Interview mit Thomas Lehr

"Ich bin stolz, dieser Phalanx beizutreten"

5. September 2011
von Börsenblatt
Romancier Thomas Lehr ("September. Fata Morgana", Hanser Verlag) trat am Freitag, 2. September,  sein Amt als Stadtschreiber von Bergen-Enkheim an. Ein Interview mit dem Wahlberliner, dessen Herz auch für seine pfälzische Heimat schlägt.

Thomas Lehr macht einen entspannten Eindruck. Er hat seine Eltern mit nach Bergen gebracht. Über das Blitzlichtgewitter der Fotografen macht er sich gar keine Gedanken mehr, sagt er. Das Gespräch findet in den angenehm kühlen Räumen im Erdgeschoss des Stadtschreiberhauses in Bergen-Enkheim statt. Dort wird gerade Kaffee gekocht, für die Gäste im Innenhof. Anlässlich des Interviews mit boersenblatt.net betritt Lehr die Räume zum ersten Mal, die er für die Dauer eines Jahres zur Verfügung gestellt bekommt.

Sind Sie eigentlich ein heimatverbundener Mensch, Herr Lehr?

Heimatverbunden im doppelten Sinn: Mit meiner gewählten Heimat fühle ich mich sehr eng verbunden. Am wohlsten fühle ich mich stets in Großstädten. In Deutschland ist das Berlin. Aber es gibt auch eine große Nähe zu meiner Pfälzer Heimat, vor allem durch meine Familie, die ich mehrmals im Jahr besuche.

Berlin: Sie haben dort derzeit die Poetik-Professur inne, leben seit vielen Jahren in der Stadt. Haben Sie überhaupt Zeit, dass Stadtschreiberhaus zu beziehen?

Meine elfjährige Tochter ist der begrenzende Faktor. Ich bin sozusagen für ihre Nachmittagsbetreuung zuständig. Voraussichtlich werde ich das Haus nutzen, um mit meiner Familie Ferien zu machen - in den Schulferien. Einige Wochenenden werde ich natürlich ebenfalls hier verbringen. Außerdem wird sie mein Quartier für viele Veranstaltungen sein. An Manuskripten werde ich hier allerdings eher selten arbeiten.

Werden Sie während der Buchmesse hier wohnen?

Während der Messetage bin ich auf Einladung des Goethe-Instituts in Russland auf Lesereise. Stationen sind in Moskau und Sankt Petersburg. In der Woche vor der Buchmesse werde ich aber im Sadtschreiberhaus leben.

Woran arbeiten Sie denn gerade, Herr Lehr?

Noch ist nichts spruchreif. Ich beschäftige mich gerade mit einem größeren Romanprojekt, das teilweise in Deutschland spielen wird. Es wird Rückblenden ins 20. Jahrhundert geben. Noch ist das allerdings eine "Großbaustelle".

Sie sind ein Autor, der sich nicht vor Experimenten scheut. Sind es bestimmte Themen, die Sie fesseln?

Romane entstehen, wenn ich mir bestimmte Themen erschließe. Im aktuellen Projekt beginnt alles mit der Kunst - und der Physik.

Welche Bedeutung hat für Sie eigentlich der Stadtschreiber-Preis?
Es freut mich sehr und ehrt mich, diesen Preis entgegenzunehmen. Die Bedeutung des Preises zeigt sich dabei nicht nur in der Preissumme. Es ist gerade die beeindruckende Reihe an Vorgängern, die das Renommee ausmacht. Der Preis ist sozusagen immer wert, was die Köpfe wert sind. Die Reihe der Stadtschreiber von Bergen-Enkheim besteht eigentlich nur große Namen. Ich bin stolz, dieser Phalanx beizutreten.

Beschäftigen Sie sich aktiv mit dem Thema E-Book?

Mein letzter Roman ist auch als E-Book erschienen. Eins von 100 Büchern, das verkauft wird, ist ein digitales. Ich denke, dass digitale Medien in Zukunft etwa zehn Prozent ausmachen werden. Verdrängen werden sie das physische Buch nicht. Ich selbst nutze (noch) keinen E-Reader, wobei mich die Vorstellung schon reizt, meine Handbibliothek auf einem Lesegerät mit ins Stadtschreiberhaus zu nehmen. Das materielle Substrat ist mir auch bei meinen eigenen Büchern nicht so wichtig. Es ist ja gerade das Fesselnde an der Literatur, dass sie so beweglich ist. Es braucht nur 26 Buchstaben. Diese reine Zeichenhaftigkeit macht es natürlich möglich, dass Literatur auch in anderen Medien als in Büchern erscheinen kann. Literatur als Substanz geht auch ohne das Buch nicht verloren. Früher haben die Menschen etwa auf Papyrus geschrieben. Wenn es aber ums Lesen geht, bevorzuge ich ganz klar das schön gedruckte, gebundene Buch. Nicht bloß wegen der jahrhundertealten Tradition.

Können Sie sich vorstellen, Ihre E-Books selbst zu verlegen?
Das machen Autoren wie Rowling oder Coelho, die ihre Schäfchen ohnehin im Trockenen haben und von Verlegern genervt sind.

Sie hängen an Ihrem Verlag.
Ein Verlag macht ja viel mehr als Bücher zu drucken. Denken Sie an das Marketing, an die Einordnung in Buchreihen und an all der Arbeit, die darin steckt, ein Buch auf den Markt zu bringen.

Wie wichtig ist Ihnen die Arbeit Ihres Lektors?

Ich könnte mir eher vorstellen, bei einem elektronischen Verlag mit Lektor zu publizieren als in einem "klassischen" Buchverlag ohne Betreuung durch einen Lektor. Als Autor brauche ich das Feedback.

Fragen: kum

Thomas Lehr bezieht das Stadtschreiberhaus: Zur Bildergalerie geht es hier.