Interview mit Weltbild-Geschäftsfführerin Angela Schünemann

"Wir leben Multichannel"

28. September 2017
von Börsenblatt
Das Sortiment schärfen, im Filialgeschäft organisch wachsen, am Puls der Kunden sein: drei Dinge, die der Weltbild-Geschäftsführerin Angela Schünemann wichtig sind.

Seit Sommer ist Weltbild zu 100 Prozent in Besitz der Düssel­dorfer Droege Group. Nach Angaben des neuen Alleineigentümers ­befindet sich das Unternehmen auf Wachstumskurs – mit einem Umsatz von 425 Millionen Euro im zurück­liegenden Geschäftsjahr (1. Juli 2016 – 30. Juni 2017, plus fünf Prozent). Zudem sei der Turnaround geschafft und das Ergebnis wieder positiv. Zeit für ein Interview mit Angela Schünemann, die seit Februar gemeinsam mit Christian Sailer an der Spitze des Unternehmens steht. Wir treffen uns am Augsburger Firmensitz von Weltbild, wo sich der Händler seit April 2016 ein Gebäude mit dem Industrieunternehmen Böwe-Systec teilt.

Weltbild wächst wieder. Welche Rolle spielt dabei das Filialgeschäft?
Mit 25 Prozent unseres Gesamtumsatzes tragen die Läden einen erklecklichen Anteil zu unserem Erfolg bei. Wir haben allerdings nicht den Druck, nur über Filialen wachsen zu müssen, da wir Multichannel leben. Wir haben flächenbereinigt in den vergangenen Monaten ein schönes Wachstum vorgelegt, mit einem sehr beständigen Filialportfolio. Den einen oder anderen Laden haben wir geschlossen, aber wir haben auch neue Läden eröffnet.

Darunter auch Pop-up-Stores ...
Ja, sie machen uns Spaß und wir können mit ihnen experimentieren. Wir richten unser Angebot dort nach dem Umfeld aus und bieten unterschiedliche Produktpaletten an. Unter dem Strich ist uns wichtig, dass wir im stationären Handel organisch wachsen und eine gute Ergebnisentwicklung erzielen. Wachstum zu finanzieren, ist nicht unser Ziel. Neue Filialen werden peu à peu eröffnet und wir prüfen genau, was der Markt hergibt.

In vielen Städten geht die Passantenfrequenz zurück. Bekommt Weltbild das auch zu spüren?
Die vorliegenden Analysen zur Entwicklung der Passentenfrequenz sind eindeutig, da bleibt leider keinerlei Interpretationsspielraum. Alle Flächen verlieren, egal ob in der Innenstadt oder in Centern. Es gibt natürlich noch Orte mit hohem Kundenaufkommen, etwa Cafés. Aber man sieht nicht mehr so viele Menschen mit Einkaufstaschen wie früher. Ich glaube, abgesehen von beratungsintensiven Branchen wie dem Handel mit Hörgeräten, wird kaum jemand nennenswert an Frequenz gewinnen. Hinzu kommt, dass die Mietpreisentwicklung der rückläufigen Passantenfrequenz bislang nicht folgt. Die Mieten bewegen sich noch auf einem Niveau, auf dem die Umsätze der Läden nicht mehr sind. Da heißt es für das Filialgeschäft, die Standorte gut auszuwählen und die Rosinen herauszupicken.

Wie reagieren die Verlage darauf, dass es Weltbild jetzt wieder besser geht?
Wir sind 2016 im Buchmarkt zweistellig gewachsen. Das Feedback unserer Handelspartner ist durchweg positiv. Der Austausch ist uns sehr wichtig, und wir erhalten von Verlagsseite viele gute Impulse, auch für gemeinsame Aktio­nen. Im E-Commerce sind wir hinter Amazon die Nummer 2 und auch im stationären Handel ist noch eine Menge Platz für Weltbild. Das freut natürlich auch unsere Handelspartner.

Weltbild steckt nach wie vor sehr viel Zeit und Geld in den Katalog, der mindestens 13 Mal pro Jahr in einer Millionenauflage erscheint. Lohnt sich das?
Auf jeden Fall. Der Katalog schafft Impulse, ist ein Inspirationsmedium und bringt die Leute zum Buch und zum Lesen. Er verschafft dem Buch Sichtbarkeit. Er liegt zu Hause und hat eine längere Haltbarkeit. Wenn der Katalog herauskommt, gehen auf allen Kanälen die Verkaufszahlen hoch.

Sie verkaufen auch den Tolino. Wie läuft das digitale Buchgeschäft?
Sowohl der Absatz der Geräte, bei dem wir unseren Marktanteil ausbauen konnten, als auch die Zahl der verkauften E-Books steigt. Wir lassen uns immer etwas einfallen, um auch hier Kaufanreize zu schaffen. Sehr beliebt bei unseren Kunden sind etwa Bundles.

Weltbild experimentiert mit den verschiedensten Produkten, die in den Läden oder online angeboten werden. Das kann dann schon mal aussehen wie in einem Gemischtwarenladen. Wie wichtig sind Bücher?
Bücher stehen für uns nach wie vor im Mittelpunkt. Sie sind die Visitenkarte und das Herz von Weltbild. Sie haben einen Umsatzanteil von mehr als 50 Prozent. Gleichzeitig stehen wir zu unserer Idee, dass Bücher Freunde brauchen und wir um Buchthemen herum andere Sortimente platzieren. Wir streben einen Non-Media-Anteil in Richtung 50 Prozent an, im Moment liegen wir nicht auf dieser Zielmarke. Dennoch werden wir uns mehr fokussieren und einige Produkte aus dem vergangenen Jahr werden so nicht wiederkommen.

Die Droege Group ist seit Juni 100-prozentiger Eigentümer von Weltbild. Auf welche Zeit ist das Investment angelegt?
Wir gehen davon aus, dass nachhaltiges Interesse an einer langfristigen Verbindung besteht. Die Familie Droege hat viel investiert, etwa in eine neue IT, und hat die Logistik in Tschechien neu aufgebaut. Das macht man nicht, wenn man schnell wieder aus einem Unternehmen aussteigen möchte.

Apropos Logistik: Nach der Schließung von Also in Augsburg haben Sie Ihre Logistik im Frühjahr nach Tschechien verlegt. Das erste Weihnachtsgeschäft naht. Sind Sie gerüstet?
Ein Logistikumzug ruckelt immer etwas. Aber die Umzugswehen sind überwunden, alles läuft. Für das Weihnachtsgeschäft haben wir unter anderem eine zusätzliche Halle angemietet. Wir sind gut vorbereitet.

Worin sehen Sie in den nächsten Jahren die größte Herausforderung für Weltbild?
Am Puls der Zeit und am Puls des Kunden zu bleiben. Wir müssen uns ständig fragen, was sich im Interesse des Kunden ändern könnte, wie eine Filiale, das Sortiment, die Onlineplattform aussehen müssen – und der Kunde immer findet, was er braucht. Darauf müssen wir jeden Tag neu schauen. Mir ist es wichtig, das Sortiment zu schärfen, Weltbild klar zu positionieren und gerade im Rahmen unserer Marktplatzstrategie die beste Auswahl für unsere Kunden zu bieten. Wir wollen unseren Kunden durch eigene Buchausgaben und eigene Produkte Vorteile verschaffen, Einkaufsberater sein und das Beste für sie zusammenstellen. Die Kunden sollen sehen: Wo ein W-Zeichen ist, ist ein Vorteil für sie.

Die Insolvenz ist jetzt dreieinhalb Jahre her. Haben Sie die Turbulenzen abgehakt?
Mit der guten Ertragsentwicklung sind wir an einem Punkt, an dem wir uns bewusst vor Augen führen, dass die Nachinsolvenzphase vorbei ist. Dieses Gefühl hat sich auch unter den Mitarbeitern ausgebreitet, die sehen, dass es vorangeht und wir uns gut entwickeln. Das Wort kommt bei uns kaum mehr vor. Darüber sind wir sehr froh. Denn der Turnaround muss nicht nur in den Zahlen, sondern auch in den Köpfen stattfinden.