Kommentar von Torsten Casimir

Das Votum von Vaihingen

1. Juni 2011
von Börsenblatt
Es gibt Kampfabstimmungen, die zwar einen Sieger produzieren, aber keine Gewinner. Die in der Tat außerordentliche Hauptversammlung des Landesverbands Baden-Württemberg am Samstag gab ein neuerliches Beispiel dafür.

Unstrittig ist: Die Mitglieder­ votierten in Stuttgart mehrheitlich gegen die Empfehlung einer Fusion mit dem Börsenvereins-Bundesverband. Das Ergebnis ist zu achten. Über die Art seines Zustande­kommens hingegen wird seit dem Wochenende viel gesprochen. Nicht nur im Lager derer, die einer Fusionsprüfung zuneigten und gerne ein anderes Resultat der Abstimmung gesehen hätten, äußert sich großes Unbehagen.

Der Landesverband könnte in eine schwierige Situation geraten. Die Debatte um den wünschenswerten Reformkurs ist mit dem Votum von Vaihingen nicht beendet; sie hat dort erst begonnen. Einander gegenüber stehen zwei ähnlich starke Blöcke. Anstelle eines argumentativen Streits, der an der Sachfrage nach leistungsfähigeren Strukturen orientiert gewesen wäre­ und substanziell unterlegte Szenarien zur Wahl gestellt hätte, prägte am Ende ein Vorgehen die Versammlung, das in einem Meinungsbeitrag von Hermann-Arndt Riethmüller als »Verfahrenstechnokratie« kritisiert wird. Wie unser Gastautor denken derzeit viele im Ländle.

Ob die Auseinandersetzung über die Auseinandersetzung nun besser gelingt als die Auseinander­setzung selbst? Zu wünschen wäre das. Denn wie will ein Verband die Zukunft gewinnen, dem es zuletzt schon nicht geglückt war, einen Nachfolger für seinen Vorsitzenden zu finden? (Woraufhin der Amtsinhaber, was ihm hoch anzurechnen ist, aus Pflichtgefühl noch einmal verlängert hat.)

Verfahren zu bemängeln, ist freilich so eine Sache. Solange nicht offenkundige Verfahrensfehler ins Spiel kommen, liefern geregelte Prozeduren das, wozu sie erfunden wurden: eine Legitimation der Ergebnisse, die sie hervorbringen. Abstimmung ist Abstimmung. Der Virtuose eines Verfahrens nutzt anschließende Kritik gern zu einer stereotypen Replik: »Unsportliche Verlierer.« So möchte er unsichtbar halten, dass die Durchsetzung eines Ziels nur um den Preis der sozialen Abkühlung zu haben war.

Welcher Produzent oder Händler von Büchern, der diese Hauptversammlung miterlitten hat, wird nächstes Jahr noch frohen Mutes »hier!« rufen, wenn es abermals einen Vorstand zu finden gilt? Ehren­amt ist keine üppig nachwachsende Ressource. In Stuttgart wurde zu unachtsam mit ihr umgegangen. Als könnten die Quellen nie versiegen! Können sie aber.