Interview zu enhanced E-Books

"Das Buch auf dem Bildschirm ist nur ein Medienübergang"

6. Februar 2014
von Börsenblatt
Der Jugendbuchmarkt ist bei enhanced E-Books in Bewegung: Wie reagieren kleine Verlage und Konzernverlage auf die neuen Möglichkeiten? boersenblatt.net hat Andreas Klostermaier (Entwickler bei mixtvision digital / ceo appendx) und Matthias Aichele (Leiter Unternehmensentwicklung der Verlagsgruppe Random House) gefragt.

Welche Erfahrungen haben Sie bislang mit enhanced E-Books gemacht?

Andreas Klostermaier: Für uns ist das elektronische Lesen noch gar nicht erfunden. Fast alle versuchen derzeit noch auf elektronischen Displays Bücher nachzuempfinden. Apple beispielsweise versucht in seinen iBook-Readern mit skeumorphischen Effekten das Blättern optisch und akustisch zu imitieren. Ich glaube nicht, dass das mittelfristig der richtige Weg ist. Mittelfristig sind sicher ganz andere Wege denkbar, die sich aus den Möglichkeiten der digitalen Geräte heraus entwickeln und nicht umgekehrt. Ganz sicher stehen wir erst am Anfang einer interessanten Entwicklung.

Matthias Aichele: Wir experimentieren kontinuierlich mit neuen digitalen Formaten, und zwar in zwei Richtungen: angereicherte E-Books im Epub-Format sowie Apps. Bei den enhanced E-Books haben wir schon vor gut drei Jahren das "E-Book plus"-Label gestartet, das Titel mit multimedialen Anreicherungen und interaktiven Elementen umfasst. Gerade im Kinder- und Jugendbuch (cbj Verlag) bieten sich oft spannende Möglichkeiten. Ganz entscheidend ist dabei der Mehrwert für den Nutzer. Bei Kinderbuch-Titeln mit stark bildlastigem Inhalt und komplexeren Layouts stellt sich die Frage, inwieweit diese Titel auf Readern vernünftig dargestellt werden können. Größeren Gestaltungsspielraum bietet hier das App-Format.

 

Mit welchen technischen Problemen werden Sie konfrontiert?

Klostermaier: Es gibt zunächst einen redaktionell-künstlerischen Produktionsprozess, der das Layout eines bestehenden Bilderbuchs in verschiedene Formate, Seitenverhältnisse usw. bringt, die der Markt uns vorgibt. Danach folgt ein davon abgekoppelter technischer Prozess, der für die verschiedenen Stores und Lesegeräte die inhaltlich und grafisch optimierten Layouts anpasst. Da die Betreiber immer wieder ihre Software überarbeiten und sich die Möglichkeiten einzelner Reader technologisch verbessern, müssen wir darauf angemessen reagieren können. Mit dem von uns entwickelten Tool können wir dies sehr effizient und ohne großen Aufwand. Damit ist das E-Book im "Smart Layout" seiner Zeit produktionstechnisch einen kleinen Schritt voraus.

 

Wo geht die Reise bei den enhanced E-Books hin?

Aichele: Wir beobachten den Markt sehr genau und prüfen laufend, welche Bereiche bzw. Titel sich für die Entwicklung digitaler Produkte in besonderer Weise eignen.

Klostermaier: Wir werden viele weitere mixtvision Verlagsnovitäten als enhanced E-Books anbieten. Auf der Grundlage der heutigen Technologie produzieren wir mit mixtvision Digital die bestmöglichen E-Books für Kinder und Jugendliche - für uns, aber auch für viele andere Verlage und auch für andere Genre wie Kochbücher. Weitere Grundlagenforschung treibt uns an, denn das Buch auf einen Bildschirm zu bringen, so wie das jetzt geschieht, ist nur ein Medienübergang. Wir glauben, dass das elektronische Lesen heute etwa da steht, wo in den 1920er der frühe Film stand. Erst war das Theater, dann kam das neue Medium, der Film. Was macht man? Die Kamera steht vor der Bühne und filmt das Theater ab. Es dauert Jahre, bis kreative Köpfe kommen, die mit der Kamera aus anderen Perspektiven filmen, den Film zerschneiden und neu zusammensetzen usw. Es beginnt eine Entwicklung bis hin zum Film, wie wir in heute kennen. Erst im Lauf dieser Entwicklung ist das vollkommen neue Medium Film entstanden, das neue Sehgewohnheiten erfordert. Ein Betrachter aus den 1920er Jahren, der jetzt "Herr der Ringe" in 3–D anschaut, wäre vollkommen überfordert. Was wir also heute beim elektronischen Lesen machen, entspricht dem Hinstellen der Kamera vor die Bühne. Wir sind ganz am Anfang. In den nächsten Jahrzehnten wird experimentiert und neue Lesesprachen werden entwickelt. Niemand kann voraussehen, wie das neue Lesen stattfinden wird. Mit dem "Smart Layout" machen wir nur den allerersten Schritt.

 

 

Wie gestalten Sie das Pricing?

Aichele: Wir sind grundsätzlich bemüht, Inhalte aus Sicht der Endkunden nicht zu entwerten. Das Pricing bei einem enhanced E-Book orientiert sich immer am Preis des entsprechenden "klassischen" E-Books. Jeweils im Einzelfall entscheiden wir über einen etwaigen geringen Preisaufschlag für die Anreicherungen. Das App-Pricing ist individuell auf den Einzelfall bezogen.

Klostermaier: Mixtvision bietet ab sofort alle Papierbücher mit integrierten E-Books ohne Aufpreis an. Das ist kundenorientiert und stärkt den stationären Handel, da auch die Leser zum Buch greifen, die sonst online E-Books kaufen.

Über die Entwicklung bei enhanced E-Books im Jugendbuchmarkt informiert auch ein Artikel im aktuellen Börsenblatt-Spezial Kinder- und Jugendbuch.