Interview mit Andreas Langenscheidt

"Wir brauchen eine neue, wendigere Struktur"

14. September 2010
von Börsenblatt
Andreas Langenscheidt baut seinen Verlag komplett um. 71 Stellen werden abgebaut, die Geschäftsbereiche werden in vier Business Units zusammengefasst. Börsenblatt.net sprach mit dem Verleger über Hintergründe und Auswirkungen der Umstrukturierung.

Künftig gibt es bei Langenscheidt nur noch zwei große Kompetenzfelder: Sprachen und Reisen. Alle Geschäftsbereiche werden in vier Business Units zusammengefasst. Ist die Umstrukturierung zum Teil eine Folge des Verkaufs des Bibliographischen Instituts an die Cornelsen-Gruppe?

Langenscheidt: Ja und nein. Natürlich hängt die Umstrukturierung mittelbar damit zusammen, dass mit dem Verkauf des Bibliographischen Instituts die dritte Säule unseres Unternehmens – Allgemeines Nachschlagen – weggefallen ist. Das B.I. war aber immer schon unabhängig in seinen Aktivitäten und wir haben innerhalb der Gruppe bestimmte Synergien genutzt. Andererseits folgt die aktuelle Umstrukturierung ihrer eigenen Logik – und die hat vor allem mit Veränderungen im Markt und den erweiterten Vertriebsmöglichkeiten auch im digitalen Bereich zu tun.

Ist der radikale Umbau wegen des schrumpfenden Wörterbuchgeschäfts notwendig geworden?

Langenscheidt: Nein, das Geschäft mit gedruckten Wörterbüchern hat nach wie vor große Bedeutung – nur haben die digitalen Medien inzwischen ein stärkeres Gewicht erlangt. Wir müssen uns den neuen Möglichkeiten stellen. Und wir müssen verstehen, dass es heute andere Vertriebswege gibt als den herkömmlichen Zwischenbuchhandel – Vertriebswege, die innerhalb weniger Jahre entstanden sind. Wir lernen jetzt, uns an die Marktgegebenheiten anzupassen. Technisch sind wir dafür gut gerüstet, und wir haben eine Menge investiert, auch in Marktforschung. Dabei zeigt sich, dass der Markt für das Sprachenlernen nicht rückläufig ist. Das Geschäft findet nur auf anderen Ebenen statt, weil die Kunden auch andere Anforderungen an die Produkte haben. Wenn jemand um 22 Uhr im Internet Sprachunterricht mit einem Individualtrainer buchen will, dann kann er das künftig bei Langenscheidt tun. Wir werden eng mit Call-Centern zusammenarbeiten, die den Kunden beraten und ihm maßgeschneiderte Unterrichtsmodule und Service anbieten werden.

71 Stellen könnten insgesamt abgebaut werden, davon aktuell 20 Arbeitsverhältnisse auf dem Wege der Kündigung. Acht Prozent der Belegschaft am Standort München (rund 250 Mitarbeiter) verlieren also ihren Arbeitsplatz, in toto könnte langfristig knapp ein Drittel der Mitarbeiter abgebaut werden. Ist das Ganze ein Sparprogramm oder spiegelt der Stellenabbau die Erwartung sinkender Umsätze für die kommenden Jahre?

Langenscheidt: Wir erwarten keine sinkenden Umsätze, weil wir neue Geschäftspotentiale erschließen können. Anderseits müssen wir während des Umbauprozesses gewisse Rückgänge hinnehmen, weil der Verkauf von Wörterbüchern und Sprachkursen über den Buchhandel ständig an Bedeutung verliert. Bisher waren wir ein stark redaktionsgetriebener Verlag, künftig wollen wir vertriebsorientierter handeln. Dafür braucht man eine neue, wendigere Struktur. Außerdem sind die auf die vier Business Units verteilten Geschäftsbereiche sehr unterschiedlich. Kinderbuch und Entertainment funktionieren nun mal ganz anders als etwa Wörterbuch. Die neuen Geschäftseinheiten sind Profitcenter, deren Leiter eine eigene wirtschaftliche Verantwortung tragen.

Mussten Sie den Rotstift auch bei den Redaktionen ansetzen?

Langenscheidt: Redakteure sind auch davon betroffen, im übrigen zieht sich der Stellenabbau durch alle Verlagsabteilungen.

Sind unter denen, die gehen, auch langjährige Führungskräfte? Gerüchteweise wurden immer Rolf Müller und Matti Schüsseler genannt. Ihre Namen tauchen in der Pressemitteilung nicht mehr auf …

Langenscheidt: Wenn Sie einen Verlag völlig umkrempeln, müssen Sie auch die Frage nach den Führungskräften stellen. Wir sind im Gespräch mit allen betroffenen Mitarbeitern, können aber über deren Zukunft noch nichts sagen. Erste Veränderungen und Zuständigkeiten haben wir aktuell bereits kommuniziert.

Bei Sprachen werden die Akzente anders gesetzt als in der Vergangenheit: Sprachen lernen erhält ein wesentlich stärkeres Gewicht, Kinderbuch und Entertainment werden weiter ausgebaut. Haben Sie in diesen Bereichen Ziele erreicht oder Erfolge verbucht, die Sie in Ihrem Kurswechsel bestärkt haben?

Langenscheidt: Wie Sie wissen, haben sich Kinderbuch und Entertainment hervorragend entwickelt, und wir wollen die Bereiche auch weiterhin anständig ausbauen. Bei den Sprachen setzen wir nicht nur auf neue Produkte und Services, sondern müssen auch neue Marketingformen entwickeln: So bieten wir beispielsweise kostenlose Testsprachkurse auf Facebook oder unserer eigenen Website an, um die Zielgruppen und ihre Bedürfnisse besser kennenzulernen..

Wenn Sie die neuen Geschäftsfelder ausbauen, müssen Sie da nicht Personal im Verlag umschichten?

Langenscheidt: Es kann durchaus sein, dass einige Mitarbeiter andere Funktionen übernehmen.

Aus dem Langenscheidt Wörterbuch ist die Langenscheidt Content-App für iPhone und iPad geworden. Rund 1.000 Apps haben Sie inzwischen im Angebot. Wie viele Downloads haben Sie seit dem Start verkauft?

Langenscheidt: Eine Zahl möchte ich nicht nennen, aber einen Anhaltspunkt für den Erfolg. Im App Store von Apple gibt es insgesamt 7.000 Apps in der Rubrik „Reference", zu deutsch Nachschlagen / Sachinformation. Innerhalb dieser Rubrik sind zehn Langenscheidt-Titel unter den Top 50. Und was uns von anderen Herstellern unterscheidet: Wir schließen uns nicht dem Niedrigpreis-Trend anderer Anbieter an, sondern bieten unsere aufwendigen, hochwertigen Titel zu einem Preis an, der nah am Ladenpreis für gedruckte Bücher ist. Offensichtlich wird diese Preispolitik von den Kunden akzeptiert.

Werden Online-Angebote in allen Verlagssparten – auch beim Sprachenlernen – künftig eine erheblich stärkere Rolle spielen als bisher?

Langenscheidt: Online ist ein wichtiger Aspekt. Aber wir wollen doch die Kirche im Dorf lassen: Wir machen weit über 80 Prozent unseres Umsatzes mit physischen Produkten. Es wird auf lange Sicht keine Substitution von gedruckten Titeln durch elektronische Produkte geben.

Wird sich auch das Gesicht von Polyglott ändern? Ratgeber-E-Books oder –Apps statt gedruckte Reiseführer?

Langenscheidt: Bei Polyglott haben wir gerade erst einen erfolgreichen Print-Relaunch erlebt. Natürlich wird es auch vermehrt Apps unter der Marke Polyglott geben, zuletzt erschienen ja Reiseführer für das iPhone und in Kürze 16 Reise-Apps für Android. In den USA bereiten wir derzeit die Substanzen der Insight Guides unseres gleichnamigen Tochterunternehmens für das iPad auf. Dabei ist es keine triviale Aufgabe, die richtigen Preispunkte zu setzen. Wir wollen unsere Inhalte ja nicht einfach verschleudern.

Und bei der Kartografie? Navigations-Software statt gedrucktes Kartenmaterial?

Langenscheidt: Das kann ich nicht pauschal beantworten. Wir unterscheiden zwischen der touristischen Kartographie und der Straßen-Kartographie. Mit Reisekarten sind wir weltweit erfolgreich, von diesem Geschäft werden wir uns nicht trennen. Anders sieht es bei Straßenkarten aus: Dort hat sich der Markt, vor allem in den USA, stark verändert. Hier stehen zeitnah Veränderungen an.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Ab 2011: Die Leiter der vier neuen Business Units und der neue Innovationschef bei Langenscheidt

Herbert Bornebusch (55), langjähriger Redaktions­leiter, wird künftig die Verantwortung für den Geschäftsbereich »Lehrwerke« (Business Unit 1) tragen.Alexandra Kiesling (39), bislang für das Auslandsgeschäft und Nebenmärkte zuständig, übernimmt die Business Unit 2 »Sprachenlernen«.Barbara Lennartz (56), bislang Chefredakteurin Polyglott und verantwort­lich für Prozessoptimierung in der Gruppe, führt die Bereiche »Wörterbücher« sowie »Reise« (Business Unit 3).Dorothee Ronge (35), bisher für internationale Kooperationen zuständig, soll das Geschäftsfeld »Kinder- & Jugendbuch« und das »Entertainment-Programm« (Business Unit 4) weiterentwickeln.Vincent Docherty (56), bisher Wörterbuch-Redaktionsleiter, wird künftig »Innovationen und den internationalen Bereich Sprachen« innerhalb der Verlags­gruppe verantworten.