Administrator-Zugriff auf das Backend des Marktplatzes - sie könnte theoretisch auch alles löschen, wenn ihr das in den Sinn käme. Sie betreut eigenständig die Suchmaschinen-Optimierung, die Optimierung des Angebots, das Einstellen von Payment-Dienstleistern und so weiter - alles, was bei uns technisch anfällt. Sie kann Sachen verändern, ohne zu fragen - sie muss uns nur informieren.

Und das funktioniert?

Krügl: Wir fahren damit sehr gut. Unsere Mitarbeiter identifizieren sich dadurch extrem mit dem, was sie tun. Wir müssen uns weniger darum sorgen, dass sie arbeiten - sondern dass sie ein Ende finden. Wenn ich sehe, dass nachts um zwei jemand anfängt, Postings für uns zu machen, wird’ kritisch. In Prüfungszeiten nehmen für unseren Studenten schon mal die Firmenlaptops ab. Es ist tatsächlich so, dass sie das, was sie machen, sehr gern tun. Sie sehen, dass sie mit dem, wofür sie selbst verantwortlich sind, Erfolg haben - und machen dann im Zweifelsfall zu wenig für die Uni. Da stehen wir in der Verantwortung, auch mal den Stecker zu ziehen. Bei uns geht's dann weiter, wenn die Prüfung bestanden ist.

Was ist die wesentlichste Erfahrung in der Panoti-Gründungsphase, die du anderen Startups mitgeben würdest?

Krügl: Man darf sich nichts vormachen und sollte nicht blauäugig loslaufen. Es ist unglaublich schwer, ein Internet-Startup zu gründen. Viele stellen sich das wahrscheinlich zu simpel vor: Eine tolle Website ins Netz stellen, und dann war's das? Vergiss es! Man braucht eine extreme hohe Stress-Resistenz, muss sich permanent auf Neues einlassen. Das ist unglaublich spannend - aber man muss es auch wollen! Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren so viel gelernt wie in meinem ganzen bisherigen Leben nicht - bwohl ich schon Jahre als Unternehmensberaterin gearbeitet habe.

Für den Startup Club planst Du ein Methoden-Mashup, in dessen Verlauf die Workshop-Teilnehmer nicht nur verschiedene Business-Develeopment-Methoden kennenlernen, sondern diese auch im Schnelldurchlauf durchspielen können. Was erwartet uns da?

Krügl: Unser Workshop fokussiert vor allem auf die Beziehungen zum Kunden. Wir werden nicht mit Geschäftsmodellen arbeiten, weil viele Startups das schon gemacht haben. Wir bieten etwa eine Customer Journey - dort lernen die Teilnehmer den Weg des Kunden vom Erstkontakt bis in den After-Sales-Prozess hinein kennen: Wo sind die ersten Berührungspunkte, die ein Kunde mit dem Unternehmen haben könnte? Wie kommt ein erstes Geschäft zustande? Wie wird der Service strukturiert? Dadurch, dass wir das aus Kunden- und Unternehmenssicht parallel durchgehen, merkt man sehr schnell, wo es im Service-Prozess hakt - und wo nachjustiert werden muss.

In euren Workshops arbeitet ihr gern mal mit Playmobil-Figuren. Hilft diese Art der Visualisierung von Prozessen auch in der unternehmerischen Praxis?

Krügl: Auf jeden Fall. Wir arbeiten ständig an unserem Geschäftsmodell. Wir haben ein Business Model Canvas an der Wand hängen, an dem wir permanent Post-its umhängen - und uns überlegen, wo wir noch mal anders an den Markt gehen können. Manchmal, wenn's auf dem Papier für uns noch nicht passt, bauen wir in Lego oder stellen Beziehungsgefüge mit Playmobil-Figuren dar. Erst wenn wir das wirklich ganz sinnlich in den Köpfen haben, geht es an die technische Umsetzung. Das Konzept muss so weit stehen, dass es für uns und den Kunden funktioniert - auch monetär.

Es gibt keinen Königsweg, es geht um die kreative Mischung einzelner Methoden?

Krügl: Es kommt immer darauf an, wohin man gerade den Blick richtet. Ein Startup hat so viele verschiedene Anforderungen zu bewältigen, dass man einen ganzen Methoden-Baukasten braucht.

Den perfekten, auf jede Situation anzuwendenden Werkzeugkoffer gibt es dabei vermutlich nicht. Was sind Elemente, die Innovation innerhalb von Organisationen begünstigen?

Krügl: Das Wichtigste ist, die Unternehmenskultur so aufzubauen, dass Innovationen überhaupt möglich sind. Dazu brauchen die Mitarbeiter vor allem eins: Freiraum. Man muss nicht unbedingt so weit gehen, wie wir das bei Panoti tun. Aber: Je freier die Mitarbeiter sind, desto besser können sie Innovationen entwickeln. Eine gute "Fehlerkultur" ist ebenfalls wichtig: Man ist nicht innovativ, wenn man nichts Neues ausprobieren kann - aus Furcht vor eventuellen Sanktionen.

Ein Ansatz, der sich auch in größeren Konzernstrukturen immer weiter durchsetzt? Von Startups lernen heißt: siegen lernen?

Krügl: Auf jeden Fall. Ich arbeite ja parallel nach wie vor als Unternehmensberaterin. Und mache genau das auch in großen Unternehmen. Diese Unternehmen sind sehr interessiert an den Methoden - agile Unternehmensführung ist ja inzwischen ein Schlagwort, dass man auch in Konzernen immer häufiger hört.

Meint man es dort ernst? Oder wollen die nur spielen?

Krügl: Die müssen das ernst meinen. Wenn sie nicht langfristig anders arbeiten, werden sie in den nächsten zehn Jahren von der Konkurrenz aus Asien und den USA überholt werden! Wenn man die Innovationsfähigkeit eines durchschnittlichen deutschen Mittelständlers mit, sagen wir: Google vergleicht - dann muss man nicht lange nachdenken: Wenn das Innovations-Tempo bei uns nicht anzieht, wird es Probleme geben.

Stefanie Krügl ist gelernte Buchhändlerin und studierte Buchwissenschaft an der LMU München. Seit 1998 ist sie als Unternehmensberaterin tätig. In zahlreichen Management- und Personalberatungsprojekten – vom Existenzgründer bis zum internationalen Konzern - hat sie Unternehmenskultur- und Strategiethemen begleitet. Bei der Gründung ihres eigenen Startups Panoti im Dezember 2012 lernte sie viel über alternative Formen der Zusammenarbeit und begann sich gezielt mit neuen Formen von Organisationskultur zu beschäftigen.

Als Vorstand Business des openBIT e.v.engagiert sie sich intensiv für die Themen Zukunft der Arbeit, Privacy und Open Source. Stefanie ist Mitgründerin von HR Innovation, einem Netzwerk, das über neue Formen der Zusammenarbeit informiert und sich dafür engagiert, Arbeitgebern den Nutzen von Kulturveränderungen näher zu bringen. Gemeinsam mit Daniel M. Richter und Dirk Murschall hat sie 2014 den Book Sprint Gemeinsam Unternehmenskultur umdenken organisiert. Sie ist Mitgründerin der Insight Innovation Press und eine der Organisatorinnen des OpenUp Camps.

Blog: workcult.re