Konferenz Academic Publishing in Europe: Dekonstruktion von Dokumenten, Semantic Desktop, Google & Friends

Wissen wird in Einzelteile zerlegt

20. Januar 2010
von Börsenblatt
Künstliche Intelligenz und Datensätze statt Texte: Worauf sich Verleger vorbereiten sollten, zeigte gestern die APE-Konferenz in Berlin. Am Nachmittag stand zudem eine Podiumsdiskussion zum Google Book Settlement auf dem Programm, bei der die Positionen der US-Verlage, der Europäer und von Google selbst ausgetauscht wurden – vier Wochen vor der entscheidenden Anhörung am 18. Februar in New York.

Rund 200 Teilnehmer aus aller Welt diskutierten bei der fünften Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) über aktuelle Entwicklungen in Forschung und wissenschaftlichem Publizieren. Schon am ersten Konferenztag machten einige Vorträge klar, dass sich der Übergang in die digitale Welt des Publizierens in mehreren Phasen vollzieht, und dass auf die Verlage eine Menge Arbeit wartet.

Vor allem die These des Berliner Bibliotheks- und Informationswissenschaftlers Stefan Gradmann, der im Zuge der Digitalisierung eine fortschreitende Dekonstruktion von Dokumenten vorhersagt, sorgte für Aufmerksamkeit. Gradmann prognostiziert beim Online-Publishing eine Auflösung von Texten in Datensätze, die je nach Kontext oder Verwertungsstufe zu neuen, veränderlichen Bedeutungseinheiten kombiniert werden. Der traditionelle Kreislauf von Autor, Verleger, Kritiker, Leser werde durch ein komplexes Beziehungsnetz abgelöst.

Ein neues Konzept für das Wissensmanagement von Forschern stellte Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern vor: den Semantic Desktop – eine Anwendung für den Computer, die nach dem Vorbild des Semantic Web intelligente Verknüpfungen zwischen allen Daten und Vorgängen herstellt, die auf dem Rechner gespeichert sind.

Schließlich stand auch die Kontroverse um das Google Book Settlement auf dem Programm. Unter der Leitlinie "Google & Friends? The New World of Digital Libraries" tauschten Stefan Gradmann (HU Berlin), Santiago de la Mora (Director Print Content Partnerships EMEA, Google), Christine de Mazières (Syndicat National de l’Édition, Paris), Mark Seeley (Elsevier, USA), Christian Sprang (Börsenverein) ihre Argumente pro und contra aus. Unterhaltsam moderiert wurde die Runde von Jens Bammel, dem Generalsekretär der Internationalen Verlegerunion (IPA) in Genf.

Auch wenn keine substanziell neuen Überlegungen geäußert wurden, waren doch einige interessante Nuancen herauszuhören – etwa aus der Überlegung von Christine de Maières, dass man sich in Frankreich durchaus einen Deal mit Google vorstellen könne. Wenn Google aus seinem Bibliotheksprogramm seine französischen Titel der digitalen Bibliothek Gallica zur Verfügung stelle, könne man im Gegenzug Google erlauben, Bücher aus Gallica in der Buchsuche anzuzeigen. Santiago de la Mora wies emphatisch eine immer wieder geäußerte Unterstellung zurück: dass die Digitalisierung durch Google exklusiv mit Bibliotheken verabredet worden sei. Jeder andere Anbieter, so de la Mora, könne diese Titel ebenfalls digitalisieren. Stefan Gradmann bemerkte im Zusammenhang mit der Diskussion um das Google Book Settlement, die Diskussion um die urheberrechtlichen Differenzen zwischen Europäern, Amerikanern und Google sei "lächerlich kompliziert". "Warum kann man in Zeiten des Internets nicht über eine einheitliche globale Regelung nachdenken?" Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang warnte davor, den Urheberrechtsschutz gering zu schätzen. Das würde die Kreativität der Autoren und Produzenten zu einem großen Teil zerstören.