Interview zu Open-Access-Gesetzentwurf aus Baden-Württemberg

"Beeinträchtigung einer etablierten Publikationskultur"

11. Dezember 2013
von Börsenblatt
Wenn der baden-württembergische Landtag das neue Landeshochschulgesetz verabschieden sollte, dürfte die Zweitveröffentlichung von Forschungsergebnissen auf Uni-Servern zum Regelgebot für alle Hochschullehrer im Bundesland werden. Zu den möglichen Auswirkungen auf die Verlagslandschaft hat boersenblatt.net den Dresdner Rechtswissenschaftler Horst-Peter Götting befragt.

Der Entwurf für das geplante baden-württembergische Landeshochschulgesetz (LHG) sieht vor, wissenschaftliches Personal – also Hochschullehrer und angestellte Dozenten – zur Zweitveröffentlichung von Beiträgen in Zeitschriften und anderen Periodika zu verpflichten, im Bedarfsfall sogar per Rechtsverordnung. Ist das nicht eine klare Missachtung des Urheberwillens?
Das Zweitveröffentlichungsrecht beschränkt wissenschaftliche Autoren in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Freiheit, über den Inhalt, den Zeitpunkt und den Ort ihrer Veröffentlichung selbst zu entscheiden. Da es indisponibel ist, wird in die Vertragsfreiheit eingegriffen, weil der Urheber nicht mehr in der Lage ist, einem Verlag Erst- und Zweitveröffentlichungsrechte zu übertragen.

Welche Folgen hätte dies für Verlage?
Es besteht die Gefahr, dass Verlage von einer Veröffentlichung Abstand nehmen, da selbst bei gegenteiligen Zusicherungen des Autors nicht ausgeschlossen werden kann, dass vom Zweitverwertungsrecht Gebrauch gemacht wird. Dadurch kann es zu einer Beeinträchtigung einer etablierten Publikationskultur in renommierten Fachzeitschriften kommen. Langfristig ist eine Reduzierung und Verflachung der Verlagslandschaft nicht auszuschließen, so dass sich die Publikationsmöglichkeiten verringern.

Geht es Bund und Ländern beim "Zweitveröffentlichungsrecht" letztlich nur ums Geld?
Die Zweitveröffentlichungspflicht dient offenkundig vor allem dazu, bei der Finanzierung der Bibliotheken Einsparungen zu erzielen. Gerade das Land Baden-Württemberg verfolgt diese Strategie seit langem. Schon vor einigen Jahren wurde auf Initiative des Landes die Einführung einer Anbietungspflicht gegenüber den Universitäten vorgeschlagen. Das Vorhaben wurde aber nicht weiterverfolgt, nachdem renommierte Staatsrechtler zu dem Ergebnis gekommen waren, dass eine solche Regelung verfassungswidrig wäre. Auch das jetzt geltende "Zweitveröffentlichungsrecht" und erst recht die im baden-württembergischen Hochschulgesetz vorgesehene Zweitverwertungspflicht dürften auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stoßen.

Ist die im LHG genannte Frist von sechs Monaten nicht viel zu kurz?
Im Bereich der Naturwissenschaft und Medizin, wo der wissenschaftliche Austausch und die Kommunikation über Forschungsergebnisse zumeist sehr schnell erfolgt, wäre das vielleicht noch angemessen. Dagegen ist sie für Fächer der Geistes- und Sozialwissenschaften, in denen sich der wissenschaftliche Diskurs wesentlich langsamer vollzieht, viel zu kurz.

Taugt denn das in Bundes- wie Landesgesetz verwendete Kriterium der "überwiegend öffentlichen Finanzierung" von Publikationen zur Abgrenzung der Zweitverwertungspflicht?
Das Problem ist hier, dass zwischen der vom Gesetz gemeinten Forschungsfinanzierung und der institutionellen Grundfinanzierung nicht unterschieden werden kann. In der Praxis geht das häufig ineinander über – was eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge hätte.

Ist Open Access per se problematisch?
Gegen Open-Access-Veröffentlichungen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn der Autor hierüber frei entscheiden kann. Die Möglichkeit, diese Publikationsform zu wählen, bestand schon vor Einführung des Zweitverwertungsrechts.

Die Fragen stellte Michael Roesler-Graichen.

 

Horst-Peter Götting ist seit Januar 2005 Direktor des Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Medienrecht (IGEWeM) der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden.