Interview zu Google Book Settlement

»Es gibt konkrete Hoffnung«

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Morgen, am 8. September 10 Uhr Eastern Standard Time (amerikanische Ostküstenzeit), läuft die Frist für Einwendungen gegen das Google Book Settlement endgültig ab. Boersenblatt.net sprach mit Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über die Chancen eines Kurswechsels.

Morgen endet die Einwendungsfrist für das Google Book Settlement. Was sind die Kernpunkte des Schriftsatzes, den der Börsenverein dem New Yorker Gericht vorlegt?

Sprang: Das sind vor allem die Aspekte, die die Class-Action-Teilnehmer außerhalb der USA betreffen. Die Möglichkeit, von dem Inhalt des Settlement Kenntnis zu nehmen, hat faktisch nicht bestanden. Die Vereinbarung ist nie vollständig ins Deutsche übersetzt worden, es gab immer nur die Übersetzung einer Kurzfassung, die so fehlerhaft war, dass selbst ein gutwilliger Leser nicht in der Lage war, sich ein zutreffendes Bild des Settlement zu machen.
Ein weiterer Punkt: Die USA sind Mitglied der revidierten Berner Übereinkunft zum Schutz von Urheberrechten. Wenn das Settlement nach dem Fairness Hearing am 7. Oktober vom Gericht bestätigt würde und das Final Approval erhielte, käme es zu mehreren schwerwiegenden Verstößen gegen die Pflichten aus der revidierten Berner Übereinkunft. Auch wenn es eine private Absprache zwischen Parteien in einem Rechtsstreit ist – über den Umweg der Gruppenklage (Class Action) darf nicht Google und den anderen Vertragsparteien etwas erlaubt werden, was der Staat selbst nicht dürfte.

Das Gericht müsste also mit der Zustimmung gegen geltendes Urheberrecht verstoßen?

Sprang: Die Regelung, die die Parteien getroffen haben, verstößt in mehrerer Hinsicht grundsätzlich gegen das Urheberrecht. Es werden im Kern Rechte der Autoren in einer Weise missachtet, wie es in einer gesetzlichen Vorschrift nie der Fall sein dürfte.

Kritiker des Settlement sehen in dem Vertrag die Installierung einer privaten Urheberrechtsordnung mit globaler Geltung, der sich niemand entziehen kann. Welche Instanz in den USA könnte eine positive Entscheidung des New Yorker Gerichts noch anfechten oder aufheben?

Sprang: Wenn das Settlement ein Final Approval durch den Richter bekommt, dann ist zwar noch die Revision beim Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der USA, möglich, aber ein solches Verfahren würde Jahre dauern – und dass ein solches Vorgehen erfolgreich wäre, ist extrem selten.

Kann denn das Settlement selbst noch verhindert werden?

Sprang: Es gibt zwei konkrete Hoffnungen: Zum einen könnten die Einwendungen – Objections –, die wir und andere, nicht nur europäische Verbände vorgelegt haben, sowie die Amicus-curiae-Schreiben, zum Beispiel auch von der Bundesregierung, das Gericht so beeindrucken, dass es die Zustimmung des Settlement in der vorliegenden Form verweigert. Eine zweite reale Möglichkeit ist, dass das Department of Justice – das US-Justizministerium, das zugleich als Kartellaufsicht fungiert – bis zum 18. September dem Gericht eine kartellrechtliche Untersuchung des Google Book Settlement vorlegt, in der die Wettbewerbswidrigkeit der Vereinbarung festgestellt wird. In diesem Fall wäre es sehr unwahrscheinlich, dass der Richter seine Zustimmung erteilt.

Spielen die kartellrechtlichen Bedenken des Department of Justice auch für die Verleger eine Rolle?

Sprang: Unser Augenmerk ist auf die Wirkungen des Google Book Settlement und das Kartell gerichtet, das entstehen könnte, wenn Google die einzige Firma ist, die Millionen von Büchern im Internet nutzen kann. Da sehen wir durchaus Angriffspunkte. Wir haben uns in unserem Schriftsatz auf wenige wichtige Aspekte beschränkt, die spezifisch für die Gruppe der nicht­amerikanischen Verlegerverbände ist. Auch deswegen, weil jetzt schon Schriftsätze bei Gericht eingegangen sind, die viele andere Argumente zum Teil sehr gut aufgreifen. Da hätten wir nichts Neues beitragen können.

Was sind weitere zentrale Kritikpunkte?

Sprang: Die Repräsentativität der nicht­amerikanischen Interessen ist nicht gewahrt. Die an der Formulierung des Settlement beteiligten Parteien können nicht für sich in Anspruch nehmen, die Interessen aller Verleger weltweit wirkungsvoll zu vertreten. Unter den Verhandlungsführern war kein einziger Europäer.
Ein Kriterium bei der Prüfung des Settlement durch den Richter ist die Frage, ob der Vergleich für Urheber akzeptabel und fair ist. Wir vertreten in unserem Schriftsatz die Auffassung, dass die Regelungen für Urheber unannehmbar sind. Sie ist ebenso wenig – um die beiden weiteren Prüfungskriterien zu nennen – der Sache angemessen (»adequate«) noch im besten Interesse aller Parteien (»best interest«).

Ist die Chance, dass das Settlement kippt, in den vergangenen Wochen gestiegen?

Sprang: Statistisch nicht. In neun von zehn Fällen werden solche Vereinbarungen genehmigt. Gefühlt ist es so, dass sich unglaubliche Widerstandswellen – nicht nur in Deutschland mit dem Heidelberger Appell – aufgebaut haben. Es gibt viele substanziierte Einwendungsschreiben und eine große Medienresonanz – was dafür spricht, dass es doch kein Heimspiel ist.

Hätte den Amerikanern nicht bewusst sein müssen, dass das Settlement weltweite Implikationen hat?

Sprang: Das habe ich mich auch oft gefragt. Ich schätze die US-Kollegen sehr – und arbeite in anderen Bereichen gern mit ihnen zusammen. Deshalb macht es mir auch keine Freude, in dieser Sache auf Konfrontationskurs zu geraten. Aber man muss schon sagen, dass alles sehr durch die amerikanische Brille betrachtet wurde. In den USA war man vielleicht froh, mit Google einen Gegenspieler zum Monopolisten Amazon im E-Book-Markt zu haben, während man in Europa mit Projekten wie libreka! von vornherein auch Verlagen die Möglichkeit geboten hat, die Hoheit über die Inhalte im Netz zu bewahren. Die Freude der Amerikaner über ein Duopol mag verständlich sein, hilft aber den europäischen Verlegern gar nicht.

Was würde geschehen, wenn das Settlement verworfen würde?

Sprang: Das ist die große Frage. Google und andere Aggregatoren würden vermutlich ihre Digitalisierung nicht stoppen, sondern fortsetzen. Dann würde die Klage der US-Verleger und -Autoren wieder aufleben. Ein kritischeres Szenario wäre, dass der Richter das Settlement nur für amerikanische Rechteinhaber bestehen lässt: Das würde bedeuten, dass sich die nicht-amerikanischen Rechteinhaber zusammenschließen müssten, um in den USA einen sehr teuren Prozess zu führen. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

 

Einwände gegen das Settlement

  • Die Information deutscher Verleger war ungenügend und unverständlich.
  • Der Vergleich verstößt gegen Grund­prinzi­pien des Urheberrechts: Er missach­tet die Ausschließlichkeitsrechte der Autoren urheberrechtlich geschützter Werke.
  • Die Regelung ist unfair: Die Rechtewahr­nehmung wird durch Fehler in der Settlement-Datenbank massiv erschwert.
  • US-Verlage und -Autoren konnten ihre ausländischen Kollegen nicht vertreten.

 

Chronik

  • 28.10.2008 Das Google Book Settlement wird in New York von Google, dem US-Verlegerverband AAP und der Authors Guild unterzeichnet
  • 8.9.2009 Die um vier Monate verlängerte Frist für Einwendungen gegen das Settlement endet; kurz zuvor reichen der Börsenverein und die Bundesregierung Schriftsätze beim New Yorker Gericht ein
  • 18.9.2009 Das Department of Justice legt dem Gericht seine kartellrechtliche Prüfung des Settlement vor
  • 7.10.2009 abschließendes Fairness Hearing in New York durch Richter Denny Chin