Interview

"Die Figuren an den Rand ihrer Möglichkeiten treiben"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Gestern hat im Hochsauerlandkreis die "Criminale 2012" (25.–29. April) begonnen – das größte deutschsprachige Krimifestival, organisiert von der Krimiautorengruppe Syndikat. Höhepunkt ist der "Tango Criminale" am 28. April in Olsberg, bei dem die "Glauser"-Preise verliehen werden. Boersenblatt.net hat mit Mechtild Borrmann gesprochen, die für den "Glauser" in der Kategorie Roman nominiert ist.

Sie sind mit dem Deutschen Krimipreis in der Kategorie "national" ausgezeichnet worden, und sind nun für einen "Glauser" nominiert. Hat Sie das sehr überrascht?
Meine ersten Krimis haben nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das hat sich geändert, als mein Roman "Wer das Schweigen bricht" im August 2011 auf Platz 1 der "KrimiZeit"-Bestenliste gewählt wurde.

Wann haben Sie den Krimi für sich entdeckt?
Ich habe früher neben meiner beruflichen Arbeit Kurzgeschichten geschrieben und mich dann an meinen ersten Krimi gewagt, der in meiner Heimat Kleve und Umgebung spielt, "Wenn das Herz im Kopf schlägt" (KBV Verlag). Damals  hat mir der Hamburger Schriftsteller Peter Gogolin als Schreibcoach geholfen. Er sagte mir: "Sie haben Talent, müssen aber noch das Handwerk lernen".

Nach dem Debüt sind alle weiteren Bücher bei Günter Butkus im Pendragon Verlag erschienen – in Bielefeld, wo Sie selbst seit langer Zeit leben. Wie kam es dazu?
Ich hatte ihm auch schon mein erstes Manuskript geschickte – daher der Kontakt.

Im Klappentext ihres jüngsten Buchs erfährt man, dass sie unter anderem als Tanz- und Theaterpädagogin gearbeitet haben …
Ich habe ursprünglich Erzieherin gelernt und meine Berufslaufbahn in Bethel begonnen – im Bereich für Anfallskranke. Später habe ich dann in einer Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder gearbeitet und mich nebenbei zur Tanz- und Theaterpädagogin ausbilden lassen. Im Augenblick leite ich eine Schreibgruppe für Wohnungslose. Da kommen dann das Schreiben und die Pädagogik zusammen. – Aber das war noch nicht alles …

Was gab es noch?
2003 habe ich ein Restaurant übernommen, das ich 2008 wieder verkauft habe. Anschließend habe ich noch als Geschäftsführerin in der Gastronomie gearbeitet.

Die Menschenkenntnis, die sie in all ihren Tätigkeiten erworben haben, dürfte ihnen beim Schreiben helfen. Was reizt sie denn am Krimi-Genre?
Die Figuren an den Rand ihrer Möglichkeiten zu treiben. Im Krimi geht es um Tod, Schuld – um die "Grunddramen" der Existenz. Mordszenarien sind für mich nicht so wichtig.

Wer oder was hat sie inspiriert? Gibt es leuchtende Vorbilder in der Kriminalliteratur?
Ich habe erst sehr spät angefangen, Krimis zu lesen – vor allem von Janwillem van de Wetering, Patricia Highsmith und Georges Simenon. Bücher, die einem gut gefallen, haben immer Auswirkungen auf das eigene Schreiben.

Gibt es für Sie beim Schreiben eine besondere Herangehensweise?
Ich gehe immer vom Thema aus. Und stelle dann fest: Es begegnet einem überall. Für meinen jüngsten Roman, in dem es um die schuldhafte Verstrickung mehrerer Freunde vor und während des Zweiten Weltkriegs in einem kleinen Ort am Niederrhein geht, gab eine kleine Bemerkung eines Bekannten den Ausschlag: "Die Zeitzeugen sterben alle aus." Daraufhin habe ich Verwandte und andere Leute am Niederrhein interviewt, die früher nie über die Kriegszeit gesprochen haben. Dabei habe ich viele kleine Geschichten aufgezeichnet, die ich dann für meinen Roman verwenden konnte.

Die Handlung ihrer bisher vier Romane spielt immer in ihrer alten Heimat, dem Raum Kleve. Weshalb?
Mir ist der Menschentyp dort vertraut, das hat mir bei der Entwicklung von Figuren und Handlung sehr geholfen. Ich selbst habe die Region schon mit 23 verlassen. In meinem nächsten Roman werde ich mich allerdings davon lösen: Er spielt auf zwei Zeitebenen – in der Sowjetunion unter Stalin und hier in Bielefeld in einer Aussiedlerfamilie. Es geht um einen Violinisten, der unter Verdacht gerät und von Stalins Schergen in einen Gulag verschleppt wird.

In Bielefeld leben viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Hat Sie das auf die Geschichte gebracht?
Eine Kellnerin aus Kasachstan, die für mich gearbeitet hat, erzählte mir die Geschichte.

Wann erscheint ihr nächstes Buch?
"Der Geiger“ kommt im Herbst bei Droemer Knaur heraus.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Mechtild Borrmann
wurde 1960 in Köln geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend am Niederrhein. Sie arbeitete 15 Jahre in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen. Heute lebt sie in einem kleinen Dorf am Teutoburger Wald und arbeitet als freie Autorin. Ihr erster Kriminalroman "Wenn das Herz im Kopf schlägt" ist 2006 im KBV-Verlag erschienen. Es folgten: "Morgen ist der Tag nach gestern" (Pendragon, 2007), "Mitten in der Stadt" (Pendragon, 2009), "Wer das Schweigen bricht" (Pendragon, 2011).