Interview zum Fachbuchhandel

"Die strukturellen Veränderungen sind übermächtig"

27. April 2015
von Börsenblatt
Quo vadis, Campus-Buchhandlung? Welche Chancen und Perspektiven haben Sortimenter im universitären Umfeld – trotz veränderter Kaufgewohnheiten und sinkender Umsätze? Boersenblatt.net hat mit dem Betriebsberater Dirk Scholze (Oldenburg) über die Ursachen des Wandels gesprochen. Einen Artikel von Nils Kahlefendt über Geisteswissenschaften im Fachsortiment lesen Sie im Spezial Fachbuch des aktuellen Börsenblatts (18/2015), das am 30. April erschienen ist.

Herr Scholze, zu Ihren Mandanten gehören seit 20 Jahren auch einige Campus-Buchhandlungen, ein Sortimentstyp, dem der Wind seit längerem rau ins Gesicht weht. Was sind die Gründe?
Wir hatten schon mal dunklere Zeiten, aber die Kollegen klagen zu Recht. Campus-Buchhandlungen haben als Hauptkundschaft die Studierenden. Seit Beginn der Nullerjahre sind die Umsätze im Fachbuch, das als Studienlektüre zum Einsatz kommt, allerdings kontinuierlich gesunken. Da reden wir nicht von drei, vier Prozent. Im reinen Semestergeschäft, das traditionell der Schwerpunkt war, sind die Umsätze um drei Viertel eingebrochen. 

Das hört sich so an wie ein ausgefallenes Weihnachtsgeschäft, und das Jahr für Jahr...
Das Herbst- und Frühjahrsgeschäft brachte natürlich die Ankerumsätze im Barverkauf. Wenn das nicht funktioniert, sieht es schlecht aus.

Wo hapert es?
Wir haben es mit einem ganzen Bündel von Ursachen zu tun: Zum einen ist da der Bologna-Prozess, in dessen Rahmen die Studiengänge wesentlich stärker durchgetaktet, verdichtet wurden. Über den Tellerrand schauen, ein studium generale im klassischen Sinn ist gerade in den extrem verschulten Bachelor-Studiengängen nicht mehr angesagt. Heutzutage bereitet man sich mit Scripten vor, nicht mehr mit ganzen Büchern. Zum anderen zeitigt das Internet in diesem Bereich die umfassendste Wirkung: Nicht nur, dass die Bücher nicht mehr gekauft werden - die Inhalte werden über andere Wege transportiert. Die Studierenden, hochgradig internetaffin, sind im Grunde die Vorreiter dieser Bewegung. Ich mache gern ein Spielchen, wenn ich auf dem Campus einer Uni unterwegs bin: Wann sehe ich das erste Buch? Es stehen jede Menge Rechner auf dem Tisch – Bücher finden sich kaum noch.

Welche Rolle spielen die Bibliotheksetats?
Die sind der Grund dafür, dass es überhaupt noch Campus-Buchhandlungen gibt. Wenn sie ihre Rolle als bevorzugte Lieferanten der Bibliotheken verlieren, können die meisten dicht machen: Vom normalen Barverkauf kann keiner mehr leben. 

Die Uni-Bibliotheken als letzte Rettungs-Anker?
Sie hängen natürlich am Tropf der Uni-Bibliotheken. Früher machte der Barumsatz mit Studierenden und Dozenten 80 Prozent aus, 20 Prozent entfielen aufs Rechnungsgeschäft. Heute hat sich das Verhältnis fast umgedreht.

In den Etats der meisten Bibliotheken wird allerdings dramatisch umgeschichtet -  zugunsten des Digitalen...
Das findet zum Teil mit hoher Geschwindigkeit statt. Das heißt, die Bibliotheken kaufen von den Wissenschaftsverlagen ganze E-Book-Pakete, inklusive der Nutzungsrechte. Selbst wenn die Buchhandlung vor Ort das noch liefern darf, sind die Handelsspannen nicht sehr attraktiv. Sobald dann noch Supportleistungen Teil des Deals sind, müssen die meisten Campus-Buchhandlungen passen. Es existieren noch kleine Inseln der Seligen - aber man darf nicht vergessen, dass es auch in den Uni-Bibliotheken einen Generationswechsel gibt. Man hängt also am Tropf der öffentlichen Haushalte, zum anderen gibt es die Talfahrt beim Fachbuch. Das geht an die Existenz. Die Folge sind gestiegene Umsatzanteile der Warengruppen, die nichts mit Fachbuch zu tun haben. Das allgemeine Sortiment nimmt zu, kann aber das schwächelnde Fachbuch nicht kompensieren.

Kann man den strukturellen Veränderungen, die Sie beschreiben, überhaupt etwas entgegensetzen?
Die strukturellen Veränderungen sind in der Tat übermächtig. Und wenn das Wenige, das gebraucht wird, auch noch primär bei Amazon gekauft wird, potenziert sich das Problem. Das ist bei der Generation der heute studierenden leider stark ausgeprägt. Während wir versuchen, mit Initiativen wie "buy local" das Ruder herumzureißen, ist das Kauf-Bewusstsein bei unserer nachfolgenden akademischen Elite leider wenig ausgeprägt. Eigentlich müsste ich, wenn ich eine Campus-Buchhandlung haben will, auch dort kaufen - davon kann leider keine Rede sein. Eine Kietz-Buchhandlung etwa stößt da auf ungleich größeres Verständnis, und da tut sich, Gott sei Dank, gerade einiges. 

Wir sind immer noch in der Abteilung Schreckens-Szenarien. Was lässt sich tun?
Ein Hauptargumentationsfeld in den Verhandlungen: Die Unis, die im harten Wettbewerb untereinander stehen, sind ja auch Vermieter. Wenn es um Mietverhandlungen geht, ist unsere Argumentation: Leute, wenn ihr uns noch weiter haben wollt, müsst ihr uns da entgegen kommen. Wie auch letztendlich bei der Auftragsvergabe durch die Uni-Bibliotheken. 

Mit primär buchhändlerischen Handlungsoptionen hat das nicht mehr viel zu tun...
Bei der Mietfrage gibt es eine riesige Spannbreite: Da haben wir Uni-Verwaltungen, die wollen 20 Euro pro Quadratmeter haben. Was für Campus-Buchhandlungen, die aus besseren Zeiten oft noch größere Flächen haben, bedrohlich werden kann. Aber es gibt auch Verwaltungen, die sagen. Wir wollen EUCH haben - ihr zahlt einen Anerkennungspreis für die Fläche. Wir wollen, wie es sich für eine Uni gehört, eine Campus-Buchhandlung haben.

Gibt es noch andere Stellschrauben?
Man kann natürlich jede Menge hochkarätiger Veranstaltungen machen. Aber die kosten Geld - und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wer hart an der Grenze laviert, hat keinen Topf, der dafür notwendig wäre. Und dennoch wird viel gemacht: Wir haben hier in Niedersachsen die "Literatour Nord" - da hängen auch zwei Campus-Buchhandlungen mit drin.

Wahrscheinlich muss sich auch die Zusammenstellung des Sortiments ändern?
Die Kombination aus Uni- und Stadtteilbuchhandlung mit allgemeinem Sortiment ist sicher ein Weg. Dozenten und Uni-Angestellte kaufen auch privat Bücher. Durch Mensen und Cafeterias kommt auch Publikum von außen rein. Damit verändert sich natürlich auch das Programm: Weg vom wissenschaftlichen, hin zum allgemeinen Sortiment. In einigen Fällen hilft es, das Spektrum der Produkte, mit denen gehandelt wird, auszuweiten ...

Duftkerzen und Lavalampen in der universitären Fachbuchhandlung?
Natürlich nicht. Aber vielleicht Merchandising-Produkte der Universität? T-Shirts, Kappen, Krawatten, Mitbringsel - durch den Erasmus-Austausch haben wir ja auch eine Internationalisierung der Unis, und solche Sachen werden immer beliebter. Wir haben es an einer Uni jetzt so gemacht, das wir dort einen Teil der Buchhandlung untervermietet haben, eine Shop-in-Shop-Lösung. Diese Merchandising-Abteilung ist zusätzlicher Frequenzbringer für die Buchhandlung. Das kann bis hin zum Ticketverkauf bei Kulturveranstaltungen gehen. Ob man am Ende Schokoriegel für den kleinen Hunger zwischendurch verkaufen sollte? (lacht) Es ist schwer, wenn man aus goldenen Zeiten kommt: Auf dem Uni-Campus in Bremen hatte die Buchhandlung mal 300 Quadratmeter Verkaufsfläche von denen über 90 Prozent mit Fachbüchern bestückt waren. Das glaubt einem heute keiner mehr!

Haben Sie auch Campus-Buchhandlungen abgewickelt?
Zugemacht habe ich in meinem Wirkungskreis noch keine. Natürlich haben wir Verkaufsflächen verkleinert, um zu retten, was zu retten ist. Was einmal vom Campus verschwindet - inklusive der Arbeitsplätze - kommt nie wieder! Und vergessen Sie nicht: Wir sprechen hier von MitarbeiterInnen mit meistens jahrzehntelanger Erfahrung. Auch in Oldenburg, wo ich seit 40 Jahren lebe, möchten wir die Leute gerne noch in die Rente bringen. Jedes weitere Jahr ist ein gutes Jahr. Die Oldenburger Uni gibt es seit 40 Jahren, die Campus Buchhandlung über 35 Jahre. Wir haben dort eine wohlwollende Bibliothek und einen wohlwollenden universitären Vermieter - nur so geht es.

Interview: Nils Kahlefendt

Zur Person
Dirk Scholze, Jahrgang 1953, war von 1985 bis 1997 selbst Inhaber von Sortimentsbuchhandlungen; seit 1995 ist er bundesweit als Betriebsberater für den Buchhandel tätig. Er ist Kooperationspartner des Landesverbands Niedersachsen-Bremen und unterstützt die Betriebsberatungen des Börsenvereins auf den Messen in Frankfurt/Main und Leipzig.