Kochbuchmarkt

"Berlin ist mittlerweile der vegane Hotspot Europas"

17. April 2014
von Börsenblatt
Ethik-Offensive oder Eintagsfliege - wie geht es weiter mit der veganen Welle auf dem Kochbuchmarkt? Ein Interview mit Kristina Unterweger vom Berliner Verlag NeunZehn, der sich ganz auf die vegane Küche konzentriert.

Die Liste der Kochbuch-Novitäten wird in diesem Frühjahr einmal mehr von veganen Titeln angeführt. Kann man da überhaupt noch von einem Trend sprechen - oder sind vegane Rezepte längst ein Standard wie die italienische oder französische Küche?

Unterweger: Ich denke, dass es durchaus legitim ist, vegan immer noch als den Nummer Eins-Trend in Deutschland zu bezeichnen, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass dieser Trend sich etablieren und uns glücklicherweise weiterhin erhalten bleiben wird.

Profitiert Ihr Verlag von dieser Welle oder sind es eher die Galionsfiguren wie Attila Hildmann, die den Rahm abschöpfen?

Unterweger: Wir sind mit unserem veganen Kochbuchverlag zur gleichen Zeit wie Attila Hildmann gestartet, das heißt wir sind von Anfang an dabei... und sehr schnell gewachsen und mit unseren Büchern erfolgreich, was in der hart umkämpften Buchbranche für einen neuen, kleinen Verlag doch eine ganz schöne Herausforderung ist. Für unseren Verlag war und ist dieses Thema einfach wichtig, daher auch die Exklusivität und Spezialisierung. Wir haben tolle Köche, Fotografen und Autoren, die unseren Kochbüchern das besondere Etwas verleihen, das auch unsere Leser zu schätzen wissen. Wir sind sehr glücklich und zufrieden mit der Entwicklung, die unser Verlag genommen hat.

Ist der Erfolg dieser Bücher Ihrer Meinung nach ein Zeichen, dass sich da gerade in großem Maßstab das Bewusstsein der Konsumenten verändert  - oder gibt es nicht auch viele Käufer, die vegan oder vegetarisch einfach als Must-Have der Saison verstehen - oder gar als ein politisch eindrucksvolleres Synonym für Diät?

Unterweger: Ich denke, dass die Menschen in dieser doch sehr schnelllebigen und Höchstleistung fordernden Zeit versuchen, sich in Bereichen, die sie aktiv beeinflussen können, etwas Gutes zu tun. Ernährung ist hier sicher ein ganz wichtiges Thema. Auf seinen Körper zu achten ist nicht nur durch Sport, sondern eben auch durch richtige, gesunde Ernährung möglich. Aber auch das Bewusstsein, durch diese besondere Ernährung Tierleid zu vermeiden und die Umwelt zu schützen und bewahren, ist ein wesentlicher Punkt, sich für vegane Ernährung zu entscheiden. Wenn jemand diese Ernährungsform dafür verwendet, um schlanker und fitter zu werden, ist dies ebenso legitim ... und auch gut!

Wie setzt sich Ihrer Erfahrung nach die Zielgruppe überhaupt zusammen? Wie alt oder jung ist sie? Gibt es Erfahrungswerte, was die Geschlechterverteilung anbelangt?

Unterweger: Mittlerweile essen beziehungsweise leben in Deutschland nach Schätzungen des Vegetarierbundes mehr als 700.000 Menschen vegan. Diese Zahl steigt momentan stärker als bei Vegetariern. Laut Vebu sind 7 von 10 Veganern Frauen und fast die Hälfte davon sind zwischen 21 und 30 Jahre alt. Ungefähr 4 von 10 Veganern leben in Großstädten und Berlin ist mittlerweile der "vegane Hotspot" Euopas.

Auf fast alles wird nun das Etikett vegan geklebt – das lässt einen pavlovschen Reflex beim Käufer vermuten. Aber ist das so?

Unterweger: Ich denke, dass die meisten Leute vegan mit gesund assoziieren, was ja nicht unbedingt der Fall sein muss, weil man sich auch ungesund vegan ernähren kann. Ich denke, dass da noch viel Aufklärung und Information notwendig ist. Ich finde es aber prinzipiell gut, dass viele Firmen bestrebt sind, Produkte nun vegan herzustellen ... und siehe da, die Palette wächst täglich und erleichtert das Leben von Veganern deutlich, auch in finanzieller Hinsicht.

Haben Sie einen Überblick, ob es einen ähnlichen Trend auch im Ausland gibt oder sind die Deutschen da besonders weit vorne mit dem Wunsch, sich die Welt ein wenig besser zu essen?

Unterweger: Wir haben uns natürlich auch die diversen Programme ausländischer Verlage auf der jüngsten Frankfurter Buchmesse genau angeschaut. Vegan ist aber mit Ausnahme von Amerika kein so großes Thema wie hier in Deutschland.... wir haben hier wirklich eine ganz besondere Rolle.

Warum eigentlich?

Unterweger: Ich denke, dass in Deutschland zwei Dinge zusammenkommen, die dieses Thema so groß werden lassen. Einerseits gibt es seit ein paar Jahren einige (mittlerweile mehrere) sehr engagierte Leute, die Menschen für dieses Thema sensibilisieren und andererseits sind hier einfach viele Menschen guten, neuen Dingen gegenüber sehr aufgeschlossen. Das ist ähnlich wie bei einer tollen Ernte: Gute Saat und guter Boden - die perfekte Kombination!

Muss sich ein Kochbuchverlag mit klaren Statements etwa wider die Massentierhaltung positionieren, um glaubwürdig zu sein?

Unterweger: Ich denke, dass Massentierhaltung unmenschliches Verhalten ist und durch nichts gerechtfertigt werden kann. Jeder müsste sich daher dagegen positionieren.

Die Zielgruppe für vegane Ernährung scheint ungemein heterogen zu sein: Da gibt es die Überzeugten – aber auch die Spaßfraktion, die diese Art des Essens als coolen Lifestyle empfindet oder vielleicht einfach nur abnehmen will, ohne bei Tisch das böse Wort Diät in den Mund nehmen zu müssen. Wie bewältigen Sie mit Ihrem Verlag diesen Spagat?

Unterweger: Bei den heutigen Veganern gibt es in der Tat unterschiedlichste Motivationen, Herangehensweisen und Ausprägungen. Mehr und mehr werden "vegane Missionare" von weltoffenen Neu-Veganern abgelöst, die niemandem diese neue Lebens- und Ernährungsform aufdrängen wollen. Es wird nicht gewertet, was falsch oder richtig, ungesund oder gesund ist – ein respektierendes Nebeneinander tritt an die Stelle des Gegeneinanders. Somit rückt Veganismus aus der "Ecke des Extremen" heraus und das weckt das Interesse der Menschen, mehr darüber zu erfahren - was wiederum dazu führt, dass es ein gesellschaftliches Thema wird.

Wir als Verlag wollen Bücher machen, die uns und unseren Lesern Spaß machen und Freunde bereiten, die informieren und überraschen, neugierig machen und ein Stück weit begleiten – nichts muss, alles ist möglich!

Welche Rolle spielt der Ethik- und Politik-Aspekt beim Marketing? 

Unterweger: Bei unserem Marketing tritt dieser Aspekt in den Hintergrund. Wir wollen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufen und werten oder missionieren. Unser Traum-Ziel wäre es, dass wir irgendwann einmal auch das Wort vegan nicht mehr auf unsere Kochbücher draufschreiben müssen, weil das einfach selbstverständlich ist ... aber bis dahin wird es wohl noch eine Weile dauern.

Immer häufiger gibt es "Erschwerniszulagen" – nun soll nicht nur vegan, sondern auch noch glutenfrei und ohne Soja gekocht werden. Fast sieht es so aus, als würde in nicht allzu ferner Zukunft jeder am Tisch vor seinem ganz individuellen Spezialmenü sitzen. Muss einem Kochbuchverlag diese Segmentierung nicht Sorgen bereiten? Und: Wie reagieren Sie darauf?

Unterweger: Ich denke, dass wir mit dieser Spezialisierung genauso umgehen werden wie traditionelle Kochbuchverlage, die dies bereits machen. Natürlich werden wir auch das ein oder andere Spezialthema aufgreifen, aber generell sind wir der Meinung, dass für Menschen (mit Ausnahmen) eine ausgewogene, abwechslungsreiche und bunte Ernährung am Gesündesten ist.

Nahrung übernimmt derzeit auch immer mehr Aufgaben, die man ihr bis dahin nicht zugetraut hätte – jedenfalls nicht in solchem Umfang: Sie soll zugleich die Seele heilen, beim Abnehmen helfen, gesund machen. Kurz: Ernährung soll medizinische und psychologische Großtaten vollbringen. Ist das die Zukunft des Kochens? Auch die des Kochbuchmarktes?

Unterweger: Ernährung hat einen großen Einfluss auf den menschlichen Körper – neben Kraft und Energie spendet sie auch wichtige Stoffe für unsere Entwicklung und Gesundheit. Das war immer so und wird auch in Zukunft so bleiben. Als wichtiger Teil eines Gesamtkonzeptes trägt gesunde Ernährung zum Wohlbefinden des Menschen bei.

Ich denke jedoch, dass Heilsversprechen, die mit einer speziellen Ernährungsform verkauft werden, Blödsinn sind und im schlimmsten Fall negative Konsequenzen für den Menschen nach sich ziehen können. Dieses einfache, lineare Denken ist mehr als naiv. Trotzdem wird es immer wieder angeboten, geschwächte und nach Hilfe suchende Menschen werden so ausgenutzt. Leider findet man dieses Phänomen in vielen Bereichen, natürlich auch im veganen Kochbuchmarkt.

Welche neuen Trends sehen Sie im Trend?

Unterweger: "Raw food", also Rohkost, und "clean eating" mit natürlichen, unverarbeiteten Produkten finde ich sehr interessant.

An welchem veganen Projekt wird in Ihrem Haus gerade gearbeitet?

Unterweger: Unsere Erfolgsautorin Josita Hartanto ist mit ihrem zweiten Kochbuch "VEGAN  schnell, schnell" kurz vor der Fertigstellung. Wir freuen uns sehr, da es durch ihre Kreativität wieder ein ganz besonderes Buch wird, das für den täglichen Gebrauch leckere und schnell zuzubereitende Rezepte vorstellt.

Mehr über den Boom der veganen Kochbücher lesen Sie im frisch erschienenen Börsenblatt-Spezial "Essen & Trinken".