Interview mit Evan Schnittman

"Print und Digital müssen unterschiedlich positioniert werden"

1. Dezember 2011
von Börsenblatt
Vom 20. bis 23. Mai 2012 veranstaltet der Arbeitskreis Elektronisches Publizieren im Börsenverein (AKEP) gemeinsam mit der VDZ-Akademie die AKEP Publishers' Tour 2012 nach New York. Evan Schnittman von Bloomsbury Publishing analysiert im Interview die Entwicklung des E-Book-Markts in den USA – eines der wichtigen Themen der Verlegerreise.

Die Marktdurchdringung von E-Books in den USA erreicht inzwischen bis zu 20 Prozent. Könnten Sie die Entwicklung, die E-Publishing in den USA genommen hat, kurz skizzieren und seine Bedeutung für die Industrie erläutern?
E-Books gab es bereits vor fast 15 Jahren. Einen richtigen Markt gibt es allerdings erst seit dem 19. November 2007, als der erste Amazon Kindle rauskam. Seitdem hat sich die Buchindustrie in den USA unwiderruflich verändert. Grund dafür war, dass Amazon als erstes Unternehmen die drei wichtigsten Voraussetzungen erfüllte, die für Erfolg im Content Bereich notwendig sind: ein Gerät, für das es beim Nutzer einen echten Bedarf gibt; eine Plattform, die nahtlos Transaktionen und die Nutzung von Inhalten ermöglicht – und eine große Auswahl. Apple hatte zuvor dasselbe mit iTunes und dem iPod gemacht, und Kindle folgte einfach diesem bewährten Modell.
Amazon hat anfangs Verluste hingenommen und auf viele E-Books aggressiv Rabatte gegeben, um den Marktanteil auszubauen. Der Erfolg mit dem Kindle, zu dem dies letztendlich führte, hat Amazon dann zu einem enormen Vorsprung im E-Book Markt verholfen und dazu beigetragen, dass sich der Marktanteil von E-Books von 0,5 Prozent auf 4 Prozent innerhalb eines Jahres und auf 8 Prozent innerhalb von zwei Jahren steigerte. Amazons Marktvorherrschaft und Preispolitik beunruhigte die Autoren-Agenten-Verleger-Gemeinde ziemlich. Daher haben fünf der sogenannten "Big Six"-Verlage in den USA sofort die Gelegenheit ergriffen, als Steve Jobs ein komplett neues Geschäftsmodell, das "Agency Model", für den Verkauf von E-Books vorschlug. Dies war ein entscheidender Wendepunkt in den USA, da nun Verlage und nicht der Buchhandel den exakten Verkaufspreis von E-Books diktierten.
Gleichzeitig kam der iPad auf den Markt, und Apples iBookstore wurde gestartet, aber der Hauptnutznießer all dessen war nicht Apple, sondern eher Barnes & Noble. Barnes & Noble hat den Nook kurz nach dem iPad auf den Markt gebracht. Gleichzeitig waren zu diesem Zeitpunkt 40 Prozent aller E-Books zu einem Festpreis erhältlich. Barnes & Noble konnte also seine neuen Geräte promoten, ohne Verluste bei den E-Book-Verkäufen hinnehmen zu müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Als E-Books bei einem Marktanteil von 15 Prozent angekommen waren, hatte Barnes & Noble fast 20 Prozent Anteil am Kuchen.
Aktuell machen E-Books in den USA 25–30 Prozent aller Buchverkäufe aus, und Amazon ist immer noch Marktführer, allerdings wahrscheinlich eher näher bei 50 Prozent des Marktes, während Barnes & Noble 30 Prozent des Marktes und Kobo, iBookstore, Sony und andere den Rest ausmachen.

Bei einer Diskussion während der Buchmesse in Frankfurt wurde die Meinung geäußert, dass die "E-Book Explosion" außerhalb Amerikas mindestens noch drei Jahre entfernt liegt. Warum ist die Entwicklung in nicht-englischsprachigen Märkten wie Deutschland und Spanien Ihrer Meinung nach langsamer?
Ich glaube, es ist wichtig, sich an etwas zu erinnern, was ich letztes Jahr bei der London Book Fair gesagt habe: "Sobald es eine lokale Kindle-Version gibt, weißt Du, dass Du einen E-Book Markt hast." In den letzten Monaten haben wir die Markteinführung des Kindle in Spanien, Frankreich und Deutschland beobachtet. Ich denke, dass der Kindle in Spanien am schnellsten Fuß fassen wird. Dafür gibt es zwei Gründe: Spanien hat keine Buchpreisbindung, was bedeutet, dass Amazon es sich leisten kann, Bücher mit Verlust zu verkaufen, um seinen Marktanteil  zu erhöhen. Außerdem ist der Spanisch sprechende Bevölkerungsanteil in den USA sehr hoch, so dass es bereits ein ansehnliches Repertoire an spanischen E-Books gibt.
Ich denke aber auch, dass die Eleganz der neueren Kindle Geräte, insbesondere der neue "Kindle Fire" Tablet-PC, in Verbindung mit Amazons unglaublicher Erfahrung im Einzelhandel es dem Unternehmen ermöglichen werden, in Deutschland und Frankfurt recht schnell zu wachsen. Dazu kommt, dass es bereits eine gesunde Konkurrenz gibt: In Frankreich hat der größte Einzelhändler FNAC eine Kooperation mit Kobo angedeutet und auch in Deutschland gibt es bereits eine Reihe von E-Book-Unternehmen. Konkurrenz plus die Existenz von Kindle sorgen für eine erheblich schnellere Entwicklung des Marktes


Welche E-Publishing Geräte sind in den USA führend und warum?
Kindle, Nook und iPad bzw. iPhone. Die ersten beiden sind das Resultat davon, dass Amazon und Barnes & Noble getan haben, was sie am besten können: Konsumenten in ihre Plattformen "einzuschließen", die auf jedem anderen wichtigen Gerät funktionieren. Dies bedeutet, dass – obwohl der iBookstore ein kleiner Marktteilnehmer ist –, iPhone und iPad die vielleicht wichtigsten Lesegeräte für E-Books geworden sind, allerdings hauptsächlich für Nook und Kindle Kunden. Cloud Plattformen sorgen dafür, dass die Geräte praktisch irrelevant werden, außer als Mittel, Nutzern Zugang zu einer Plattform zu geben.

Was sind generell die größten Herausforderungen für Verlage, wenn es um E-Publishing geht?
Drei Dinge: "Analoge" Produktionssysteme in ein digitales Umfeld zu übersetzen; zu lernen, wie man Titel in einer digitalen Welt positioniert und vermarktet – und herauszufinden, wie man eine variable Preisgestaltung in Echtzeit nutzen kann. Aktuell verbringen Verlage noch zu viel Zeit damit, Druck-Buchdateien zu kreieren, die dann wiederum in Formate konvertiert werden müssen, die für E-Books funktionieren. Das ist Zeit- und Geldverschwendung und bringt eine ganze Reihe von Qualitätskontrollproblemen mit sich. Wenn wir die Art und Weise, wie Buchdateien angelegt werden, ändern, so dass sie in XML hergestellt werden, wird das den Übergang zu E-Books beschleunigen.
Dazu kommt, dass Marketing für E-Books ganz anders als das für gedruckte Bücher ist. Es gibt keinen Laden, keine Regale, kein Register, keine Tische, auf denen Bücher ausgestellt werden, um sie zu bewerben und das Interesse der Kunden zu wecken. Es ist eine große Herausforderung, zu lernen, wie man diese Mängel überwindet. Und letztendlich ist es auch ein neues Konzept für die Buchindustrie, den Preis als ein Marketinginstrument zu nutzen. Wenn man ein physisches Inventar verwalten muss, hat die Preisgestaltung sehr spezifische Auswirkungen. Im digitalen Bereich gibt es keine physischen Grenzen, die verwaltet werden müssten – ein Buch kann so viel oder so wenig sein, wie wir das möchten ... Herauszufinden, wie wir diesen Umstand am besten managen, wird ausschlaggebend für die Zukunft sein.

Was haben US-Verlage von den Lesererfahrungen mit E-Books bisher gelernt?
Das ist eine schwierige Frage, da ich nicht für eine gesamte Industrie sprechen möchte. Ich glaube, das wichtigste, was wir gelernt haben, ist, dass Print und Digital unterschiedlich positioniert werden müssen: Bei Print geht es um die Qualität eines Buches, dessen Produktions- und Herstellungswert. Bei E-Books geht es um die Praktikabilität des Lesens, Stichwort "Convenience". Es wird ausschlaggebend für unsere Zukunft sein, Wege zu finden, diese Eigenschaften separat und komplementär zu halten.

Evan Schnittman ist Managing Director Group Sales und Marketing, Print und Digital bei Bloomsbury Publishing.

Informationen zur AKEP Publishers' Tour 2012 finden Sie hier.