Jochen Jung geht unter die Lyriker

Hilfe, ich bin ein Autor!

23. März 2017
von Börsenblatt
Nichts ist wichtiger als ein neues Buch – jedenfalls für den, der es schrieb. Verleger pflegen vertrauten Umgang mit Leuten in Ausnahmezuständen. Was aber, wenn der Dichter Verleger ist? Jochen Jung mal über sich selbst.

Jetzt hat es auch mich erwischt! Nicht, dass ich nicht gewusst hätte, wohin das führen kann, ich habe es schließlich als Verleger lange genug mit Autoren zu tun gehabt und weiß daher, dass es nie etwas Wichtigeres gibt für sie als das soeben erschienene neue Buch, für sie und gefälligst für den Rest der Welt auch. Fand ich doch immer schon sehr seltsam.

Dabei ist es jetzt nicht einmal mein erstes, ich hatte schon eine ganze Reihe. Aber dieses Mal ist es ein Band mit Gedichten, literweise Herzblut oder was für ein Saft auch immer, es ist mir näher als alles Vorangegangene. Gedichte sind dichter am Dichter als andere Texte, erst recht, wenn man als ältester Lyrikdebütant die Szene betritt. Wissend, dass das die unbeliebteste Literaturgattung ist, sowohl bei den Verlagen als auch bei den Buchhändlern und den Lesern.

Dabei ist das Schöne an Gedichten ja nicht zuletzt, dass sie kurz sind; die Einfälle, von denen sie leben, kommen oft wie ein Überfall, manchmal auch wie ein Unfall. Das führt beim Autor gern zu Geistesabwesenheit, mitten im Alltag, mitten in der Arbeit. Man sitzt ja als Lyriker nicht wie Thomas Mann vormittags am Schreibtisch und dichtet bis Katja ruft, dass das Mittagessen fertig ist.

Gott sei Dank bringt die Kürze von Gedichten es auch mit sich, dass sie unerlaubt schnell fertig sind, und das Entzücken darüber kann sich dann tagelang halten. Andere begeistern sich an sich selbst bei dem 30. Liegestütz, beim Bergsteigen oder beim Blick auf die Börsenkurse, bei mir sind es derzeit einzelne Formulierungen, Bilder, Klänge. Ich erlebe meine Verwandlung in Sprache – pure Zauberei.

Der peinliche Unterschied zwischen dem Körperertüchtiger und dem Spekulanten und dem Autor ist freilich, dass Erstere die Wahrnehmung durch andere nicht brauchen, der selbst ­ernannte Künstler allerdings sehr wohl. Mein Buch ist noch gar nicht erschienen, und schon jetzt, wenn ich morgens die Zeitung aufschlage ...

Natürlich bin ich insofern ein spezieller Fall, als ich seit einem halben Jahrhundert in der Verlagswelt arbeite und daher die nervenden Autoren und ihr ungeduldiges Warten nur zu gut kenne. Dass ich jetzt selber so einer bin, muss ich wohl einfach mal hinnehmen. Niemand hat mich gezwungen, obwohl – Freiwilligkeit ist noch mal was anderes. Wer in die ­Öffentlichkeit geht, liefert sich aus, der Kritik von außen ebenso wie der Eitelkeit von innen, die allerdings nicht unbedingt reine Selbstüberschätzung ist, sondern womöglich die Folge eines Nachgebens aufgrund eines Zurufs aus bis vor Kurzem noch unbekannter Nähe oder Ferne.

Zum Glück oder Unglück geht ja alles irgendwann vorüber, die Hoffnungen, Wünsche oder Erwartungen werden durch Realität ersetzt, die man gefälligst zur Kenntnis nimmt; man normalisiert sich, reiht sich ein oder zurück und nimmt es hin, wie alles, was das sogenannte Leben oder Schicksal für einen parat hat. Aber solange es ein Später gibt, werde ich mich an die aufregenden Wochen erinnern, in denen mir die Chance bevorstand, einmal die Seite zu wechseln.