Interview mit Detlef Felken

"Wir haben eine Mittlerrolle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit"

3. Mai 2013
von Börsenblatt
"In der Geschichte gibt es ganz unterschiedliche Register", sagt Detlef Felken, Cheflektor von C. H. Beck. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn im Programm des Münchner Verlagshauses populäre, brillant erzählte Geschichte neben analytischer Geschichtswissenschaft steht. Ein Gespräch über das Programm, die Rolle des Buchhandels und aktuelle Trends in der Geschichtsschreibung.

Die Beschäftigung mit Geschichte hat Konjunktur – auch um den Preis der Popularisierung. Wie geht Ihr Haus damit um?
Zunächst einmal: Unterhaltung ist nicht das Gegenteil von Information, und beide schließen nicht einander aus. In der Geschichte gibt es ganz unterschiedliche Register, die durchaus ihre Berechtigung haben. Vertreter einer analytischen Geschichtsschreibung, zu denen ich etwa Hans-Ulrich Wehler oder Heinrich August Winkler rechne, sind in ihren Darstellungen naturgemäß stärker diskursiv. Am anderen Ende des Spektrums steht die narrative Geschichtsschreibung, für die Adam Zamoyskis Buch über Napoleons Russlandfeldzug – "1812" – ein gutes Beispiel ist. Das war übrigens das meistverkaufte Geschichtsbuch des vergangenen Jahres aus unserem Programm: brillante narrative Geschichtsschreibung, die aber deswegen nicht schlechter ist. Grundsätzlich haben die deutschen Historiker eine gewisse Reserve den unterhaltenden Elementen gegenüber. Es mag aber sein, dass das in der jüngeren Historikergeneration gar nicht mehr so stark empfunden wird.

Sie wagen sich immer wieder an hochkarätige Projekte wie die "Geschichte der Welt". Sind diese Titel nur gut für das Renommee oder verdienen Sie damit auch Geld?
Ein Verlag, der sich als kulturelle Institution begreift, kann nicht immer nur auf Auflagenzahlen schauen. Wir nehmen unsere Mittlerrolle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sehr bewusst wahr. Was die "Geschichte der Welt" betrifft: Das ist auch ein Werk, das wir machen, weil wir unser Gewicht als historischer Verlag unterstreichen wollen. Ein innovatives und sehr ehrgeiziges Unterfangen, eine der ersten wirklich globalgeschichtlichen Weltgeschichten, noch dazu international aufgestellt. Immerhin haben wir von Band 1 bislang mehr als 5.000 Exemplare verkauft, bei einem Ladenpreis von 48 Euro.

Ist der stationäre Buchhandel nach wie vor der verlässliche Vertriebspartner für Ihren Verlag?
Unbedingt. Wir sind auf ihn angewiesen und fördern ihn, wo wir es können. Umgekehrt sind wir für den unabhängigen Buchhandel eine Art Qualitätsduftmarke. Im Jubiläumsjahr sind viele Buchhändler auf uns zugekommen, um gemeinsame Aktionen zu planen. Was die Zukunft des stationären Buchhandels betrifft: Ich könnte mir vorstellen, dass die Krise der Flächenbuchhandlungen für manche Neugründung wieder Perspektiven bringt. Der Handel muss sich aber auch Gedanken über seine Angebotsformen machen und sich vielleicht noch häufiger einen Mix von Angeboten überlegen, etwa in Verbindung mit Veranstaltungen.

Geschichte ist ein beliebtes Hobby für Männer über 60. Wie erreichen Sie die jüngere Zielgruppe?
Ich habe eine etwas andere Theorie: Es gibt einen ziemlich konstanten Prozentsatz von Menschen, die sich von Anfang an für die historische Dimension der Wirklichkeit interessieren, und die schon als junge Menschen neugierig auf die Vergangenheit sind. In der Mitte des Lebens haben sie dann nicht immer Zeit für die Lektüre, aber das sind die Menschen, die auch in die großen Ausstellungen gehen, die sich Geschichtsdokumentationen im Fernsehen anschauen, die im Urlaub antike Stätten besuchen. Die kehren, wenn sie mehr Lesezeit haben, zu diesen Themen zurück. Andere haben kein Organ dafür und sind nur schwer zu kriegen. – Trotzdem müssen wir auch über andere, zeitgemäße Formate nachdenken, mit denen wir jüngere Leser ansprechen können.

Es gibt ja hervorragende Beispiele aus Ihrem Programm, wie man historisches Material informativ, lehrreich und unterhaltsam zugleich aufbereiten kann – ich meine Neil MacGregors "Geschichte der Welt in 100 Objekten" …
Das ist für mich das Masterpiece, wenn es um historisches Infotainment im allerbesten Sinne geht. Neil MacGregor ist darin ein Genie. Er ist nicht von ungefähr so erfolgreich als Direktor des British Museum. Seine Aufgabe dort ist es ja, das Publikum hereinzuholen – Stoffe attraktiv zu machen, ohne sie zu trivialisieren.

Welche großen Trends kann man in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung erkennen? Findet man dies auch in Ihrem Programm wieder?
Der wichtigste Großtrend ist die Etablierung der Globalgeschichte. Das ist nicht nur ein Strohfeuer, das wird bleiben. Mit Jürgen Osterhammels Buch über das 19. Jahrhundert, "Die Verwandlung der Welt" – inzwischen 40.000 Mal verkauft – haben wir einen Nerv getroffen. Jeder hat heute begriffen, dass wir in einer globalen Welt angekommen sind. Die Fragen, die sich im nationalen Rahmen abspielen, treten hinter anderen Fragen zurück. Ich persönlich habe den Traum, dass sich so etwas wie eine kosmopolitische Weltkultur im 21. Jahrhundert etabliert, die es lernt, eine Pluralität der Werte kulturell auszuhalten und zu akzeptieren. Für einen anderen Trend, den ich auch sehe, steht der Historiker und Hanser-Autor Karl Schlögel: Er hat das Narrativ der Gleichzeitigkeit für sich entdeckt. In "Terror und Traum", das vom Moskau des Jahres 1937 handelt, legt er die Interaktionsprozesse frei, die sich simultan an diesem Ort abspielen. Das ist ungeheuer faszinierend zu lesen und setzt beim Autor hohes narratives und darstellungstechnisches Geschick voraus. Schlögel geht es darum, ein Panorama all dessen zu zeigen, was da ist, und Verbindungslinien zwischen Dingen aufzuzeigen, von denen man zunächst annimmt, sie hätten nichts miteinander zu tun.

Welches Buchprojekt macht Ihnen im Moment am meisten Spaß, ein historisches Werk oder etwas ganz Anderes?
Es sind natürlich immer mehrere. Wir kommen im Herbst mit einer großen Biographie Karls des Großen von Johannes Fried zum 1.200. Todestag im Jahr 2014. Fried hat immer einen Sinn für Experimentelles, und sein Buch ist auch keine Biographie im klassischen Sinne, weil wir dafür einfach zu wenig über Karl den Großen wissen. Es ist eher eine Annäherung an sein Leben durch kontrollierte Intuition. Das ist Geschichtsschreibung auf höchstem Niveau und zeigt auf wunderbare Weise, dass die Beschäftigung mit Geschichte immer auch ein Abenteuer sein kann. Wir werden außerdem ein neues Buch von Neil MacGregor über Shakespeare und natürlich auch noch vieles andere im Herbst haben.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Detlef Felken ist Cheflektor des Verlags C. H. Beck und betreut unter anderem das Geschichtsprogramm des Hauses.

 

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