Interview mit Börsenverein-Schatzmeister Jürgen Horbach

"Der Verband muss arbeitsfähig bleiben"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Höhere Ausschüttung der Wirtschaftsbetriebe, gezielte Sparmaßnahmen, differenzierte Anhebung der Beiträge bis 2018: Schatzmeister Jürgen Horbach über ein neues Finanzpaket, mit dem der Vorstand die Zukunft des Börsenvereins sichern will.
Ist der Börsenverein akut finanziell gefährdet – oder geht es vor allem um eine stabile Zukunft?

Horbach: In den letzten 10 Jahren haben wir durch Mitgliederschwund als Ergebnis vor allem der Konzentration im Handel und bei den Verlagen etwa 15 Prozent oder rund 900.000 Euro an Mitgliedsbeiträgen verloren. Dazu kommen seit der Einführung des Konzernbeitrags vor vier Jahren jährlich zusätzlich ca. 150.000 Euro. Dies wurde allein durch Sparmaßnahmen aufgefangen. Wenn der Verein den Mitgliedern etwas wert ist, müssen sie ihn nicht komfortabel, aber arbeitsfähig ausstatten. Dies geht ab jetzt nicht mehr ohne eine moderate, aber nachhaltige Erhöhung der Mitgliedsbeiträge. Das einzige Ziel ist Zukunftssicherung auf der Einnahmeseite. Dabei ist eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge nur ein Parameter unter anderen.

Viele Mitgliedsunternehmen stehen derzeit wirtschaftlich selbst unter Druck, kleine wie große. Warum muss, warum will der Vorstand dennoch an der Beitragsschraube drehen?


Horbach: Der Begriff "Beitragsschraube" legt nahe, dass eine mögliche Erhöhung der Mitgliedsbeiträge zu einer Situation führt, die beim Einsatz des französischen Folter- und Hinrichtungsinstruments Garotte entsteht. Hierbei wurde vor allem im 18. Jahrhundert der arme Delinquent so lange mit einer langsam anziehenden Schraube in Kehlkopfhöhe gemartet, bis er erwürgt aus dem Leben schied. Von solchen Vorhaben kann aktuell keine Rede sein. Der Vorstand möchte, dass alle Mitglieder bei bester wirtschaftlicher Gesundheit bleiben. Dies zu befördern, ist Sache des Börsenvereins. Es ist der Verein der Mitglieder. Er gehört nur ihnen.

Zweiter Anlauf, jetzt ohne Schraube: Was treibt den Vorstand an und um?

Horbach: Der Börsenverein benötigt als Kultur- und Wirtschaftsverband der Buchbranche zur Erfüllung seiner Aufgaben Mittel. Die stammen zu etwa zwei Dritteln aus Mitgliedsbeiträgen. Mit der Höhe der Mitgliedsbeiträge bestimmen die Mitglieder den möglichen Leistungsumfang des Vereins. Seit zehn  Jahren sind die Beiträge nach oben stabil, die Anforderungen an den Verein sind aber gewachsen. Mehr als 7 Millionen Euro dauerhafter Einsparungen in den letzten sechs Jahren reichen nun nicht mehr aus, um andererseits gestiegene Leistungsanforderungen an den Verein zu finanzieren.

Was genau kommt finanziell auf die Mitgliedsfirmen zu? Wurden hier unterschiedliche Szenarien für eine Beitragserhöhung durchgespielt?

Horbach: Selbstverständlich. Der Vorstand ist sich der politischen Dimension des Vorschlags, Mitgliedsbeiträge zu erhöhen, voll bewusst. Seit einem Jahr diskutieren wir diese Frage immer wieder und haben viele Szenarien gerechnet. Herausgekommen ist der Vorschlag für die Hauptversammlung im Juni, die Beiträge gestaffelt nach Beitragsklassen zwischen 1,5 Prozent und 3,5 Prozent zu erhöhen. Vorausgesetzt, die Hauptversammlung stimmt zu, bringt das im Schnitt der Jahre nur etwas mehr als 150.000 Euro in die Kasse, was aber dauerhaft wäre.

Neben einer Beitragserhöhung gibt es für den Börsenverein noch weitere Möglichkeiten, seinen finanziellen Spielraum zu erweitern, etwa die Akquise neuer Mitglieder. Wird hier alles ausgeschöpft?

Horbach: Das Maßnahmenpaket ist umfangreich. Der Gesellschafter der Wirtschaftsbetriebe, also der Bundesverband (70 Prozent) und die Landesverbände (30 Prozent), haben beschlossen, die seit 2003 zementierte jährliche Ausschüttung aus den Gewinnen der Wirtschaftsbetriebe von 380.000 Euro auf zunächst 800.000 Euro zu erhöhen - wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von MVB und AuM solche Ausschüttungen zulassen. Davon kommen nach Abzug der Kapitalertragsteuer 470.000 Euro beim Bundesverband an. Es besteht im Vorstand und mit den Ländern Einigkeit darüber, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsbetriebe durch Ausschüttungen nicht gefährdet werden soll.

Demgegenüber werden die Lizenzeinnahmen von VLB und Börsenblatt tendenziell weiter sinken.

Ein bereits abgeschriebenes Darlehen des Vereins im Zusammenhang mit der Immobilie in Leipzig in Höhe von rund 2,2 Millionen Euro wird durch die Gebäudegesellschaft Haus des Buches, Leipzig, mit dem Hauptgesellschafter AuM ab 2013 mit jährlich rund 200.000 Euro getilgt werden.

Auch durch die Akquise neuer Mitglieder könnte der Börsenverein seinen finanziellen Spielraum erweitern. Wird hier schon alles ausgeschöpft?

Horbach: Die erfolgreiche Akquiseaktion 185+ vor zwei Jahren hat etwa 120.000 Euro an höheren Mitgliedsbeiträgen erbracht. Zusätzlich können durch die Aufnahme neuer Mitgliedergruppen wie Druckereien, freie Lektoren, Grafiker und Hersteller, Webdesigner, Ladenbauer, Bahnhofs- oder  Versandbuchhändler weitere Einnahmen generiert werden. Dies jetzt zu quantifizieren, fällt schwer. Hier muss man die Probe machen.

Sehen Sie noch weitere potenzielle Mitgliedergruppen?

Horbach: Ausländische Verleger und Buchhändler können schon jetzt korrespondierende Mitglieder werden. Derzeit sind es knapp über 30. Große Player wie Amazon oder Google aufzunehmen, andere Suchmaschinenbetreiber und digitale Plattformen - das wäre denkbar, stößt aber bei denen auf kein wirkliches Interesse und bei manchen Mitgliedern auf Abneigung. Naheliegend wären Autoren oder Literaturagenten oder Übersetzer. Meistens sind die jedoch anderweitig organisiert und außerdem bestehen hier möglicherweise Interessenkonflikte, die der schon jetzt nicht konfliktfreie, dreistufige  Verband sich besser ersparen sollte.

Muss der Börsenverein seine Dienstleistungen überprüfen, um wirtschaftlicher arbeiten zu können und sich eventuell von liebgewonnenen Projekten verabschieden?

Horbach: Hier ist die Konnotation, dass der Börsenverein nicht wirtschaftlich genug arbeitet. Das ist nicht der Fall. Ständig kommen die Kosten und die Projekte auf den Prüfstand. Das ist normale und ständige Arbeit des Hauptamtes und des Schatzmeisters. Die Ausrichtung des Friedenspreises, der Vorlesewettbewerb, Zuschüsse für den Deutschen Buchpreis und andere Eckpfeiler der Öffentlichkeitswirkung können nur um den Preis der Selbstaufgabe zur Diskussion stehen. Die Zuschüsse zur Deutschen Fachpresse und die Beiträge zu den internationalen Schwesterverbänden sind ebenfalls Dauerthemen und auch emotional besetzt. An einer Minikürzung wäre vor zwei Jahren fast die Zustimmung der Hauptversammlung zum Budget gescheitert.

Könnten Gremienarbeit und Services weiter gestrafft werden?

Horbach: Der Einbezug der Mitglieder in die Gremienarbeit ist gegenüber früher reduziert, bleibt aber wichtig. Demokratie kostet Geld. Das ist gut angelegt und dient unter anderem auch der Identifikation mit dem eigenen Verband.

Statistische Projekte hatten wir stark vermindert, sind hier aber wieder auf ausdrücklichen Wunsch der Mitglieder stärker aktiv geworden. Für verschiedene Studien und die Erhebung von Daten geben wir etwa 110.000 Euro mehr aus als noch vor zwei Jahren, darunter die E-Book-Studie, die Studie zur Nutzung von Digital Content, die Kinder- und Jugendbucherhebung, usw.

Vom blendend angenommenen Vorteilsprogramm profitieren die Mitglieder und der Verband gleichermaßen.

Insgesamt ist das Leistungsspektrum knapp ausreichend und kann aus meiner Sicht nicht wesentlich weiter eingeschränkt werden, wenn der Verband ein Verband bleiben will.

Drei Millionen Euro fließen zwischen 2012 und 2015 in das Buchmarketing. War es angesichts der Finanzlage richtig, das Geld in die Hand zu nehmen – statt es auf die hohe Kante zu legen?

Horbach: Das hat der Souverän, die Hauptversammlung, mehrheitlich so entschieden. Insofern stellt sich die Frage nicht. Diskutieren kann man dann nur die Finanzierungsquellen. Entschieden wurde, die 3 Millionen Euro für das Buchmarketing zu 100 Prozent aus Zusatzausschüttungen der Wirtschaftsbetriebe zu finanzieren. Das geht auch und tangiert nicht deren wirtschaftliche Kraft.

Sie sind nicht nur Schatzmeister, sondern als Vorsitzender der Geschäftsführung beim Kalenderverlag KV&H naturgemäß auch zahlendes Mitglied. Zähneknirschend oder bereitwillig – wie schultern Sie die anstehende Beitragserhöhung als Unternehmenschef?

Horbach:
Wir sind in einer höheren Beitragsgruppe und zahlen dementsprechend auch bei der Erhöhung mehr. Trotzdem wird die Erhöhung nur im Rahmen der Kosten eines einzigen Billigfluges von München nach Berlin und zurück sein. Das ist kein Thema. Hieran sieht man, wie wenig wir an Erhöhung vorschlagen. Die Branche ist auch durch die Arbeit des Börsenvereins hervorragend organisiert. Davon profitieren wir als Verlag in ungleich höherem Maße, als wir durch Beiträge aufbringen müssen.

Sie geben das Amt als Schatzmeister nach sechseinhalb Jahren satzungsgemäß ab – was wünschen Sie Ihrem Nachfolger, der vermutlich Matthias Heinrich heißen wird?

Horbach: Den Nachfolger wählt die Hauptversammlung. Der Job erfordert einen Willen zum Überblick und das Leisten des dazu notwendigen Arbeitsaufwands im Rahmen eines Ehrenamtes, eine politisch kluge Standhaftigkeit und persönliche Unabhängigkeit vom Amt. Dann macht das richtig Spaß.
 

Zum Hintergrund: Das geplante Finanzpaket

Setzt sich der Rückgang der Mitgliederzahlen im Börsenverein wie prognostiziert fort, würden die Beitragseinnahmen des Verbands von 4,7 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 3,7 Millionen Euro im Jahr 2018 sinken. Um diese Einbußen abzufedern, hat sich der Vorstand am Dienstag für ein umfangreiches Maßnahmenpaket ausgesprochen. Der Vorschlag umfasst:
  • Kosteneinsparungen bei Personal, Projekten und Dienstleistungen in Höhe von rund 150.000 Euro
  • eine höhere Ausschüttung aus den Wirtschaftsbetrieben, der Ausstellungs- und Messe-GmbH (AuM) und der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH (künftig 800.000 Euro pro Jahr).
  • Zudem werden derzeit Zukunftskonzepte für die Restrukturierung des Börsenvereins insgesamt erarbeitet, etwa für die Akquisition neuer Mitgliedsgruppen und für das gezielte Sponsoring von zentralen Projekten wie beispielsweise dem Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels.
  • Darüber hinaus will der Vorstand die Mitgliedsbeiträge des Bundesverbands angleichen und der Hauptversammlung eine stufenweise Beitragserhöhung für die nächsten fünf Jahre vorschlagen. Der Vorschlag sieht eine Differenzierung zwischen den Beitragsgruppen 1 bis 3 (plus 1,5 Prozent, erst ab 2015), 4 bis 14 (plus 2,5 Prozent ab 2014) und ab Stufe 15 (plus 3,5 Prozent ab 2014) vor. Für den Bundesverband würde ein Unternehmen der Beitragsgruppe 1 nach fünf Jahren jährlich 20,25 Euro mehr bezahlen, eines der Beitragsgruppe 10 exakt 99,34 Euro und eines der Beitragsgruppe 40 rund 2.236 Euro. Die genauen Zahlen finden sich auf einer Infoseite zu den Mitgliedsbeiträgen.

Das aktuelle Beitragsgefüge wurde im Zuge der Verbandsreform 2003 eingeführt. Seit dieser Zeit sind die Beiträge laut Börsenverein nach oben stabil.

Beschlossen wird das Paket von der Hauptversammlung des Börsenvereins, die zum Abschluss der Buchtage Berlin 2013 am 21. Juni 2013 in Berlin stattfindet. Vorab muss der Haushalts-Ausschuss noch zustimmen.

Informationen und das Anmeldeformular zu den Buchtagen Berlin 2013 finden Sie hier.