Interview

»Handeln auf eigene Rechnung«

7. Februar 2008
von Börsenblatt
Mit seinem Buch »Krieg ohne Fronten – Die USA in Vietnam« (Hamburger Edition) hat der Historiker und Politologe Bernd Greiner eine Studie vorgelegt, in der er Geschichte und Ursachen des Vietnamkriegs rekonstruiert. Die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse hat Greiner deshalb für die Auszeichnung in der Sparte Sachbuch nominiert. boersenblatt.net sprach mit dem Autor über sein Buch und das gewandelte Verhältnis der amerikanischen Öffentlichkeit zum Krieg. Mehr zum Leipziger Buchpreis lesen Sie in BÖRSENBLATT 6 / 2008 und hier auf boersenblatt.net.
Ihr jüngstes Buch »Krieg ohne Fronten – Die USA in Vietnam« ist für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Sachbuch nominiert. Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert? Waren Sie sehr überrascht? GREINER: Wie Sie sich bestimmt vorstellen können, habe ich mich sehr gefreut. Auf den ersten Blick könnte man meinen, Sie hätten Ihr Buch im Blick auf die Dauerkontroverse um den Irak-Krieg geschrieben – gleichsam als Mahnung an die Zeitgenossen, Lehren aus dem Vietnam-Debakel zu ziehen … GREINER: Es mag heute so scheinen, als hätte die Zuspitzung des Irakkriegs in irgendeiner Weise dieses Buch auf den Weg gebracht oder inhaltlich beeinflusst. Dem ist nicht so. Die ersten Überlegungen für »Krieg ohne Fronten« habe ich Ende 1999 angestellt, die Recherchen in den National Archives der USA folgten seit dem Frühjahr 2000 – und Mitte 2003, also kurz nach dem Sturz des Saddam-Regimes, habe ich die Archivarbeiten abgeschlossen. An eine wie auch immer geartete Gleichsetzung beider Kriege war und ist mir nicht gelegen. Wenn es hier und da Parallelen gibt, so sind diese dem Gegenstand und nicht meiner Interpretation geschuldet. 2008 ist »68«-Gedenkjahr, und eines der Hauptthemen der Protestbewegung vor 40 Jahren war der »imperialistische« Vietnam-Krieg. Glauben Sie, dass Ihr Buch unter diesem Vorzeichen noch einmal besondere Impulse für die öffentliche Debatte geben könnte? GREINER: Keine Ahnung. Derartige Jahrestage folgen einer Logik eigener Art. Und wer welchen Aspekt aus welchen Gründen aufgreift, ist nicht prognostizierbar. Warum hat die zeit- und militärgeschichtliche Forschung so lange einen Bogen um die Archivalien, die ja spätestens seit Anfang der 90er Jahre zugänglich waren, gemacht? GREINER: Die Dokumente waren sogar schon länger zugänglich, manche seit Mitte der 80er Jahre, einige Teilbestände sogar seit Mitte der 70er Jahre. Aber das Thema Krieg fristete in der Historiographie lange ein Schattendasein und stand stets im Verdacht, von verhinderten Strategen oder Leuten behandelt zu werden, die ein Faible für alles Militärische haben. Zudem hat der viel zitierte cultural turn in der Geschichtswissenschaft, also die Hinwendung zu kulturhistorischen Themen, dazu geführt, dass man sich mit allen möglichen Aspekten des Krieges befasst hat, nur nicht mit den Kriegshandlungen selbst. Viele Historiker haben über den Krieg geschrieben, ohne ihn zu beschreiben. Zahlreiche Kritiker rücken Ihr Buch jetzt in den Kontext des Irak-Kriegs, auch wenn das nicht Ihrer Intention entspricht. Gibt es denn Parallelen zwischen beiden Kriegen? GREINER: Es gibt mehrere Parallelen: Die offenkundigste ist die, wie dieser Krieg begründet wurde, nämlich mit einer policy of lies, einer Politik der Lüge, die in beiden Fällen nicht haltbare Begründungen vorgeschoben hat. Der Anlass für den Vietnamkrieg – ein Vorfall in der Bucht von Tonkin – hat so nicht stattgefunden, und mittlerweile ist es ja Allgemeingut, dass die Begründung des Irakkriegs an den Haaren herbeigezogen ist. Wesentlich wichtiger aber ist die strukturelle Parallele. In beiden Fällen haben wir es, je länger der Krieg dauert, mit einer Selbstermächtigung der Exekutive zu tun – auf Kosten der sie kontrollierenden Institutionen und Instanzen. Das alles wird in der Politikwissenschaft unter dem Begriff der »imperialen Präsidentschaft« diskutiert. Darunter versteht man eine Exekutive, die sich Befugnisse anmaßt, die ihr weder von der Verfassung zustehen, noch mit dem Prinzip der wechselseitigen Kontrolle der Gewalten – den checks and balances – vereinbar sind. Außerdem handelt es sich in beiden Fällen um asymmetrische Kriege, also zwischen einer regulären Armee, die auf konventionelle Kriegführung vorbereitet ist, und Kämpfern, die Guerillataktiken anwenden und vorwiegend im Untergrund operieren. Es stehen sich also zwei Kriegsparteien gegenüber, die ihren bewaffneten Konflikt nach einer im Grundsatz verschiedenen Vorstellung von Strategie und Taktik austragen. Und wo liegt der wesentliche Unterschied? GREINER: Anfang der 70er Jahre gab es in den USA eine Öffentlichkeit, die Wert darauf legte, sich zu Wort zu melden und sich politisch einzumischen. Politik war ein wichtiges öffentliches Gut. Das hat sich im Verlauf der letzten 30 Jahre radikal geändert. Die frühere Bereitschaft zur Partizipation und zum öffentlichen Meinungsstreit ist einem tief greifenden Zynismus, einem Misstrauen nicht nur gegenüber Parteien und Regierungen, sondern auch gegen Institutionen gewichen. Darauf zielt die aktuelle Rede vom »age of frozen scandal«. Sie meint eine Öffentlichkeit, die alles für möglich hält und mit Schulter zuckendem Desinteresse über das meiste hinweggeht. Warum passiert es immer wieder, dass die USA im Krieg das Gesicht einer verfassungsmäßigen, zivilisierten Nation verlieren? Woher kommt der Impuls, das Kriegsvölkerrecht zu ignorieren oder auszuhebeln? GREINER: Das ist mit ein oder zwei Sätzen kaum zu beantworten. Wie immer die Antwort ausfällt, das Selbstbild der amerikanischen Gesellschaft sollte man dabei stets im Blick behalten. Da ist auf der einen Seite das Bild einer von Gott auserwählten Nation, die dem Rest der Welt Vorbild und Leitbild sein will. Die Kehrseite ist, dass die internationale Umwelt mal mehr, mal weniger im Verdacht steht, dieses vorbildliche Modell durch sinistre Machenschaften zu Fall bringen zu wollen. Der Historiker Richard Hofstadter hat darauf in seinem brillanten Essay über den „Paranoid Style in American Politics“ hingewiesen und darin auch eine Ursache für die nachhaltige Konjunktur von Verschwörungstheorien in der politischen Kultur der USA gesehen. Wie mir scheint, gründet hier auch die Neigung zum Unilateralismus, zum Handeln auf eigene Rechnung. Internationales Recht und Kriegsrecht werden in dieser Perspektive als fremdgesteuerte Einschränkung des eigenen Handlungsspielraums wahrgenommen. Wo liegt die Ursache für die Gewaltexzesse – Stichwort My Lai? GREINER: Die asymmetrische Kriegführung ist aus meiner Sicht der entscheidende Grund. Eine konventionell ausgebildete und ausgerüstete Armee bekämpft einen Feind, den sie kaum zu Gesicht bekommt. Einen Feind, der aus dem Hinterhalt und mit Mitteln kämpft, denen kaum beizukommen ist: mit Sprengfallen, Minen und Heckenschützen. In Vietnam gingen in einzelnen Einheiten 50 Prozent der Verluste auf das Konto von Sprengfallen. Soldaten starben buchstäblich den Sekundentod – ohne Feindberührung und an unsichtbaren Fronten. Sie sahen sich, und darum drehen sich ihre Selbstzeugnisse, als »disposable soldiers«, als Überflüssige, die große Opfer bringen und andererseits nichts bewirken. Sie konnten kein Terrain gewinnen oder Rüstungsindustrien zerstören, sie konnten kaum Gefangene machen. Aus dieser Frustration heraus entstand das Bedürfnis, Spuren ihres Soldat-Seins zu hinterlassen. Und nicht zufällig wurde der Spruch »Do something physical« zu einer geläufigen Parole. Will heißen: Demonstriere deine Macht auf egal welche Weise und egal an wem. Unter dem Eindruck des Sekundentods, des nutzlosen Geopfertwerdens, entsteht auch die Neigung, sich zu rächen, auch wenn Zivilisten das Objekt der Rache sind. Und derlei Stimmungen kommen umso mehr zum Tragen, je nachlässiger Kommandeure auf mittlerer Ebene mit ihrer Aufsichtspflicht umgehen. Ob sie nun inkompetent waren oder ihren Truppen aus anderen Gründen die lange Leine ließen, die militärische Führung trägt einen erheblichen Teil der Verantwortung. Interview: Michael Roesler-Graichen Zur Person Bernd Greiner, Prof. Dr. phil., Historiker, Politikwissenschaftler und Amerikanist, leitet seit 1994 den Arbeitsbereich »Theorie und Geschichte der Gewalt« am Hamburger Institut für Sozialforschung und lehrt am Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg. Er arbeitet zur US-amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und zur Theorie der Gewalt.