Interview mit der Schriftstellerin Janne Teller über "Frankfurt Undercover"

"Bereitschaft zum offenen Austausch"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Janne Teller ist eine Schriftstellerin, die literarische Arbeit und politische Verantwortung als Einheit sieht. Mit ihrem Projekt "Frankfurt Undercover" will sie einigen der "wichtigsten Denker unserer Zeit" Gelegenheit für ein offenes Brainstorming geben. Noch kennt niemand die Teilnehmer des Treffens – doch eine Eigenschaft ist Bedingung: die Bereitschaft, bis an die Grenzen des Denkbaren zu gehen. Am Ende soll ein Ideenkompendium für die Politik stehen, verrät sie im Interview.
Eines Ihrer Bücher heißt "Krieg: Stell dir vor, er wäre hier". Nehmen wir zu wenig Notiz von den Krisen und Katastrophen unserer Zeit?
Wir nehmen nicht zu wenig Notiz davon, aber wir haben zu wenig Verständnis für die Menschen, die Katastrophen durchleben müssen. Sonst wäre es unmöglich, Flüchtlingen mit einer Feindseligkeit zu begegnen, wie es heute in ganz Europa ständig geschieht.

Haben Schriftsteller eine besondere Verantwortung, sollten sie sich stärker einmischen?
Die Verantwortung eines jeden Menschen entspricht exakt den Kapazitäten, die er hat. Das gilt für Schriftsteller ebenso, wie für alle andere Menschen auch. Aber da die Schriftsteller gewöhnlich besonders gut mit Worten umgehen können, verpflichtet sie diese Fähigkeit in einem besonderen Maße. Ein Gedicht, das ein Autor verfasst, kann indirekt eine politische Handlung sein, insofern darin Werte und Prioritäten zum Ausdruck gebracht werden, die wir im heutigen Alltag vermissen. Andere Schriftsteller mögen hingegen die direkte Einmischung in die politische Diskussion bevorzugen.

Können Schriftsteller helfen, politische Konflikte zu lösen?
Selbstverständlich. Nicht immer auf direktem, eng vorgezeichnetem Weg allerdings, denn die meisten Autoren stecken nicht so tief in den Details gegenwärtiger politischer Konflikte. Aber wir wissen sehr viel über die grundlegenden Mechanismen von Auseinandersetzungen. Jeder, der eine besondere Einsicht in das Menschliche und das Leben überhaupt besitzt, kann behilflich sein, wenn er zeigt, worin die Konflikte tatsächlich bestehen.

Sie selbst waren Konfliktberaterin bei der UNO. Rührt aus diesen Erfahrungen Ihr besonderes Engagement?
Ja! Ich habe viel Grausames gesehen und erlebt, wie das Leben ganz gewöhnlicher Menschen zerstört wird durch geopolitische Umstände, die sich weder kontrollieren noch überhaupt durch den Einzelnen beeinflussen lassen. In solchen Fällen haben Außenstehende die Pflicht, alles nur Menschenmögliche zu tun, um zu helfen. Ich glaube, dass meine Erfahrungen mir einerseits die Möglichkeit geben, eine Brücke zu schlagen zwischen der Politik und der Literatur und mich andererseits auch dazu verpflichten. Schriftsteller können die politische Debatte zweifellos befruchten. Es geht einzig darum, den besten Weg dafür zu finden. Das war es, was mich auf den Gedanken brachte, "Frankfurt Undercover" ins Leben zu rufen. Es kommt darauf an, genau diesen Austausch in Gang zu bringen, die Ressourchen der Literatur zum Nutzen der Weltpolitik einzusetzen und so hoffentlich uns allen zu dienen.

"Frankfurt Undercover" – so nennen Sie die geplante Zusammenkunft von Autoren auf der Frankfurter Buchmesse. Warum so geheimnisvoll?

"Undercover" hat verschiedene Bedeutungsebenen: Es bezeichnet – wörtlich genommen – zunächst einmal den Platz unter Buch­deckeln. Und dann bedeutet es auch, dass die Frankfurter Debatte in einem geschlossenen Raum stattfinden wird, der nicht unmittelbar für die Öffentlichkeit und die Presse zugänglich ist. Aber das hat nichts damit zu tun, partout geheimnisvoll sein zu wollen, sondern es geht vielmehr darum, optimale Bedingungen für ein gänzlich offenes Brainstorming einiger der wichtigsten Denker unserer Zeit zu schaffen. Wir wollen einen Ort kreieren, an dem das Denken an Ränder und Grenzen vorstößt. Auf diese Weise werden wir ein Kompendium von Ideen produzieren, das wir am Ende der Öffentlichkeit präsentieren: ein Geschenk der Frankfurter Buchmesse und ihrer Schriftsteller an die Politik.

Welche Autoren werden in Frankfurt dabei sein? Nach welchen Kriterien haben Sie die Teilnehmer ausgewählt?
Ich werde nicht verraten, wer dabei sein wird. Wir versenden in diesen Tagen die Einladungen. Aber die Anforderungen sind einfach: Wir wollen eine kleine Gruppe von Schriftstellern mit unterschiedlichem Background und unterschiedlichen Erfahrungen zusammenbringen. Sie haben möglichst in mehr als einem Land und einer Kultur gelebt. Und sie haben in ihren Büchern gezeigt, dass sie ein neues Licht auf unser Thema werfen können. Aber am wichtigsten: Es geht darum, Schriftsteller zu versammeln, die absolut vorurteilsfrei und aufgeschlossen sind, die bereit sind, in den offenen Austausch von Ideen einzutreten, die sich von keinen Hindernissen aufhalten lassen bei der Suche nach neuen, noch unbekannten Wegen.

Interview: Holger Heimann

 

"Frankfurt Undercover"
Unter dem Motto "Frankfurt Undercover" lädt die Schriftstellerin Janne Teller 25 bis 30 Autoren zu einer Werkstatt ein, in der ein Kompendium mit Ideen erarbeitet werden soll. Dieses soll anschließend der Politik übergeben werden. Ort der dreitägigen Klausur ist die Autoren Lounge in Halle 5.1 (Eingang Via Mobile).

Das Thema wird erst zu Beginn der Werkstatt am 8. Oktober bekannt gegeben. Erste Einblicke in die Autorenwerkstatt bietet ein Pressetermin am Freitag, 10. Oktober, von 12.30 bis 13 Uhr in der Autoren Lounge, Halle 5.1.

Mehr zu diesem und zu weiteren Messethemen finden Sie in unserem Börsenblatt Kompass "Fit für Frankfurt 2014", der der aktuellen Ausgabe des Börsenblatts (Heft 38 / 2014) beiliegt. Das Heft ist, wie alle anderen Börsenblatt-Ausgaben, auch als E-Paper erhältlich.