Interview: Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller über die Buchtage in Leipzig

"Als Unternehmer würden wir viel flotter entscheiden"

27. Juni 2016
von Börsenblatt
Was sich aus den Buchtagen 2016 lernen lässt: Vorsteher Heinrich Riethmüller blickt zurück auf schöne wie auf eher heikle Stunden in Leipzig – und formuliert schon mal eine To-do-Liste für seine zweite Amtszeit ab Oktober.

174 von knapp 5.000 Mitgliedern haben in Leipzig den neuen Vorstand gewählt. Fühlen Sie sich bei dieser Stimmenzahl demokratisch legitimiert?

Riethmüller: Natürlich ist es unbefriedigend, wenn der Vorstand nur von rund drei Prozent der Mitglieder gewählt wird. Da bleibt ein schaler Nachgeschmack. Ich weiß aber auch, dass sich andere Vereine oder Verbände ebenso schwer damit tun, ihre Mitglieder zu motivieren. Das ist zum einen ein gesellschaftliches Phänomen, viele konzentrieren sich stärker auf ihre eigene kleine Welt. Zum anderen sind die Zeiten härter geworden. Gerade für die Inhaber kleinerer Buchhandlungen ist es ein Kraftakt, sich ein, zwei Tage freizuschaufeln, um zu den Buchtagen zu fahren. Wirklich schade war, dass nur 34 Mitglieder die Briefwahl genutzt haben. Offenbar reicht es nicht, zwei Aufrufe dazu im Börsenblatt zu veröffentlichen.

Wie kann der Verband gegensteuern? Indem er besser kommuniziert?

Riethmüller: Nach Leipzig werden wir natürlich darüber sprechen, wie wir die Kommunikation weiter verbessern können – das war ja auch ein Thema bei der Hauptversammlung und muss von uns ernst genommen werden. Trotzdem kann man das geringe Interesse an der Mitbestimmung auch ganz anders interpretieren: Vielleicht halten sich viele einfach deshalb zurück, weil sie mit der Arbeit des Verbands ganz zufrieden sind und alles läuft. Das jedenfalls höre ich immer wieder von Kollegen. Mir selber geht es in einem anderen Fall ganz ähnlich: Osiander ist Mitglied bei Soennecken, einem Genossenschaftsverbund für Schreibwarenhändler. Da kommen ständig Einladungen zu Versammlungen, die bei mir in den Papierkorb wandern. Die Leistung stimmt, das reicht mir.

In Leipzig wurde sehr kritisch über die Zukunft von buchhandel.de diskutiert (mehr dazu hier und hier). Sehen Sie jetzt klarer, was aus der Plattform werden soll?

Riethmüller: Ich war überrascht, wie wenig Unterstützung buchhandel.de bekommen hat. Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Buchhandel die Plattform unbedingt halten will. Die Diskussion in Leipzig hat mehr Klarheit in das Thema gebracht, aber gleichzeitig gezeigt, wie Verbandsdemokratie funktioniert: Eben nicht nur basisdemokratisch auf der Mitgliederversammlung, sondern das ganze Jahr über in einer intensiven, engagierten Gremienarbeit der Fachausschüsse und Interessengemeinschaften. Verbandsdemokratie braucht nun mal Zeit. Und eine gewisse Diskussionskultur.

Wie geht es nach dem Meinungsbild jetzt weiter mit buchhandel.de?

Riethmüller: Der Vorstand wollte nicht von oben herab entscheiden, sondern dem Buchhandel die Möglichkeit geben, das Projekt zu retten. Von der Hauptversammlung nehme ich das Signal mit, dass dieser Wunsch offenbar nicht so groß ist, wie wir gedacht hatten. Dennoch gilt unser Vorstandsbeschluss, dem Portal mit einer Grundgebühr von 20 Euro im Monat und bei einer Mindestzahl von 1000 teilnehmenden Buchhandlungen noch eine letzte Chance zu geben. In der nächsten Zeit dürfte relativ schnell klar werden, wohin die Reise geht. Natürlich würden wir als Unternehmer viel flotter entscheiden, aber ein Verband muss seine Mitglieder mitnehmen und ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Zweiter Konfliktpunkt war das VLB: Die Verleger haben die MVB dazu aufgefordert, die rückwirkende Erhöhung der Titelgebühren wieder zurückzunehmen (mehr dazu hier). Wird sich der Vorstand dazu verhalten?

Riethmüller: Als die MVB 2015 ihr Anreizsystem mit dem Goldstatus eingeführt hat, wollte sie den Verlagen so viel wie möglich zurückgeben und gute Titelqualität mit minimalen Gebühren belohnen. Damit war sie aus heutiger Sicht vielleicht nicht ganz so gut beraten, denn dieses Modell ist jetzt von der Realität überholt worden. Eine Gebührenerhöhung ist Sache der Wirtschaftstochter und muss nicht vom Vorstand abgesegnet werden. Aber wir werden das Thema auf unserer nächsten Vorstandssitzung in der kommenden Woche mit Sicherheit diskutieren.

Der in Leipzig neu gewählte Vorstand wird seine Arbeit erst im Oktober aufnehmen. Drei erfahrene Vorstandsmitglieder treffen dabei auf zwei neue – ein gutes Mischungsverhältnis?

Riethmüller: Es ist immer wichtig, neue Ideen und Sichtweisen in die Vorstandsarbeit hineinzutragen. Aus diesem Grund bin ich zum Beispiel auch froh, dass ich als Vorsteher kein drittes Mal wiedergewählt werden kann. Das zwingt die Mitglieder dazu, einen neuen Kandidaten zu finden, sich zu positionieren – die Bewerber stehen ja nicht gerade Schlange. Die Buchbranche wird von Frauen geprägt. Deshalb ist es ein schönes Zeichen, dass ab Oktober mit Siv Bublitz und Margit Ketterle wenigstens zwei davon an der Verbandsspitze stehen. Ich bin mir sicher, dass wir im neuen Vorstand gut zusammenarbeiten werden, so wie im aktuellen Vorstand auch.

Welche Aufgaben haben in den nächsten drei Jahren Priorität?

Riethmüller: Die Themen werden sich nicht grundlegend ändern. Wir müssen die politische Bedeutung des Verbands weiter ausbauen – und nach dem VG-Wort-Urteil eine Lösung dafür finden, wie Verleger wieder an der Wertschöpfung beteiligt werden können. Wichtig bleibt außerdem das Buchtage-Thema "Das Wort und sein Wert", bei dem wir enger als bisher mit den Autoren zusammenarbeiten wollen. Wir müssen wachsam sein beim Thema Meinungsfreiheit, das auch auf der Frankfurter Buchmesse 2016 wieder eine wichtige Rolle spielen soll. Und wir müssen die Verbandsreform weiter vorantreiben.

Sind das alles Punkte, die Sie als Auftrag aus Leipzig mitnehmen?

Riethmüller: Ja, aber ein weiterer gehört noch dazu: Auf der Hauptversammlung haben wir ein ausgeglichenes Budget für 2017 verabschieden können. 2018 wird das nicht mehr der Fall sein, wenn die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen weiterhin um 100.000 Euro pro Jahr zurückgehen. Das heißt: Wir müssen die Beiträge erhöhen oder Sponsoren finden oder die Wirtschaftsbetriebe stärker in die Pflicht nehmen – oder aber die Leistungen zurückfahren und sparen. Letzteres ist für mich eigentlich keine Option. Denn ob wir Urheberrechtsverletzungen verfolgen, Lobbyarbeit betreiben oder den Vorlesewettbewerb ausrichten: Das alles kostet Geld, ist für die Branche aber schwer verzichtbar.

Kosten gespart hat der Verband mit der Entscheidung, die Buchtage diesmal nicht in Berlin, sondern im verbandseigenen Haus des Buches in Leipzig auszurichten. Warum soll sich die Branche 2017 trotzdem wieder in der Hauptstadt treffen?

Riethmüller: Weil wir in Berlin einfach näher an der Politik sind. Es ist wichtig, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Vizekanzler Sigmar Gabriel oder Kulturstaatsministerin Monika Grütters als Podiumsgäste in die Buchtage einzubinden. Das ist in Leipzig so nicht möglich – auch wenn ich mir durchaus vorstellen kann, mit dem Branchentreffen ab und an dorthin zurückzukehren. Schließlich ist Leipzig eine traditionsreiche Buchstadt. Und vielleicht wird es beim nächsten Mal ja nicht ganz so heiß.

Das Nachwuchsparlament war diesmal von Anfang an bei der Hauptversammlung dabei, mit 100 Nachwuchskräften. Können so viele junge Gesichter die Verbandsarbeit verändern?

Riethmüller: Die Hauptversammlung hat in Leipzig beschlossen, das Nachwuchsparlament als beratendes Gremium in der Satzung des Börsenvereins zu verankern. Es dürfte keine andere Branche geben, die diese Verzahnung so konsequent betreibt. Für mich ist das immer ein Geben und Nehmen, denn ich erwarte im Gegenzug von den Nachwuchskräften, dass sie ihre Wünsche und Ideen einbringen, so wie sie es mit ihren Empfehlungen bei der Hauptversammlung seit Jahren tun. Toll finde ich auch die Nachwuchspatenschaften: Frank Sambeth von Random House, Nadja Kneissler von Delius Klasing oder Markus Klose von Benevento Publishing haben ihre jungen "Patenkinder" beim Mitgliederfest im Grassi-Museum herumgeführt und den Kollegen vorgestellt. Wir müssen allen Unternehmen klar machen, wie wichtig es ist, Nachwuchsförderung zu betreiben und auszubilden. Denn das ist unsere Zukunft.

Sie haben auf der Hauptversammlung auch die Friedenspreisträgerin 2016 bekannt gegeben. Carolin Emcke oder der Brexit – was war für Sie am vergangenen Freitag die Nachricht des Tages?

Riethmüller: Unbedingt Carolin Emcke. Trotz Brexit hat es unsere Friedenspreisträgerin bis in die Tagesthemen geschafft. Navid Kermani, den wir 2015 ausgezeichnet haben, ist eine derartige Leuchtfigur geworden, dass es für den Stiftungsrat nicht ganz einfach war, einen Nachfolger zu finden, der davon nicht überstrahlt wird. Mit Carolin Emcke ist uns das gelungen. Sie beschäftigt sich genau mit den Problemen, die unsere Gesellschaft spalten und auch die Brexit-Debatte geprägt haben: Nicht mehr zuhören können, andere verunglimpfen, nicht über den eigenen Horizont hinausblicken. Ich habe schon sehr viele Mails bekommen, die uns zu dieser Wahl beglückwünscht haben. Als ich am Samstag durch Tübingen ins Büro gelaufen bin, wurde ich sogar zweimal auf der Straße darauf angesprochen.

Haben Sie Carolin Emcke schon gratuliert?

Riethmüller: Nach der Entscheidung des Stiftungsrats habe ich mit ihr telefoniert, das ist mein Job als Vorsteher. Einen Tag vor der Hauptversammlung hatte ich dann das Vergnügen und das Privileg, sie persönlich in Berlin treffen zu können. Interessant ist, dass der Friedenspreis auch in ihrer Biografie eine Rolle spielt, so wie bei Navid Kermani. Schon seit Jahrzehnten verfolgt sie die Preisverleihungen im Fernsehen.

Was macht ein Vorsteher eigentlich nach der Hauptversammlung, nach den Buchtagen?

Riethmüller: Na ja, eine gewisse Erschöpfung macht sich danach schon breit. Man freut sich, dass Wochenende ist. Aber auch, dass es am Montag wieder weiter geht.

Mehr über die Buchtage Leipzig lesen Sie in unserem Dossier.