Kinder- und Jugendbuch

Ideologische Scheuklappen bei der "Zeit"

20. Mai 2010
von Börsenblatt
Die "Zeit" hat Kinder- und Jugendbücher aus dem Feuilleton verbannt. Aber warum nur, fragt Edmund Jacoby, Verleger von Jacoby & Stuart in Berlin.

Ein Buch, das in der "Zeit" positiv rezensiert wird, hat gute Chancen, auch in den überregionalen Tageszeitungen empfohlen zu werden; die Provinzpresse und die elektronischen Medien ziehen dann erfahrungsgemäß nach, und das Buch hat Erfolg, selbst wenn es schwere Kost ist. Es gibt also kaum etwas Besseres für die Karriere eines Buchs, als dass es in der "Zeit" besprochen wird.

Das galt bisher auch immer für Kinder- und Jugendbücher. Und weil "Die Zeit" eine solche Bedeutung für die Verbreitung guter Kinder- und Jugendbücher hat(te), war der Aufschrei in der Kinder- und Jugendbuchszene groß, als "Die Zeit" kürzlich ankündigte, Kinder- und Jugendbücher künftig nicht mehr im Feuilleton besprechen zu wollen, sondern im Zusammenhang mit der erst kürzlich ins Leben gerufenen Seite "Kinder-Zeit". Autoren und Illustratorinnen schrieben empört an "Die Zeit", und auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (AvJ) verfasste einen offenen Brief.

Am 12. Mai ist nun die erste Besprechungsseite für Kinder- und Jugendliteratur im neuen Kontext erschienen. Auf der vorletzten Seite des Teils der "Zeit", ansonsten für die Rubrik "Wissen" da, ist die "Kinder-Zeit" platziert, und die folgende Seite heißt "Kinder- & Jugendbuch"; sie präsentiert unter anderem den Luchs des Monats Mai. Für Kinder sind die Rezensionen nicht geschrieben, und Jugendliche, so sie denn in der "Zeit" lesen, werden sie nicht lesen, weil sie natürlich einen weiten Bogen um die "Kinder-Zeit" machen. Macht nichts, denn überhaupt niemand, der nicht gezielt nach ihr sucht, wird auf diese Seite stoßen, und demjenigen, der sie aus Versehen aufblättert, wird deutlich gemacht, dass es hier um nichts Wichtiges geht. Denn Kultur wird im Feuilleton abgehandelt.

Es ist schwer nachzuvollziehen, was "Die Zeit"-Verantwortlichen bewogen hat, die Kinder- und Jugendbücher so weit hintanzusetzen. Mit ziemlicher Sicherheit haben wir es diesmal nicht – wie bei den meisten buchkulturellen Ärgernissen unserer Tage – mit einem Sieg der Marketingabteilung über die Kreativen zu tun. Denn der Vertrieb der "Zeit" weiß bestimmt, dass viele unter den jüngeren Abonnentinnen aus den kinderfreundlichen gebildeten Milieus stammen und großen Wert auf angemessene Lektüre für ihre Kleinen legen.

Es handelt sich auch um keine Einsparmaßnahme, denn es gibt nicht weniger Platz für das Kinder- und Jugendbuch. Man kann sich auch nicht vorstellen, dass irgendeine Fraktion in der Redaktion von der Abwertung des Kinderbuchs einen Vorteil hätte. Bleiben als Erklärung nur ideologische Scheuklappen, die verhindern, dass auch Kinderliteratur als Literatur wahrgenommen wird, deren Besprechung selbstverständlich ins Feuilleton gehört.

Denn wo sonst außer im Kinderbuch wird denn noch die Kunst der Buchgestaltung und der künstlerischen Buchillustration gepflegt? Was lesen die Leute denn wirklich massenhaft, wenn nicht eigentlich für Jugendliche geschriebene "All age"-Schmöker, und könnten sie nicht auch Gründe dafür haben?
Hat im 20. Jahrhundert irgendein anderer Roman so nachhaltig gewirkt wie "Pippi Langstrumpf"? Waren die für Erwachsene geschriebenen Bücher von Erich Kästner vielleicht besser als seine Kinderromane? Ist der "Werther" etwa kein Jugendbuch? Und überhaupt: Kann uns jemand erklären, warum Martin Walser einen besseren Stil schreibt oder mehr zu erzählen hat als, sagen wir, ein Paul Maar?

Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass auch in der »Zeit« Leute arbeiten, die solche Fragen stellen.