Jahreshauptversammlung des Landesverbands Nord

"Buchhändler verkaufen sich oft unter Wert"

9. Mai 2017
von Börsenblatt
Rund 80 Verleger und Buchhändler von Ostfriesland bis Vorpommern waren heute zur Jahreshauptversammlung des Landesverbands Nord gekommen. In den Hamburger Bücherhallen ging es um Medienwirksamkeit von Sortimenten, eine Bilanz der Fusion, Aus- und Fortbildung, die Wirkung von Buchhandlungsauszeichnungen und - Ablassbriefe.

„Öffentliche Bibliotheken und der Buchhandel sind seit jeher Weggefährten“, begrüßte Hella Schwemer-Martienßen als Direktorin der Hamburger Bücherhallen die Gäste und wartete mit eindrucksvollen Zahlen auf: Rund 4,5 Millionen physische Besucher an 35 Standorten sowie vier Millionen „elektronische“ Besucher haben die Bücherhallen im Jahr. 13 Millionen Medien werden entliehen – „an deren Anschaffung haben wir nie gespart und haben auch in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro ausgegeben und 250.000 Medien eingekauft“, bilanzierte Schwemer-Martienßen. Sie rechnete aber mit einem Rückgang der Entleihungen um zehn Prozent in den nächsten Jahren durch die Konkurrenz der digitalen Angebote. „Wir setzen mehr auf Nischen und Besonderes“, meinte die Direktorin und fügte an den Buchhandel gewandt hinzu: „Ich glaube fest daran: Entleiher sind auch Käufer.“

Tue Gutes und sprich darüber

Birgit Politycki vom Literaturbüro Politycki & Partner wunderte sich, warum Buchhändler sich nicht häufiger in öffentlichen Debatten zu Wort meldeten. Sie seien empathisch, kenntnisreich, individualistisch – „also stellen Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal heraus und gehen Sie damit an die Öffentlichkeit!“ Woran es nach Polityckis Erfahrungen jedoch oft hapert: „Buchhändler verkaufen sich unter Wert. Sie sind belesen, mischen sich aber viel zu wenig in den Literaturbetrieb ein. Machen Sie selber ein Literarisches Quartett – es würde Sie mehr ins Rampenlicht rücken.“

Wie mache ich auf mich und meine Buchhandlung aufmerksam? war Polityckis Thema und ihre erste Antwort war: durch gute Veranstaltungen, auch wenn sie planungsintensiv seien. So werde aber die Buchhandlung zur Heimat für Autoren und Leser, wo der Sortimenter zum Gespräch mit den Gleichgesinnten einlade: „Hier wird das Feld für die Bestseller von morgen vorbereitet.“ Die Aktivitäten müssten – Antwort Nummer 2 – durch passende Werbung flankiert werden (Medien informieren, Verlag ins Boot holen, Flyer machen etc.). 

Ihre dritte Antwort: bundesweite Aktionen mitmachen, etwa beim Deustchen Buchhandlungspreis, beim Welttag des Buches, der Vorsicht Buch!-Kampagne oder der Woche der unabhängigen Buchhandlungen: „Sie sorgen alle dafür, dass die Themen in der Öffentlichkeit präsent sind.“

Fortbildung macht fit

Landesverbandsvorsitzender Michael Hechinger ließ das Jahr 2016 Revue passieren, „das erste Jahr, in dem die Fusion der Region Nord mit Bremen-Niedersachsen Realität und Alltag erlebbar war.“ Sein Fazit: „Die schnelle und bestmögliche Betreuung ist gewährleistet. Und das ist das Verdienst unserer hauptamtlichen Mitarbeiter“. Regionale Treffen, Stammtische und Vertreterbörsen trügen ebenso zu Austausch und Miteinander bei. Was auch für den Arbeitskreis Vertriebsleiter gilt, der im vergangenen Jahr Themen wie VLB TIX, VG Wort behandelt, Tagesseminare wie „Projektmanagement für Lektoren“, „Wie generiere ich Kunden?“ oder „Wie verhindere ich Ladendiebstahl?“ angeboten oder Gestalter Friedrich Forsmann besucht hat. Verleger Dietrich zu Klampen rief dazu auf, Themen zu nennen, die unter den Nägeln brennen: „Es nutzt! Betriebsinterne Fortbildung ist teuer, schauen Sie sich die Seminarangebote an. Der Landesverband schaut lediglich, dass sie kostendeckend sind, acht Teilnehmer müssen zusammen kommen.“

Ausbildung nutzt den Buchhändlern

Hinstorff-Verlagsleiterin Eva-Maria Buchholz hob hervor, wie wichtig Lobbyarbeit in den Bundesländern ist, „um unsere Perspektiven bei den Interessenvertretern einzubringen, um Korrektoren zu veranlassen, um das Buch voranzubringen.“ Vorstandskollegin Christin Kiesecker von buch & spiel in Geesthacht appellierte, in den Betrieben auszubilden: „Sie sind nämlich auch immer wieder Veranlassung, Abläufe zu überprüfen und Dinge anders zu machen.“ Kiesecker hatte für ihren Ausbildungsplatz in zwei Wochen 23 Bewerbungen und erfolgreich eine Auszubildende gefunden, die sie mit zur Jahreshauptversammlung brachte: „damit Verbandsarbeit ‚in echt‘ erfahrbar wird“. Kieseckers Auszubildenden gehen zur Berufsschulfachklasse in Bad Malente, für deren Erhalt die Sortimenter im Saal ebenso warben wie für die anderen Fachklassen. Sonst, so der einhellige Tenor, würden viele kleinere Betriebe nicht mehr ausbilden. „Tatsache ist auch“, so ein Buchhändler aus Bremerhaven, „dass es schon die Bewerber abschreckt, wenn sie zu weite oder umständliche Fahrwege haben.“

Man brauche mehr als 14 Azubis pro Jahr, damit die Berufsfachschulklassen weiterbestehen blieben, informierte LV Nord-Geschäftsführerin Carola Markwa „– wir wissen, dass wir ohne sie die Azubis der kleineren Betriebe verlieren werden. Auch ein als Prüfer in Nordrhein-Westfalen tätiger Buchhändler bestätigte, dass mit der Schließung der Buchhandelsfachklasse in Köln Azubis wegfallen würden.

Ebenso wichtig sei das Thema Nachfolge in Buchhandlungen, sagte Markwa: „70 Prozent unserer Buchhandlungen haben einen Jahresumsatz von unter 500.000 Euro, da wird die Alternative Schließen oder Weiterführen brisant.“ Der Börsenverein habe dazu gerade einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, in dem auch Stefan Könemann, Dirk Scholze, Landesverbände, Mediacampus mitarbeiteten. „Eines des perspektivischen Ziele muss hier sein, auch den Mitarbeitern die Chance zu geben, ihr Potenzial zu entdecken, sie zu fördern, zu entwickeln.“

Humorvolle Ablassbriefe

Der frühere LV Nord-Vorsitzende Michael Menard sprach für das Sozialwerk und überraschte mit einem Vorschlag, Spenden zu generieren. Immer nur die Anwesenden im Saal um Spenden zu bitten käme ihm so vor, als würde der Pastor gerade bei den Kirchgängern noch mal nachhaken: „Dabei müssten wir doch die erreichen, die eben nicht kommen und nichts fürs Sozialwerk geben.“ Im Hinblick auf das Reformationsjahr 2017 sei er auf die Idee gekommen, ob man die Form der Ablassbriefe nicht mit ein bisschen Augenzwinkern nutzen könne? „Deshalb möchte ich Ihnen einen Freibrief für eine gute Tat bieten, 10 Euro für ein Jahr, den sie auch verschenken können – vielleicht stutzt der Beschenkte ja und lächelt und möchte dann selbst was für das Sozialwerk spenden.“ Wie wichtig diese Spenden sind, auch das machte Menard deutlich: „Wir haben heute doppelt soviel Schützlinge wie in den 1990er Jahren“.

Was bringen die Auszeichnungen?

Eine Podiumsrunde mit vier im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichneten Buchhändlern berichtete von den Chancen, die Preise für den Laden beinhalten. Da ist zum einen die öffentlichkeitswirksame Inszenierung: „Das ist einfach schön, wenn der Bürgermeister und der Landrat in der Buchhandlung dem Lob der Landesministerin lauschen“, berichtete Susanne Köster-Schoon (Susannes Buchhandlung in Wiesmoor), die 2016 als Niedersächsische Buchhandlung des Jahres ausgezeichnet wurde. Bei Holger Brandstädt (Friedrich-Wagner-Buchhandlung in Ueckermünde, Preisträgerin Deutscher Buchhandlungspreis 2015 und 2016, hier als Beste Buchhandlung) standen nach der Bekanntgabe und der Preisverleihung in Heidelberg die Telefone nicht mehr still: „Schon am nächsten Morgen war ein Fernsehteam da, die lokale wie überörtliche Presse kam, TV, Radio, die ganze Palette.“ Aber auch die Kunden, so wurde auf der von Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck moderierten Runde deutlich, waren stolz, dass „ihre“ Buchhandlung ausgezeichnet worden ist – ein bisschen Glanz fällt damit ja auch auf sie, die in einer so hervorgehobenen Buchhandlung einkaufen oder sich gar zu den Stammkunden zählen. Bei Susanne Köster-Schoon halfen dann beim Umzug im vergangenen Herbst innerhalb derselben Straße die Kunden spontan mit und schleppten die Kartons: „Ich war völlig überrascht, plötzlich waren mehr als 40 hilfsbereite Kunden zum Helfen gekommen.“ Die Buchhändlerin hat wie die Kollegen die Auszeichnung auch marketingtechnisch genutzt, so dass man am Laden, auf Lesezeichen oder auch auf T-Shirts davon erfährt.

Schon die Bewerbungen lohnen sich

Bereits die Vorbereitung für die Bewerbung eines Preis kann lohnend sein: „Wenn man seine Aktivitäten Revue passieren lässt, kommt man schon ins Staunen: Ach – das hab‘ ich alles gemacht?“, erinnert sich Stephanie Krawehl (Lesesaal in Hamburg-Eimsbüttel). Beim Deutschen Buchhandlungspreis 2015 erfolgte die Bewerbung noch schriftlich, im Jahr darauf via Internet: „Letztlich hatte ich die nötigen Angaben in zwei Stunden zusammen.“ Sie freute sich riesig über die beiden Preise: „Nach fünf Jahren Selbstständigkeit ausgezeichnet – ich war begeistert!“

Die Vorbereitung dient auch als Selbstreflexion: „Was macht denn meine Buchhandlung besonders? Man denkt darüber nach, das Profil schärfer zu formulieren“, berichtete Holger Brandstädt. Was auch perspektivisch für die Zukunft gilt: Nachdem die Buchhandlung Christiansen in Hamburg-Ottensen 2014 die Hamburger Lieblingsbuchhandlung 2014 wurde, arbeitete Nicole Christiansen gezielt an der Weiterentwicklung der Angebote und Aktivitäten, die auch das Besondere unterstreichen wie etwa die literarischen Zirkel bis 23 Uhr, wo man sich intensiv mal über Dostojewski unterhalten kann. Sowieso gilt, da waren sich alle einig, was Stephanie Krawehl formulierte: „Ausruhen geht nicht – man muss rührig bleiben!“

Und sich nicht entmutigen lassen. Als Christiansen 2015 nicht bei den Gewinnern des Deutschen Buchhandlungspreises war, dachte sie zunächst: Warum? Wo ich mich doch so angestrengt hatte ... Was können die anderen besser?“ Sie gab nicht auf, bewarb sich 2016 erneut – und gewann. „Unbedingt bewerben!“, riet auch Brandstädt, der einen halben Tag in die Vorbereitung investiert hatte, die Chancen seien ungewöhnlich hoch. Zudem begrüßten alle in der Runde nicht nur die konkrete finanzielle Unterstützung, sondern auch die Wirkung des Preises in der Öffentlichkeit, die ähnlich wie die Woche der unabhängigen Buchhandlungen auf die stationären Sortimente aufmerksam machten: „Und diese Präsenz“, so Christiansen, „ist bei der Konkurrenz der Onlinebuchhandlungen wichtiger denn je.“