Interview mit Tilman Rammstedt

"Kampfansage an die Zweifel"

11. Januar 2016
von Nils Kahlefendt
Öffentlich arbeiten: Ab heute schreibt Tilman Rammstedt an seinem neuen Roman. "Morgen mehr" wird er heißen und im Sommer von Hanser ganz regulär in den Handel gebracht. Abonnenten können schon jetzt drei Monate lang mitlesen, mithören – und mitreden.

Herr Rammstedt, im Startnext-Video zu "Morgen mehr" sieht man Sie mit Handschellen an den Schreibtisch gekettet, eine Fotosequenz prognostiziert den allmählichen Ausbruch von Chaos und Wahnsinn im Fortgang des Projekts. Fürchten Sie nicht, dass aus dem Witz bitterer Ernst werden könnte? Was heißt hier "Witz"? Das sind alles meine realen und ehrlich gesagt schon sehr geschönten Ängste. Ich vertraue da meinem Verlag, dass er notfalls aus Gründen der Aufsichtspflicht irgendwelche "technischen Probleme" vortäuscht.

Sie gelten als Autor, der hart an der Deadline arbeitet; mit "Morgen mehr" haben Sie den Druck noch mal erhöht. Was reizt Sie an diesem Experiment des öffentlich begleiteten Schreibens? Das Ganze soll ja mehr als nur eine intelligente Werbekampagne für einen neuen Roman sein...
Das wäre eine sehr fragwürdige und aufwändige Werbekampagne. Die Idee beruht auf meiner Erfahrung mit dem Schreiben meiner bisherigen Bücher, die, da haben Sie Recht, auch allesamt in engen Zeitzwängen entstanden sind. Aber da gab es immer ein paar Tage oder sogar Wochen, in denen ich nicht weiterwusste und alles zerzweifelte. Und mich interessiert, was passiert, wenn es einfach weitergehen muss. Es ist eine Art Kampfansage an die Zweifel.

Gibt es Vorbilder? Haben Sie digitale Work-in-Progress-Projekte von Kollegen verfolgt? Nein, ich habe wenig davon verfolgt. Erstens, weil ich mir noch gar nicht sicher bin, wie mein Projekt sich tatsächlich entwickelt, ob es eher ein öffentliches Suchen und Scheitern und Schummeln und Umentscheiden wird - oder tatsächlich eine zwar schlingernde aber fortlaufende Geschichte. Und zweitens will ich natürlich glauben, dass ich der erste bin, der so etwas macht. Bitte lassen Sie mich in dem Glauben!

Ihre Leser sind aufgefordert, das Projekt mit Kommentaren zu begleiten. Erwarten Sie Hilfe und Inspiration, wenn Ihnen plotmäßig mal die Puste ausgehen sollte? 
Ja, im Grunde erwarte ich, dass die Leser den Roman schreiben und mir nur die Rolle des motivierenden Supervisors bleibt. Sollte das wider Erwarten nicht so sein, dann hoffe ich zumindest auf moralische Unterstützung in Form von Kommentaren wie "Immerhin besser als gestern" oder "Das dritte Komma fand ich sehr poetisch".

Als Kind der Postmoderne müsste es den Autor doch auch reizen, unter diversen Tarnnamen in der Debatte mitzumischen?Tilman Rammstedt: Nein, das habe ich auf keinen Fall vor.
Tillmann Rammstedt: Glauben Sie ihm kein Wort. Natürlich hat er das vor.
Tilmann Ramstedt: Ich lasse mir jedenfalls nicht den Mund verbieten. Das ist immer noch ein freies Land.
Tillman Rammstädt: Hört auf, euch zu streiten! Computer aus! Essen ist fertig! 

Haben Sie Angst, zu scheitern? Im stillen Kämmerlein stellt sich die Frage anders…Natürlich habe ich das. Bei jedem Buch. Und auch sonst.

Im Mai soll "Morgen mehr", ganz klassisch, als gedrucktes Buch in den Handel kommen. Wird das fertige Buch anders aussehen als die Summe der digitalen Lieferungen?
Mit Sicherheit. Selbst in größenwahnsinnigen Momenten glaube ich nicht, dass ich drei Monate lang täglich druckreif und dramaturgisch ausgewogen schreiben kann. Ich fürchte sogar, die eigentliche Arbeit wartet erst nach Abschluss des öffentlichen Schreibens. Aber daran will ich lieber noch nicht denken.

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