Interview mit Lutz Schulenburg

"Die Konterrevolution hat viele Gesichter"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Edition Nautilus Verleger Lutz Schulenburg über Chancen und Risiken des Arabischen Frühlings.

Sicher verfolgen Sie mit Spannung die Ereignisse in den Arabischen Ländern?
Natürlich. Ich bin bestens informiert.

Wo genau liegt Ihr Interesse?
Ich verfolge den Sturz der Despoten. Wir erleben die Nachwehen des Kolonialismus und das Erbe des Imperialismus. Die finstersten Reaktionen, etwa den Fundamentalismus, kennen wir im Westen ja auch. Er ist ein Ausdruck blockierter gesellschaftlicher Entwicklungen. Es gibt eine Verbindung zu einer weltweiten Protestbewegung. Auch die Revolten aufgrund Finanzkrise, die wir hier in Form einer Bankenrettung erleben, widerlegen die Allmacht des Neoliberalismus.

Welchen Platz und Stellenwert haben denn Texte zum Thema "Arabische Revolution" in Ihrem Programm?

Die Geschichte, die von den Menschen gemacht wird, ist natürlich schneller als ein Verlagsprogramm. Von Marc Thörner erscheint ein neues Buch, das unter dem programmatischen Titel "Die Arabische Revolution und ihre Feinde" das Thema analytisch und aus eigenem Erleben behandelt. Von der wunderbaren Malerin und Poetin Etel Adnan, die in ihrem künstlerischen Schaffen einen arabischen und europäischen Blick verbindet, erscheint "Jahreszeiten". Wichtig für das Verständnis der arabischen Situation, erscheint mir der israelisch-palästinensichen Konflikt, der eine vielgestaltige Quelle für Krieg, Unterdrückung und gesellschaftlichen Stillstand ist. Im Frühjahr bringen wir das international beachtete Werk von Gilbert Achcar "Die Araber und der Holocaust" heraus. Und für den Herbst hat uns Abbas Khider einen neuen Roman versprochen, der im Irak unter der US-Besatzung spielen wird.    

Welche Hoffnungen verbinden Sie in persönlicher in verlegerischer Hinsicht mit der Arabischen Revolution?

Dass die Jugend mit ihrer Lust auf Freiheit und erneuernde Fantasie die autoritären Kräfte, egal ob die der Politik oder die der Religion, zurückdrängen und den Raum für die soziale und kulturelle Erneuerung der Gesellschaft vergrößert. »Die Geschichte reitet nicht mehr auf Kamelen, frisst aber immer noch Staub«, meint Etel Adnan. Was soll ich als Verleger schon hoffen, was sich von den Wünschen des Zeitgenossen unterscheidet? Außer, wie jeden Tag am Schreibtisch: auf das unerwartete Manuskript, das alles bisher geschrieben in den Schatten stellt!

Welchen Einfluss hat der Arabische Frühling auf uns?
Sie sagen Frühling. Der Kampf ist ja noch lange nicht abgeschlossen. Die Proteste haben sicher auch dafür gesorgt, dass in Spanien und Frankreich die Menschen auf die Straße gingen. Aber dieser Widerstand ist nicht neu: Bereits der Zapatisten-Aufstand in Mexiko-Chiapas 1994 hat ein Beispiel gegeben, wie ein Protest von unten aussehen kann. Im Übrigen ist es schon verwunderlich, wenn man sich die Reaktion unserer Politiker ansieht: Schließlich wurden die Militärdiktaturen durch den Westen bisher gestützt oder in Amt und Würden gebracht. Saudi-Arabien, als mustergültige theokratische Diktatur unser Verbündeter, ist schon ein Zeichen der menschlichen Unzulänglichkeit, oder?

Wie beurteilen Sie, dass die islamistischen Kräfte von den Protesten scheinbar profitieren?
Der Hunger ist nah und Gott ist weit – der religiöse Obskurantismus vernebelt zwar den Kopf, füllt aber nicht den Magen. Es gibt immer Kräfte, die die Religion politisieren. Die Regierungen, sowohl der Diktatoren als auch im Westen, haben diese Kräfte ja oft erst stark gemacht. Denken Sie an Afghanistan und die Rolle der USA. Nun treten die Fundamentalisten als politische Kraft in Erscheinung. Wenn der Papst könnte, würde er das bei uns vielleicht auch tun. Wie auch immer: Die fundamentalistischen Kräfte haben nicht das Schwergewicht, sind aber ein Faktor. Insgesamt haben die religiösen Gruppen an den Protesten wenig Anteil. Weil politische Kräfte aber schneller sind als soziale Bewegungen, wäre es das Schlimmste, wenn die libertären Bewegungen gestoppt werden würden: Die Konterrevolution hat viele Gesichter: Das Militär, den Geheimdienst die Theologen und die Regierungen.

Sind Sie eigentlich ein Optimist?
Klar bin ich ein Optimist. Es geht ja um unsere Zukunft.

Fragen: Kai Mühleck