Interview mit Verlegerin Julia Eisele

"Ein Faible für skurrile alte Männer als Romanhelden"

21. Februar 2017
von Börsenblatt
Julia Eisele hat fast 20 Jahre lang als Lektorin und Programmleiterin bei Randomhouse und Bonnier Erfahrungen gesammelt; zuletzt war sie bei Piper Programmchefin fürs Taschenbuch, Paperback und Pendo. Nun startet sie mit einem eigenen Verlag: Im Interview erzählt sie über  Ziele, Lizenzen und den Mut zum Risiko.

Kleinverlage haben es nicht gerade leicht – woher nehmen Sie den Mut für eine Neugründung?

Ich glaube, dass etwas, das man aus Überzeugung und mit Leidenschaft tut, gut wird. Dabei bin ich mir der Risiken einer Verlagsgründung durchaus bewusst. Aber da, wo die Angst ins Spiel kommt, wird es doch erst interessant. Nach vielen Jahren als angestellte Programmmacherin hatte ich Lust auf eine neue Herausforderung. Und ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Außerdem haben mir selbstständige Unternehmer, vor allem wenn es Frauen sind, immer schon imponiert. Antje Kunstmann, die letztes Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum als Verlegerin feierte, antwortete der SZ auf die Frage: „Was muss eine Verlegerin heute mitbringen, um erfolgreich zu sein?“ „Mut zum Risiko und Liebe zum Beruf.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt?

Erst einmal einen profitablen Verlag aufzubauen. Die Ausgangsposition ist gut, weil ich mit Ullstein einen großartigen Vertriebspartner an meiner Seite habe. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen dort macht Spaß, und ich wünsche mir, dass diese auch für Ullstein ein Erfolg wird. Im Moment möchte ich den Verlag noch so klein wie möglich halten – nicht vom Ergebnis, aber vom Personalaufwand her.

 

Sie haben als Lektorin bei Bonnier und bei Random House viele Erfahrungen gesammelt. Welche Erkenntnisse aus der Arbeit in Konzernen finden jetzt bei der Verlagsneugründung besondere Beachtung?

In den Konzernverlagen erscheinen jedes Jahr viele hundert Titel, hinter denen eine ebenso große Zahl an Autoren steht, die alle Erfolg haben wollen. Dem gegenüber steht eine relativ kleine Zahl an Lektoren, Marketing- und Pressekollegen, die all diese Titel betreuen sollen, dies aber niemals angemessen schaffen können, egal wie viele Überstunden sie machen und wie engagiert sie sind. Dabei bleiben viele Bücher auf der Strecke. Das ist sozusagen systemimmanent. Wenn ich jetzt nur vier Titel pro Saison betreue, kann ich mich endlich um alles angemessen kümmern, um die Bedürfnisse der Autoren, die Arbeit am Text, die ideale Verpackung, nicht zuletzt die ideale Pressearbeit. Denn auch hier sind wir als kleiner Verlag im Vorteil, weil das Programm von Politycki & Partner betreut wird, einem Pressebüro, das sich große Verlage in der Regel nur für ihre ganz wichtigen Bestsellerautoren „on top“ leisten.

Abgesehen von diesen strukturellen Aspekten habe ich auch Vorteile in der Akquise von Buchrechten. Während ich mich früher mit den anderen großen Verlagen um wenige gehypte vermeintliche Bestseller bemüht und in der Regel überzahlt habe, kann ich jetzt in Ruhe nach den Büchern suchen, die bei den Konzernen durchs Raster gefallen sind, weil sie nicht in eine bestimmte Schiene der Vermarktbarkeit passen. Viele Perlen dieser Art gilt es noch zu entdecken – in England, Amerika, Italien, Frankreich, den Sprachen, die ich selbst lesen kann. Das Trüffelsuchen und Stöbern ist eigentlich das, was mir am meisten Spaß an meiner Arbeit macht.

 

Ihre erste Vorschau wirkt so professionell wie der Imprint eines Konzerns. Wo sehen Sie die Vorzüge der Unabhängigen beim Eisele Verlag?

Ihre Frage klingt, als wäre Professionalität das Gegenteil von Unabhängigkeit. Aber wer unabhängig ist und seine Sache mit Leidenschaft vertritt, muss nicht zwangsläufig dem L’art-pour-l’art-Gedanken anhängen. Ich möchte das Beste aus beiden Welten zusammenbringen – die Authentizität der Kleinen mit der Professionalität der Großen. Ich meine, man kann mit Liebe zum Detail und mit Begeisterung für Inhalte Bestseller produzieren. Das ist kein Widerspruch.

 

In Ihrem ersten Programm präsentieren Sie u.a. einen in Großbritannien hochgelobten literarischen Krimi von Nell Leyshon. Wie haben Sie die Rechte für „Die Farbe von Milch“ den Konzernverlagen weggeschnappt?

Von „weggeschnappt“ kann keine Rede sein. Der Roman ist schon vor vier Jahren bei Fig Tree in England erschienen, und die Auslandsrechte sind damals auch in neun Länder verkauft worden, aber kurioserweise nicht nach Deutschland, obwohl „Die Farbe von Milch“ es sogar auf die Shortlist des Prix Femina geschafft hat – neben Hochkarätern wie Zeruya Shalev und James Salter. Ich glaube, es hat sich hier niemand so richtig rangetraut, weil der Roman von einer sehr eigenen Erzählstimme getragen wird, in die man sich als Leser erst mal einfinden muss, bevor der Text seinen Sog entwickelt.

 

Lorenzo Licalzi ist in Italien ein gefeierter Autor, der zuvor ein Altersheim gegründet und geleitet hat. „Signor Rinaldi kratzt die Kurve“ erzählt von einem draufgängerischen Großvater. Wie wichtig sind Ihnen ältere Zielgruppen?

Ich suche meine Bücher eigentlich nicht nach Zielgruppen aus. Erst einmal muss mich eine Geschichte begeistern. Aber tatsächlich scheine ich ein Faible für skurrile alte Männer zu haben, weil ich in meiner Zeit bei Piper auch schon Romane mit betagten Protagonisten akquiriert habe. Ich kann Sie allerdings beruhigen: Die Heldin meines literarischen Spitzentitels, „Die Farbe von Milch“, ist 15. Im statistischen Mittel stimmt also wieder alles.

 

Drei Romane und ein Sachbuch zum Thema Glück. Vier Bestseller im ersten Programm?

Ha! Schön wär’s. Aber bei einem Programm mit nur vier Büchern gibt es wenigstens nicht schon von vornherein die so gefürchteten „Weglasstitel“. Abgesehen davon finde ich wirklich, dass ich ein starkes erstes Programm habe. Meine Latte fürs Frühjahr 18 hängt also hoch. Ich habe schon ein paar interessante Titel im Auge – und es sind wieder welche dabei, die von den Großen bisher übersehen wurden.

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