Kommentar

Die Kölner Katastrophe

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs ist eine Katastrophe. Das hat man nun oft genug gehört. Aber für wen? Ein Gastkommentar von Helge Malchow.
Zuerst natürlich für die Menschen, die den Opfern nahe­standen. Dann aber ist es eine Katastrophe für die Kultur des ganzen Landes. Für die historische Forschung. Niemand sollte das Ereignis auf die Stadtgeschichte verengen.
Wenn zum Beispiel das gesamte Archiv des Kiepenheuer & Witsch Verlags zerstört ist, dann fehlen Briefwechsel mit Gabriel García Márquez, Saul Bellow, J. D. Salinger oder Willy Brandt. Dann fehlen Anmerkungen zu Manuskripten oder Manuskriptvarianten von Uwe Timm, Peter Härtling, Katja Lange-Müller oder Heiner Müller. Und die Zerstörung von Nach- oder Vorlässen von Heinrich Böll, Dieter Wellershoff oder Günter Wallraff ist deswegen katastrophal, weil die Werke dieser Autoren in der ganzen Welt beachtet werden, nicht weil sie in Köln gelebt haben oder leben.

Daraus folgt klar eine zumindest nationale Verantwortung für die anstehenden Rettungsaktionen in Hinsicht auf Fachkompetenz, Organisation und finanzielle Absicherung. Es ist ein Riesen­unterschied, ob 30, 50 oder 85 Prozent der Bestände gerettet, gesichert und restauriert werden können. Und dies gilt ungeachtet aller möglichen Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Unglück in der notorischen Kölner Schludrigkeit und Inkompetenz.
Die noch größere Katastrophe wäre da, wenn nicht das Maximum des Möglichen nach internationalen Standards unternommen würde, um zu retten, was zu retten ist. Die Trümmer des Stadtarchivs dürfen keine Spielwiese für Kölner Hemdsärmeligkeiten werden.