Interview mit Paul de Sinety, Koordinator von "Francfort en français"

"Europa ist die Übersetzung"

20. Oktober 2017
von Börsenblatt
Der Auftritt Frankreichs und der französischsprachigen Literatur aus aller Welt hat das Buchmessepublikum begeistert. Im Interview mit Holger Heimann zieht Paul de Sinety, Koordinator von "Francfort en français", Bilanz.

Hatten Sie einen Lieblingsplatz auf der Messe?
Unseren Pavillon natürlich. Er ist zu einem Ort der Gastfreundschaft geworden, ganz wie wir uns das erträumt hatten. Er wurde von jungen Leuten organisiert, von Freiwilligen, meist Studenten, leidenschaftlichen Lesern. Es war eine sehr besondere Atmosphäre, ein schönes Abenteuer.

Frankreich war 1989 schon einmal Gastland. Was war anders in diesem Jahr?
Wie soll man das vergleichen? Das ist unmöglich. Im Oktober 1989 gab es noch zwei deutsche Staaten. In den zurückliegenden fast 30 Jahren hat sich vieles verändert. Heute schreiben viele wichtige Schriftsteller auf Französisch, die keine Franzosen sind. Sie kommen aus Marokko, Burundi, dem Kongo, der Karibik, aus Kanada und Asien. Die französischen Leser haben die neue, frankophone Literatur entdeckt. Die Präsentation in Frankfurt war für uns nun eine wunderbare Gelegenheit, über unsere Landesgrenzen hinaus zu schauen – durch die Sprache und dank der Sprache. Es ist ein Glück, dass wir alle diese Schriftsteller in Frankfurt vorstellen konnten. Ich wünsche mir, dass diese Autoren in Deutschland besser bekannt werden.

Was war aus Ihrer Sicht der Höhepunkt der französischen Präsentation?
Der Höhepunkt war zweifellos der Auftritt von Angela Merkel und Emmanuel Macron zur Eröffnung der Buchmesse. Dass zwei so hochrangige Politiker zum Auftakt der Messe gesprochen haben – das gab es noch nie zuvor. Die Reden der beiden können einen wichtigen Anstoß dazu geben, gemeinsam ein neues Europa zu bauen.

Manche haben kritisiert, dass die von Ihnen angesprochenen Politikerreden vor allem das deutsch-französische Verhältnis thematisiert haben. Das Besondere dieser Messe, die Frankophonie, sei hingegen zu wenig präsent gewesen.
Die Frankophonie war im Herzen der Eröffnungszeremonie. Denken Sie an den Auftritt des Schriftstellers Wajdi Mouawad. Er ist im Libanon geboren und lebt heute in Paris. Seine literarische Performance war ein wichtiges Zeichen. Für mich war die Messe durch ein Miteinander aller Autoren gekennzeichnet. Da gab es keine Spaltung, sondern eine produktive Spannung. Alle Autoren teilten Debatten und Begegnungen – ohne Grenzen. Diese Buchmesse ist auch ein Hinweis darauf, dass Europa gastfreundlicher sein muss.

Gibt es diese Spaltung noch in der Literaturszene in Frankreich?
Nein. In den französischen Buchhandlungen gab es früher eine strikte Trennung zwischen französischen und frankophonen Autoren. Diese Unterscheidung ist sinnlos geworden.

Kann die Buchmesse auch in umgekehrter Richtung wirken – also das Interesse für deutsche Bücher in Frankreich befördern?
Mein Traum ist es, dass es zwischen unseren Ländern mehr und mehr Übersetzungen gibt, um einander besser zu verstehen. Umberto Eco sprach von Europa als einem Kontinent der Übersetzung. Ich glaube, Europa ist die Übersetzung. Das ist eine Besonderheit, die beispiellos in der Welt ist. In Deutschland gibt es eine große Neugier auf das Andere, das Fremde. Das ist ein Modell für unser Europa. Französisch ist die Sprache, die in Deutschland am zweithäufigsten übersetzt wird, und Deutsch ist die am dritt­häufigsten übersetzte Sprache in Frankreich. Ich hoffe, dass viele deutsche Bücher nach Frankreich gelangen. Ich habe hier eine große Begeisterung unter deutschen Verlegern bemerkt, neue Stimmen aus Frankreich zu entdecken.