Kochbuchmarkt: Interview mit AT-Verleger Urs Hunziker

"Wir stehen uns gegenseitig auf den Füßen"

25. April 2017
von Börsenblatt
Die vegane Welle haben die Kochbuchverlage selbst zu Tode geritten: Meint AT-Verleger Urs Hunziker. Ein Interview über Preise, Ernährungstrends, den Artfolio-Verbund – und die schwierige Marktlage in der Schweiz.

Der Kochbuchmarkt in Deutschland hat im ersten Quartal 5,2 Prozent seiner Vorjahres-Umsätze verloren. Ist der AT Verlag mit der Entwicklung der kulinarischen Titel zufrieden?

Die Marktlage in Deutschland und Österreich ist halbwegs stabil, da haben unsere Umsätze nur leicht nachgegeben. Wirklich dramatisch ist die Situation allerdings in der Schweiz. Der niedrige Eurokurs führt dazu, dass immer mehr Bücher reimportiert werden, ob über die Barsortimente oder über Amazon. Dass unsere Auslieferung in der Schweiz auch unsere Kunden in der Schweiz beliefert – das ist rückläufig. Die verschlungenen Wege sorgen dafür, dass wir beim Absatz weniger Kontrolle und Transparenz haben. Seit Jahresbeginn hat sich die Situation weiter verschärft. Das betrifft natürlich nicht nur das Kochbuchsegment, sondern den gesamten Buchmarkt  in der Schweiz.

Der Kochbuchmarkt ist im Moment allerdings besonders dicht besetzt. Nehmen sich die Verlage derzeit gegenseitig die Butter vom Brot?

Wir beobachten durchaus mit Sorge, dass inzwischen sogar belletristische Verlage Kochbücher machen. Denn im Moment stehen wir uns alle gegenseitig auf den Füßen. Das gestiegene Interesse am Thema ist zwar eine schöne Bestätigung für unsere Entwicklungsarbeit beim Kochbuch. Aber wenn der Umsatz schrumpft und die Titelmenge steigt, dann hat das Folgen für jeden. Die Auflagenhöhe sinkt – und vor allem: die Lebensdauer der Titel wird deutlich kürzer.

Lässt sich diese Veränderung in Zahlen fassen?

Vor 10, 15 Jahren haben wir viele Titel gemacht, die sich über fünf bis zehn Jahre hinweg verkauft haben. Heute können wir schon froh sein, wenn sich ein Kochbuch wenigstens zwei Jahre am Markt hält. Im Grunde genommen muss man das Geschäft mit einem neuen Titel im ersten halben Jahr machen. Das war früher anders.

Das dürfte den belletristischen Verlagen ähnlich gehen…

Ja, aber es ist deutlich aufwendiger, ein Kochbuch zu verlegen als einen Roman. Foodfotografie kostet viel Geld – gleichzeitig sind wir dazu gezwungen, unsere Kochbücher immer aufwendiger auszustatten, um uns von den Gratisrezepten im Internet abzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, jedes Kochbuch zu einem sinnlichen Erlebnis zu machen. Ein Aufwand, der nur noch begrenzt durch gute Verkaufszahlen belohnt wird.

Wäre der Titelboom im Kochbuch ohne die Foodblogs denkbar?

Viele Blogger machen einen tollen Job – und genaugenommen haben sie ein neues Genre auf dem Kochbuchmarkt begründet. Aber natürlich kommen diese Bücher jetzt noch obendrauf auf den Berg der Neuerscheinungen. Erfreulich finde ich allerdings, dass Menschen, die eher digital unterwegs sind, die Freude am bedruckten Papier darüber nicht verloren haben.

Sie haben es schon angesprochen: Das Kochbuch wird immer schöner und aufwendiger gestaltet. Darf es deshalb auch mehr kosten? Wo sehen Sie die Schmerzgrenze beim Buchhandel - und stimmt sie mit der des Kunden überein?

Der Handel ist aus meiner Sicht oft zu vorsichtig – das gilt auch für viele Verlage. Der Durchschnittspreis für Kochbücher bewegt sich laut Media Control aktuell bei 15 Euro. Aber wenn Qualität und Ausstattung stimmen, dann greift der Kunde auch gerne tiefer ins Portemonnaie. Der AT Verlag ist seit einem Jahr bei der Vertriebskooperation Artfolio dabei, hier kommen die teilnehmenden Verlage immerhin auf einen Durchschnittspreis von 24 Euro. Das ist doch interessant, oder? 30 Euro sind allerdings eine Schwelle, die auch wir ungern überschreiten.

Macht sich die Mitgliedschaft bei Artfolio für den AT Verlag bezahlt? Und war es schwer, das Konkurrenzdenken zu überwinden?

Artfolio macht sich für uns auf jeden Fall bezahlt. Wir haben mehr Vertriebspower und ein anderes Standing bei den Filialisten – aber vor allem profitieren wir vom Austausch mit den Kollegen. Die Kooperation hat für mich Beispielcharakter. Das Modell funktioniert allerdings nur, wenn sich alle Partnerverlage auf Augenhöhe begegnen.

Und das heißt?

Dass Größenordnung und Besitzverhältnisse zueinander passen müssen. Bei Artfolio sind nur unabhängige Verlage vertreten, die schnell entscheiden können und sehr agil sind. Zusammen haben wir es im vergangenen Jahr immerhin unter die Top 4 auf dem Kochbuchmarkt geschafft, neben GU, DK und der Edel-Gruppe, in den ersten beiden Monaten des Jahres standen wir laut Media Control sogar auf Platz 2.

Welche Trends zeichnen sich auf dem Kochbuchmarkt ab, wenn die aktuellen Themen Thermomix  und "Superbowls" abgearbeitet sind?

Kein kurzlebiger Trend, sondern eine gesellschaftliche Grundströmung ist für mich die schnelle, gesunde Küche. Die jüngere Generation hat wenig Zeit, will sich aber gesund ernähren – und zwar mit Leichtigkeit und Ästhetik. Das unterscheidet sich grundlegend von der Vollwertküche vergangener Zeiten, die immer mit einer gewissen Freudlosigkeit verbunden war. Ernährung ist heute Lifestyle. Das ist zwar ein schreckliches Wort, beschreibt aber gut, worum es hier geht.

Was bedeutet das für die Programmpolitik der Kochbuchverlage?

Dass unsere Bücher genauso daher kommen müssen -  leicht, locker und frei von jeder Selbstkasteiung. Die Kunst für Kochbuchverlage ist es, die nachhaltigen Trends herauszufiltern und das Getöse der schnelllebigen, kleineren Trends zu überhören. Denn da sind die Zeitschriften ohnehin schneller. Traurig ist: Vegane Ernährung gehört zu diesen nachhaltigen, gesellschaftlichen Themen – doch diese Welle haben wir Verlage alle gemeinsam zu Tode geritten. Das Wort vegan kann im Buchhandel inzwischen keiner mehr hören.

Mehr über den Kochbuchmarkt im aktuellen Börsenblatt-Spezial "Essen & Trinken", das am 20. April erschienen ist.