Interview mit Ulrich Hermann

"Jurion ist auch ein Vertriebskanal für Verlage"

25. November 2011
von Börsenblatt
Gestern abend hat Wolters Kluwer Deutschland die neue digitale Plattform Jurion vorgestellt – eine digitale Arbeitsumgebung für Juristen, die es ermöglicht, Fachinhalte in den Workflow zu integrieren. Boersenblatt.net sprach mit Ulrich Hermann, Geschäftsführer von Wolters Kluwer Deutschland.  

Am 24. November haben Sie die Plattform Jurion, eine digitale Arbeitsumgebung für Juristen gestartet. Was unterscheidet Jurion von anderen Modellen für die juristische Online-Recherche?
Jurion ist keine klassische Online-Datenbank, sondern will den Arbeitsprozess des Anwalts oder Notars mit Fachinhalten unterstützen und effizienter gestalten – zum Beispiel bei der Erstellung eines Schriftsatzes. Der gewünschte Content kann mit Hilfe von Jurion in den Workflow integriert werden. Dabei bietet die Plattform den Zugang zu möglichst vielen Quellen, also nicht nur verlagseigenen. Denn der Nutzer ist ja an möglichst vielfältigen Inhalten und Meinungen zu Rechtsfragen interessiert.

Wie kann der Kunde mit Jurion arbeiten? Was muss er investieren?
Auf dem Rechner des Kunden wird zunächst die Anwendung Jurion Desk installiert – und zwar im Offline-Modus, schon aus Gründen der Vertraulichkeit und des Mandantenschutzes. Die Funktion der Software ist dabei etwa einem iPod zu vergleichen, auf den man eigene und gekaufte Titel laden kann, und auf dem die Titel verwaltet werden können. Die Inhalte kauft der Kunde dann in einem E-Kiosk, der iTunes vergleichbar wäre. Erst wenn der Nutzer eine bestimmte Datenbank nutzen will, geht er online.

Gibt es schon einen Preis für das Produkt?
Nein, den bestimmen wir erst, wenn wir eine dreimonatige Betatest-Phase ausgewertet haben, die nach dem Kick-Off am 24. November beginnt. Jurion Desk bringt aber schon Primärinformationen für den Nutzer mit: In Kooperation mit Juris haben wir das Produkt mit der kompletten Rechtsprechung der oberen Gerichte und der vollständigen Sammlung aller deutschen Gesetzestexte ausgestattet.

 

Wie kommt der Nutzer an den Content?
Der Kunde erwirbt bei uns ein sogenanntes J-Book, ein E-Book, dass sich wie eine Online-Datenbank nutzen kann. Das Besondere an der Lösung ist, dass beispielsweise ein Anwalt aus dem Arbeitsprozess heraus das Buch kauft. Er erstellt gerade einen Schriftsatz zu einem bestimmten Fall, informiert sich über die einschlägige Rechtsprechung und bekommt eine Liste der relevanten Sekundärliteratur angezeigt. Aus dem Kontext der Fallbearbeitung heraus erwirbt der Anwalt das von ihm benötigte Buch.

Über Jurion Desk kann er auch Bücher anderer Verlage kaufen. Haben Sie dazu Lizenzvereinbarungen getroffen?
Nein, wir haben es ja mit einem völlig anderen Geschäftsmodell zu tun. Jurion Desk funktioniert wie ein Vertriebskanal, über den jeder juristische Verlag seine Inhalte wie ein Händler anbieten kann. Wir sind also J-Book-Vermarkter unserer Partner und haben mit diesen eine Vertriebsvereinbarung geschlossen.

Partizipiert auch der Buchhandel an dem Vertriebsmodell?
Beim Kauf eines – übrigens preisgebundenen – J-Books über Jurion Desk wird dem Kunden immer auch eine gedruckte Version von einem Buchhändler der Wahl geschickt. Der stationäre Buchhandel gehört mit zum Umfeld, in dem wir unsere Produkte verkaufen.

Was haben Sie künftig noch mit Jurion vor?

In einer zweiten Ausbaustufe wollen wir den „Tertiär“-Content, sehr spezifische Inhalte, die der Nutzer selbst erstellt und die er separat auf seiner Festplatte gespeichert hat, in den Arbeitsablauf integrieren. Wenn ein Anwalt beispielsweise immer wieder ein eigenes Formular verwendet, kann er es künftig über Jurion mit den Datenbankinhalten verknüpfen. So lassen sich Medienbrüche vermeiden.

Haben Ihre Technologie-Marken wesentlich zur Entwicklung von Jurion beigetragen?

In die digitale Arbeitsumgebung sind drei Kernkompetenzen eingeflossen: unsere Softwareanbieter Addison, Annotext und Trigondata; die Online-Datenbank von LexisNexis, das wir im Herbst 2010 übernommen haben sowie unsere eigenen Rechtsverlage. Diese Kombination ist durchaus ein Alleinstellungsmerkmal.

Interview: Michael Roesler-Graichen