Interview mit VGO-Verleger Jan Weitendorf

Wachsen ohne Cashpool

14. Februar 2012
von Börsenblatt
Im Ranking der Jugendbuchverlage liegt sie schon länger unter den ersten drei: Die Verlagsgruppe Oetinger (VGO) wächst, indem sie kontinuierlich neue Unternehmen gründet. Ein Interview mit Geschäftsführer Jan Weitendorf über Strategien, Familie und Kettenreaktionen.

Während viele Verlage nach dem Prinzip "Alles unter einem Dach" expandieren, erweitert die VGO mit eigenen GmbHs. Warum dieses Prinzip?
Wir erweitern die tragfähigen Säulen - und je mehr Stabilität wir haben, umso fester steht das Gebäude. Unsere Verlage stehen im Wettbewerb zueinander, sie sollen so agieren, dass sie eigenständig am Markt operieren. Deshalb verknüpfen wir auch ganz bewusst unsere Gesellschaften nicht miteinander: Im Fall eines Misserfolgs würde eine GmbH nicht alle anderen wie in einer Kettenreaktion mit sich reißen.

Oetinger Taschenbuch, triboox, das Imprint Pink - ist die Expansionsgeschwindigkeit des Konzerns nicht ein bisschen zu schnell?
Moment mal - wir sind kein Konzern, sondern ein Familienbetrieb mit 140 Mitarbeitern. Wenn Sie alle Bonnier-Firmen von Carlsen bis Thienemann zusammenrechnen, sind wir klein dagegen. Und manche neuen Bereiche erwirtschaften noch keine Umsätze. Aber weil wir nicht aus einem riesigen Cashpool mal eben locker große Summen entnehmen können, müssen wir einfach innovativ sein - und eben "anbauen".

Es fällt auf, dass VGO im digitalen Geschäft ganz vorn dabei ist - gibt es einen Masterplan oder experimentieren Sie wie die meisten Verlage?
Learning by Doing: Wir treiben Entwicklungen voran und versuchen, frühzeitig dabei zu sein. Mein Bruder Till hat den Community-Verlag triboox aus der Taufe gehoben, damit Autoren Texte als E-Book oder PoD-Buch veröffentlichen können. Die Vertriebswege werden enger, die dürfen wir nicht Oligopolisten überlassen. Aber wir müssen auch die Macht des Faktischen anerkennen: Obwohl wir textunes mit aufgebaut haben, war es sinnvoll, unsere VGO-Anteile an Thalia lukrativ zu verkaufen, weil es für uns als Verlag zu schwer in diesem Markt geworden wäre.

Es glückt also nicht alles?
Keineswegs. Manches haben wir auch falsch eingeschätzt: Die Übernahme von Xenos zum Beispiel hat uns ermöglicht, in die Nebenmärkte vorzustoßen. Aber es gab auch ein extremes Retourenverhalten, Disney hat irgendwann Lizenzen gekündigt, und dann macht es wenig Sinn, eisern an dem Unternehmen festzuhalten. Da war der Verkauf von Xenos an Carlsen sinnvoll. Oder Smaland als Vertriebsweg für Kindergärten haben wir an den Kaufmann Verlag verkauft; da braucht man einfach viel größere Mengen an Angeboten wie an Kunden. Man muss immer schauen, wo die eigenen Stärken liegen.

Als wie sinnvoll hat sich denn das Aufstocken der Dressler-Anteile beim Schweizer NordSüd Verlag erwiesen?
Es gibt eine lange Verbundenheit mit NordSüd, wir hatten über die Vertriebskooperation gute Umsätze gemacht. Als der Verlag 2004 insolvent wurde, war es für uns gar keine Frage, hier die Treue zu halten. Und der Verlag hat den Turnaround ja auch geschafft. Wir haben unsere Anteile in den vergangenen Jahren auf 60 Prozent aufgestockt, weil wir auch vertrieblich die Synergien nutzen wollen. Dass die NordSüd-Umsätze 2011 im zweistelligen Bereich gewachsen sind, zeigt, dass wir aufs richtige Pferd gesetzt haben.

Wann sind die vielen Töchter von Nutzen und wann behindern sie sich?
Die Synergien liegen vor allem im Vertrieb, bei Lizenzen, Sonder-geschäften und der gemeinsamen EDV. Inhaltlich sprechen wir uns zweimal im Jahr für die Programme ab, um Konkurrenzprodukte zu vermeiden. Das Label Igel Records zum Beispiel, das zu 60 Prozent der Oetinger-Tochter Oetinger Media gehört, hat die Schwerpunkte Kunst und Edukatives und arbeitet mit Radiosendern zusammen, während Oetinger audio Buchtitel der VGO umsetzt und sich stärker der modernen Musik und Lizenzthemen widmet. Neben dieser grundsätzlichen Aufteilung wollen wir die Vielfalt.

Zu VGO gehören ja auch zwei Nicht-Jugendbuchverlage: Arche und Atrium. Wie passen die ins Familienunternehmen?
Das ist eben eine weitere Säule. Der Erwachsenenbereich ist extrem von Bestsellern abhängig, was häufig gleichzusetzen ist mit hohen Vorauszahlungen. Da haben Arche und Atrium im Lizenzdschungel nur Chancen, weil sie einen guten Ruf haben. Erich Kästner hat bei Atrium eine unverändert große Fan-Gemeinde, was kontinuierlich gute Verkäufe bedeutet. Wir haben mit Graphic Novels begonnen, die ja auch ein Bindeglied zur Jugendliteratur darstellen und teilweise super Kritiken bekommen, aber nur fünfstellige Verkäufe bringen - da hoffe ich noch auf mehr.

Welche Bereiche werden Sie weiter ausbauen?
Derzeit entwickeln sich digitale Geschäfte rasend schnell, und wir versuchen mit kleinen, schlagkräftigen Teams die Nase vorn zu haben. So kümmern sich sechs Mitarbeiter um das Programmieren von Apps. Wir sind als Partner bei der neuen Kinderbuchplattform Tigerbooks dabei, gehen mit vier Mitarbeitern in Schulen, um die Online-Plattform Onilo zu erklären. Bei framily.de haben wir gerade die Stoßrichtung verändert, hin zu personalisierten Illustrationen. Und mit der Ogglies-Filmproduktions GmbH wollen wir die möglichen Verfilmungen unserer Bücher vorantreiben.

Können Sie bei dem ständigen Wachsen von VGO noch den Überblick über sämtliche Töchter haben?
Ich bin ja nicht alleine: Mein Bruder Till, meine Schwester Julia und meine Mutter haben auch alle ihre Arbeitsbereiche. Während Till und ich oft sehr vom Tagesgeschäft getrieben sind, greift meine Mutter mit ihrer langjährigen Erfahrung korrigierend ein. Ich denke, wir haben unsere zwölf Unternehmen mit ihren Beteiligungen ganz gut im Griff.

Familie ist nun mal mehr als ein Konzern - wie leicht oder wie zäh fallen da die Entscheidungen für das Unternehmen?
Jeder von uns vieren hat seine Meinung, und die vertritt er auch engagiert. Wir versuchen immer, einen Konsens zu finden, und zum Glück sind wir alle für gute Argumente sehr empfänglich. Das mag manchmal dauern und auch anstrengend sein, aber es ist einfach sinnvoll: Wir finden immer eine Lösung.